Nachhaltigkeit

Mathias Binswanger: Warum Kapitalismus ohne Wachstum nicht funktioniert

Warum dieser Professor glaubt, dass global nachhaltiges Wachstum eine Illusion bleibt

Mathias Binswanger, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Fachhochschule Nordwestschweiz, rechnet in seinem neuen Buch mit wachstumskritischen Meinungen ab. Wir haben den Autor zum Interview getroffen.
17.05.2019, 05:4728.05.2020, 14:59
Christoph Bopp / ch media
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«Wachstum macht die Menschen in hoch entwickelten Gesellschaften nicht glücklicher, gerät aber mit der Endlichkeit des Planeten in Konflikt. Warum hören wir nicht einfach damit auf, immer noch mehr wachsen zu wollen?» Das schreibt der Ökonom Mathias Binswanger in seinem neuesten Buch. Ja, warum sind wir nicht zufrieden mit dem, was wir haben, Herr Professor?

Mathias Binswanger
Mathias Binswanger.Bild: chmedia/Chris Iseli

Ihr Buch rechnet ziemlich schonungslos ab mit wachstumskritischen Meinungen. Ohne Wachstum kein Kapitalismus. Mit Aufrufen zu Masshalten, Konsumverzicht und Nachhaltigkeit kommen wir also nicht weit?
Mathias Binswanger: Das Buch zeigt auf, dass unsere heutige kapitalistische Wirtschaft nicht ohne Wachstum funktionieren kann. Es gibt nur die Alternativen Wachstum oder Schrumpfung. Kaum wächst die Wirtschaft nicht mehr, beginnen Unternehmen vermehrt Verluste zu machen, und es kommt zu Entlassungen, was wiederum bei anderen Anbietern zu Verlusten führt. Um eine solche Entwicklung zu vermeiden, braucht es Wachstum. Allerdings muss dieses Wachstum nicht maximal sein, und es kann mehr oder weniger nachhaltig ablaufen. Masshalten und Nachhaltigkeit sind deshalb wichtig. Doch es ist eine Illusion, dass wir dadurch zu einer Wirtschaft gelangen, die nicht mehr wachsen muss.

Viele Leute glauben noch, dass es «schlechtes» Wachstum gibt, das keine Rücksicht nimmt auf Umwelt und Gesellschaft, nur das müsse man vermeiden. Gibt es also «gutes» Wachstum – oder wenigstens nicht so schädliches?
Es gibt besseres und schlechteres Wachstum in dem Sinn, dass wir eine Einheit des Bruttoinlandproduktes mit mehr oder weniger Umweltbelastung produzieren können. In dieser Hinsicht hat man starke Fortschritte erzielt, da es gelungen ist, das Wachstum vermehrt von Ressourcenverbrauch und Schadstoffemissionen (insbesondere CO2) zu entkoppeln. Auf diese Weise wurden die Grenzen des Wachstums immer mehr in die Zukunft verschoben. Global betrachtet nehmen der Ressourcenverbrauch und die C02-Emissionen aber weiterhin zu, und global nachhaltiges Wachstum bleibt eine Illusion.

Sie schreiben, der Wachstumszwang könne nur gemildert werden, aber nicht abgeschafft. Treiber einer solchen Milderung wäre die Politik und schliesslich der Staat, welcher Verbote und Vorschriften erlässt. Wäre das dann die «Ökodiktatur»?
Für eine Milderung braucht es keine Ökodiktatur. Am stärksten ist der Druck zu Gewinnmaximierung bei an der Börse kotierten Aktiengesellschaften. Es geht dort um die Maximierung des Shareholder Values, der von den Erwartungen zukünftiger Gewinne und den daraus bezahlten Dividenden abhängt. Lebt eine Aktiengesellschaft dem Shareholder-Value-Gedanken nicht nach, dann wird sie schnell zu einem Übernahmekandidaten an der Börse. Solche Unternehmen werden dann aufgekauft und das Management ausgetauscht, damit wieder ein maximaler Gewinn angestrebt wird. Bei anderen Unternehmensformen (zum Beispiel Genossenschaften) ist es hingegen möglich, auch andere Ziele zu verfolgen. Will man den Wachstumszwang mildern, muss man sich auch überlegen, welche Unternehmensformen dies ermöglichen.

