Das bringt die Einheitskasse gegen den Prämienschock wirklich
Mit dem Prämienschock startet das Wechselfieber: Auch wenn der Aufschlag heuer mit 4,4 Prozent weniger hoch ausfällt als im Vorjahr, wollen Schätzungen zufolge bis zu 900'000 Versicherte per 2026 ihre Krankenkasse ändern. Und so ihr Portemonnaie ein wenig schonen. Doch ist dieses alljährliche Wechselkarussell notwendig?
Die Skepsis wächst. Wie diese Woche publizierte Studien zeigen, sprechen sich knapp 70 Prozent der Befragten für die Einheitskasse aus. Das jährliche Kassen-Hopping ist für viele nicht nur nervenaufreibend, sondern kostet auch Geld: Rechnet man mit Wechselkosten von 100 Franken pro Person und einer Wechselquote von 10 Prozent, stehen 90 Millionen Franken zu Buche, die sich letztlich in den Prämien niederschlagen.
Von dieser Situation profitieren Versicherungsvermittler. Sie erhalten Zugang zu Tausenden von Personen, die nach günstigeren Lösungen suchen. Je grösser die Konkurrenz, desto mehr dubiose Makler treiben ihr Unwesen. Ein weiterer Punkt, wieso die Einführung staatlicher Kassen zur Diskussion steht. Zwei Modelle stehen dabei im Fokus.
Modell Maillard: Einheitskassen für jeden Kanton
SP-Ständerat Pierre-Yves Maillard hat die Ablehnung der Einheitskasse durch das Stimmvolk 2014 noch in den Knochen. Letztes Jahr hat seine Partei angekündigt, die Forderung mit einer Initiative wieder aufs Tapet zu bringen. Um ein erneutes Scheitern zu vermeiden, setzt Maillard auf ein angepasstes Modell. Statt einer einzigen nationalen Krankenkasse mit kantonalen Agenturen sollen kantonale Einheitskassen geschaffen werden.
«Dieses Modell ist den Leuten einfacher zu erklären: Sie bezahlen weiterhin unterschiedliche Prämien abhängig von den Gesundheitskosten im jeweiligen Kanton», sagt Gewerkschaftsboss Maillard. Er möchte den Kantonen jedoch die Option lassen, sich zu regionalen Einheitskassen zusammenzuschliessen. Die SP hofft, die Initiative Anfang 2026 zu lancieren.
Doch was sollen bis zu 26 kantonale Einheitskassen besser können als die heute 37 privaten, die die obligatorische Krankenversicherung anbieten? Maillard ist überzeugt, dass sich die Verwaltungskosten um hunderte Millionen Franken senken liessen, weil Werbung, Maklergeschäft und Wechselkosten wegfielen. Zur Einordnung: Die Verwaltungskosten belaufen sich gemäss einer Studie von Moneyland auf jährlich 190 Franken pro Person. Das macht insgesamt 1,74 Milliarden Franken, was 4,5 Prozent der Prämienkosten entspricht.
Den grössten Spareffekt einer Einheitskasse sieht der SP-Doyen jedoch anderswo: bei der klaren Trennung von Grund- und Zusatzversicherung. Heute bieten die Krankenkassen beides an, auch wenn die Organisation formal getrennt ist. Maillard wirft den Versicherern vor, Leistungserbringer zu bevorzugen, mit denen sie über die Zusatzversicherung verbandelt seien – also «teure Spezialisten und Privatkliniken».
Modell Maudet: Kontrolle durch staatliche Kasse
Der Genfer Gesundheitsdirektor Pierre Maudet steht einer Einheitskasse offen gegenüber, hält diese aber aktuell für «nicht sehr realistisch». Er treibt deshalb in seinem Kanton mit dem Projekt Béluga die Schaffung einer öffentlichen, kantonalen Krankenkasse voran, die in Konkurrenz zu den privaten Versicherern steht. Dazu braucht es kein neues nationales Gesetz. Das Ziel: bis zu 20 Prozent tiefere Prämien.
