Vor 30 Jahren haben die Börsen weltweit einen «schwarzen Montag» erlebt. Grössere Turbulenzen hat es seither immer wieder gegeben, aber keinen vergleichbaren Börsencrash. Doch Experten sehen heute frappierende Parallelen zur damaligen Situation.
Im August 1987 hatte der Dow Jones mit 2736 Punkten eine Bestmarke erreicht. Am 19. Oktober stürzte er binnen weniger Stunden um fast 23 Prozent ab. 560 Milliarden Dollar lösten sich damit in Luft auf. Der «Schwarze Montag» von 1987 ist bis heute der grösste Börsencrash der Nachkriegszeit.
Die konkreten Auslöser für die Massenverkäufe sind bis heute Gegenstand intensiver Diskussionen. Zwei Mitteilungen gingen dem Crash unmittelbar voraus: Zuerst kündigten die USA ein Defizit an, das grösser ausfiel als erwartet. Dann wurden in Deutschland die Zinsen erhöht. Schon damals verschlimmerte der automatisierte Handel den Börsencrash am Tag selber noch.
Damals: Anleihen legten zu
Dem Absturz ging jedoch vor allem eine Phase stark ansteigender Anleihenrenditen voraus. Diese legten innert weniger Monate von 7.5 auf 10 Prozent zu, was Spekulanten auf den Plan rief.
Darin sehen Experten beunruhigende Parallelen zu heute. Im Moment entwickle sich ein Phänomen, das jenem von 1987 frappant ähnle, sagte Michel Girardin, Ökonom an der Universität Genf, im Gespräch mit der Nachrichtenagentur sda.
In den Monaten vor dem Börsencrash hätten die Anleger ihre Investitionen in grösserem Umfang in Obligationen umgelagert. Seit 2012 lasse sich das gleiche Muster beobachten - allerdings in die andere Richtung, sagte Girardin.
Heute: Run auf Aktien
Als die Europäische Zentralbank (EZB) angesichts der griechischen Schuldenkrise ankündigte, den Euro um jeden Preis retten zu wollen, begannen die Obligationen-Renditen zu sinken. In der Schweiz liegen sie heute sogar im negativen Bereich.
Aktien wurden dagegen teurer. Das führte dazu, dass selbst üblicherweise konservative Anleger vermehrt in Aktien investierten. «Die grosse Gefahr liegt darin, dass dieses Phänomen plötzlich zu Ende geht», sagte Girardin. Das heisst: Die Anleger kehren wieder in Massen zu den Obligationen zurück.
Reif für böses Erwachen
Lucy O'Carroll, Chefökonomin des Vermögensverwalters Aberdeen Standard, argumentiert derweil gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters mit der Bewertung der Unternehmen: «Die Bewertungen waren damals genauso überdehnt, wie sie es heute sind.»
Aktuell liegt das sogenannte Kurs/Gewinn-Verhältnis (KGV) - eine wichtige Kennziffer zur Beurteilung des Preisniveaus - im Dow Jones bei knapp 21. Dies bedeutet, dass die Aktienkurse der dort notierten Unternehmen im Schnitt den Gewinn je Aktie um das 21-Fache übersteigen. Der langjährige Durchschnitt liegt bei 15. Der Dow-Jones-Index mit den US-Standardwerten übersprang am Dienstag erstmals die Marke von 23'000 Punkten.
Heute bestimmten zwar andere Faktoren den Handel als damals, sagte O'Carroll weiter. Aber die resultierenden Schwachstellen seien vergleichbar. Mit weltweiten Aktienmärkten, die immer höhere Allzeithochs erreichten, könnten die Märkte wohl derzeit für ein böses Erwachen reif sein.
Selbst Notenbanker wie EZB-Ratsmitglied Ewald Nowotny warnen vor der Absturzgefahr vor allem an den US-Märkten, geben sich für die europäischen Märkte aber gelassener. Die US-Notenbank Fed schätzt, dass nach dem vorläufigen Ende ihrer lockeren Geldpolitik die Anleihenrenditen gegen 2019 um ein Prozent zunehmen dürften.
Reinigender Crash
Der Börsencrash vom 19. Oktober 1987 hat in der Realwirtschaft keine längerfristigen Konsequenzen gehabt - im Gegensatz zum grossen Absturz 1929 reagierten die Zentralbanken rasch und versorgten die Märkte mit Geld. Schon zwei Jahre später befand sich der Dow Jones-Index wieder auf dem Niveau von vor dem Crash.
Allerdings offenbarte der Crash die Abhängigkeiten zwischen den Devisen- und Aktienmärkten sowie dem Zinsumfeld. Ein Umschwung auf einem dieser Märkte bleibt nicht ohne Folge für die anderen. Der Börsencrash 1987 sei ein «guter Crash» gewesen, weil er die Märkte reinigte, sagte Girardin. (sda/reu)