Warum ein IKRK-Delegierter seinen Job kaum ein Leben lang macht

Traumberuf IKRK-Delegierter

Warum ein IKRK-Delegierter seinen Job kaum ein Leben lang macht

Junge Leute zieht es zum Internationalen Roten Kreuz (IKRK) – doch ein Job auf Lebenszeit ist Delegierter selten. Zwei Frauen, die als IKRK-Delegierte in Konfliktgebieten unterwegs waren, berichten.
06.06.2014, 04:2506.06.2014, 15:06
Doris Kleck / Aargauer Zeitung
Ein Artikel von
Aargauer Zeitung

Das Internationale Rote Kreuz (IKRK) ist in bewaffneten Konflikten der letzte Schutzwall gegen die Barbarei. Der Schutz des Lebens und die Würde von Opfern in Kriegen zu bewahren, gehört zu den Aufgaben der rund 12'000 Mitarbeiter. Die internationale Organisation mit Sitz in Genf ist in 80 Ländern tätig. Dazu gehören Orte, wo sich kaum mehr jemand hinwagt: Syrien, Südsudan oder eben Libyen, wo am Mittwoch ein Schweizer IKRK-Mitarbeiter getötet wurde.

Diese IKRK-Mitarbeiter werden nicht nur mit viel Leid konfrontiert, sie setzen sich auch Risiken aus. Und dennoch ist IKRK-Mitarbeiter für viele Junge nach wie vor ein Traumberuf. In der Hitparade der attraktivsten Arbeitgeber – eine regelmässige Umfrage unter 10'000 Studenten – belegt das IKRK vordere Ränge. Bei den Jus-Studenten liegt das IKRK nach der Bundesverwaltung auf Rang zwei. Bei den Wirtschaftswissenschaftern lässt das IKRK Grosskonzerne wie Roche locker hinter sich. 

Zivilstand kein Kriterium mehr

Jährlich bewerben sich rund 2000 Leute beim IKRK für den Job als Delegierter. Nur 100 bis 200 werden rekrutiert. Denn das Anforderungsprofil ist hoch. Zu den Mindestanforderungen gehören ein Universitätsabschluss, Mehrsprachigkeit und mindestens zwei Jahre Berufserfahrung. Hoch motiviert, anpassungsfähig, gut organisiert müssen die Bewerber sein. Das ideale Alter liegt zwischen 25 und 35 Jahren. Den Zivilstand hat das IKRK mittlerweile aus dem Anforderungsprofil gestrichen. Bis vor einigen Jahren durften die Bewerber nicht verheiratet sein.

Drei Tage entführt

Eine Regel, die für die ehemalige IKRK-Delegierte, nennen wir sie Susanne Meier*, ganz unerwartet eine Bedeutung bekam. Sie wurde bei einem Einsatz in Kolumbien entführt – erst nach drei Tagen kam sie wieder frei. Es war einer jener Vorfälle, die im IKRK-Jargon «Sicherheitszwischenfälle» genannt werden. Öffentlich wurde die Entführung nie.

Noch heute, mehr als elf Jahre danach, wühlt es die ehemalige Delegierte noch auf, wenn sie über den Vorfall spricht. Sie war zwar für solche Situationen geschult. Wusste, wie sie sich zu verhalten hatte. Doch die erlebte Ohnmacht hat sich eingebrannt. In diesem Moment sei sie froh gewesen, dass sie keinen Partner und keine Kinder hatte, sagt sie.

Ein Abbruch des Einsatzes kam für Susanne Meier trotzdem nicht infrage. Sie wollte ihre Arbeit zu Ende bringen und sauber übergeben. Nicht, dass all die Aufbauarbeit, all die Kontakte einfach verloren gingen. 

Doch zwei Monate später folgte der zweite «Sicherheitszwischenfall»: «Ich merkte, dass die unbewusste Selbstsicherheit weg war.» Meier kehrte zurück in die Schweiz, um das verlorene Sicherheitsgefühl für den nächsten Einsatz wieder aufzubauen. Dabei lernte sie ihren Partner kennen und entschied sich für die Familie statt für das IKRK – weil für sie beides zusammen nicht ging.

Trotz der hohen psychischen und physischen Belastung spricht Meier von der intensivsten und besten Zeit ihres Lebens. 

Gespür für heikle Situationen

Ähnlich tönt es bei Hanna Mutter*. Man habe eine spannende und sinnvolle Aufgabe, lerne sich und seine Grenzen kennen und könne die Sprachkenntnisse verbessern: «Diese Kombination gibt es selten», sagt die ehemalige IKRK-Delegierte mit Einsätzen in Ruanda, Liberia, Burma und im Nordirak.

Jetzt auf

Als sie zu ihrem ersten Einsatz einrückte, sagte man ihr: «Bleib nicht zu lange, das ist ein ungesunder Beruf» – eine Aussage, welche die Juristin trotz allem Enthusiasmus heute bestätigt. Sie kehrte zurück in die Schweiz, weil es unmöglich war, ein Privatleben zu haben.

Für die kritischen Situationen hingegen entwickle man ein gewisses Gespür. Man müsse die Umwelt genau wahrnehmen, die eigene Arbeit analysieren und sich immer wieder die Frage stellen, wie man von den Konfliktparteien wahrgenommen werde. Die Angst, sei bei jedem Einsatz ein wichtiges Gefühl: «Ohne Angst wird man zum Sicherheitsrisiko.» (trs)

* Namen von der Redaktion der «Aargauer Zeitung» geändert.

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
1 Kommentar
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
1