Die Idee ist nicht neu: Bis Anfang der 2000er-Jahre existierten bereits regionale, staatliche Kassen wie die ÖKK, abgekürzt für öffentliche Krankenkasse. Als die ÖKK Basel privatisiert wurde, schrieb die Basler Regierung 2007: Die öffentlich-rechtliche Struktur mache die Kasse «relativ schwerfällig» und berge das Risiko politischer Einflussnahme.
Die Situation heute sei mit jener vor 20 Jahren nicht vergleichbar, sagt Maudet. So existiere inzwischen etwa der Risikoausgleich zwischen den Versicherern, wodurch der Zustrom von besonders krankheitsanfälligen Personen zu einer öffentlichen Kasse keinen Stolperstein mehr darstelle.
Eine Expertengruppe im Auftrag der Genfer Regierung hält Einsparungen von 15 bis 20 Prozent für möglich – sofern die kantonale Kasse in ein integriertes Versorgungsnetz eingebunden sei. Auch Krankenkassen setzen zusehends auf solche Modelle mit engerer Zusammenarbeit zwischen Ärzten, Spitälern und anderen Fachpersonen. Branchenvertreter hinterfragen darum den Mehrwert des Maudet-Modells. Und bezweifeln, dass der Staat effizienter arbeitet als private Akteure.
Warum will in Genf der Kanton den Lead übernehmen? «Wir müssen an Transparenz und Kontrolle gewinnen. Denn aktuell irren wir in dichtem Nebel», sagt Ex-FDP-Mann Maudet. Als Beispiel nennt er den stärkeren Anstieg der Prämien für Kinder als für Erwachsene – ohne dass er Zugang zu den nötigen Statistiken habe, um das Phänomen zu erklären. «Das ist inakzeptabel», betont Maudet. Er berät das Projekt Béluga derzeit mit dem Bund und hofft auf eine Pilotphase zwischen 2026 und 2030.
Die Kritik – und ein grosses neues Risiko
Das Hauptargument gegen die Einheitskasse lautet: Sie bringe nichts bis kaum etwas. SVP-Nationalrätin Diana Gutjahr spricht von einer «kosmetischen Wirkung», GLP-Nationalrat Patrick Hässig von einer «Scheinlösung».
Ex-Mitte Nationalrat Marco Romano, stellvertretender Direktor der Krankenkassenvereinigung prio.swiss, sagt: «Die Prämien steigen, weil die Gesundheitskosten steigen. Diese machen 95 Prozent der Prämien aus. Eine staatliche Monopolkasse bringt diese Kosten auch nicht einfach zum Verschwinden». Zudem nehme eine Einheitskasse den Versicherten jegliche Wahlfreiheit und beeinträchtige Innovation, Effizienz und Servicequalität.
Einen Schritt weiter geht Felix Schneuwly, Gesundheitsexperte bei Comparis. Er bezweifelt nicht nur den Nutzen öffentlicher Krankenkassen auf Kantonsebene, sondern warnt vor neuen Risiken. «Jede Systemänderung, die den Kantonen mehr Kompetenzen zuspielt, verschärft die Interessenkonflikte», sagt Schneuwly. So haben die Kantone ein Interesse an hohen Spitaltarifen und grosszügigen Zuweisungen: 2024 glichen sie Spitaldefizite für eine Milliarde Franken aus.
Gerade Genf subventioniere sein Unispital so stark wie kein anderer Kanton, sagt Schneuwly. «Wenn Maudet nun auch noch die Prämien selbst festlegen will, wird das System nicht transparenter, sondern politisierter.» Das gelte ebenso für kantonale Einheitskassen – mit der Gefahr, dass die Kostenwahrheit unter die Räder gerate. «Wenn ein Kanton zugleich als Versicherer auftritt, wird er ein Interesse haben, Steuergelder einzuschiessen, um steigende Gesundheitskosten zu kaschieren.»
Kurzum: Im Gesundheitssystem gibt es nicht nur einen Interessenkonflikt, sondern unzählige – was die Problemlösung so schwierig macht. (aargauerzeitung.ch)