Zur Person: Mathias Binswanger
Professor für Volkswirtschaftslehre an der Fachhochschule Nordwestschweiz in Olten und Privatdozent an der Universität St. Gallen. Mit seinem Buch «Die Tretmühlen des Glücks» (2006) machte er sich einen Namen als Erforscher des Zusammenhangs zwischen Einkommen und Wohlbefinden. «Sinnlose Wettbewerbe – Warum wir immer mehr Unsinn produzieren» erschien 2010. Im Jahr 2015 kam sein Buch «Geld aus dem Nichts» auf den Markt. Mit seinen Büchern und öffentlichen Äusserungen trägt er massgeblich dazu bei, dass die Leute wirtschaftliche Zusammenhänge besser verstehen. Im Ökonomen-Ranking der NZZ erreichte er 2017 den 3. Platz.

Das ungebremste Wachstum ist nicht die einzige Bedrohung des kapitalistischen Systems. Neben der Umwelt- und Ressourcenproblematik kämpft es auch mit zunehmender Ungleichheit (die Proteste der Gilets jaunes in Frankreich zum Beispiel). Man könnte durchaus auch die Migrationsproblematik dazuzählen. Was passiert, wenn sich die bisher erfolgreichen, aber ins Alter gekommenen westlich-kapitalistischen Demokratien erhöhtem Migrationsdruck ausgesetzt sehen?
Der Migrationsdruck ist keine Bedrohung des kapitalistischen Wirtschaftssystems. Migrationswellen gab es schon immer in der Geschichte des Kapitalismus. Menschen wollen tendenziell dorthin, wo man Geld verdienen kann. Was die Ungleichheit betrifft, so gibt es von Land zu Land erhebliche Unterschiede. In dieser Hinsicht erweist sich der Kapitalismus als flexibel. In den skandinavischen Ländern konnte die wirtschaftliche Entwicklung tatsächlich so gesteuert werden, dass sich der mit dem Wachstum verbundene Anstieg der Einkommen in den letzten Jahrzehnten relativ gleichmässig über alle Einkommensgruppen verteilte. In andern Ländern wie etwa den USA hat die Ungleichheit hingegen erheblich zugenommen.

«Der Kapitalismus kann nie zu vollständiger Gleichheit führen.»

Wäre eine kapitalistisch geordnete Welt denkbar, in der auch Afrika, Indien und andere bisher in der Entwicklung zurückgebliebene Regionen technologisch aufgeholt hätten? Oder braucht der Kapitalismus Ungleichgewichte (Löhne, soziale Entwicklung etc.), um zu funktionieren?
Der Kapitalismus kann nie zu vollständiger Gleichheit führen, da er stets von dem Anreiz lebt, durch Leistung und Anstrengung mehr Einkommen erzielen zu können als andere. Die Frage ist, inwieweit man Ungleichheit zulässt und wo man zu korrigieren beginnt. Vergleichen wir die durchschnittlichen Einkommen verschiedener Länder auf globaler Ebene, dann nimmt die Ungleichheit tendenziell ab, da sich das globale Wachstum verstärkt in noch weniger entwickelten Ländern vor allem in Asien abspielt. Innerhalb dieser Länder, wie zum Beispiel in Indien, nimmt die Ungleichheit dadurch aber zu.

Es gibt keine Harmonie zwischen Wachstum und Nachhaltigkeit, schreiben Sie. «Der Wachstumszwang erlaubt keine wirksamen Beschränkungen der wirtschaftlichen Prozesse, welche Nachhaltigkeit letztlich verlangen würde.» Wie steht es denn mit dem Umbau der Energieversorgung, von der viele behaupten, sie löse wirtschaftliche Impulse aus?
Von der Politik umgesetzte Reformen durften immer nur so weit gehen, dass sie das längerfristige Wachstum nicht gefährdeten. So hat man moderate CO2-Steuern eingeführt oder grosszügig Emissionszertifikate verteilt, die Arbeitszeit manchmal etwas verkürzt, die Banken etwas strikter kontrolliert und Unternehmen zu mehr Sozialverantwortung verpflichtet. Mit solchen Massnahmen war es möglich, die Entwicklung kapitalistischer Wirtschaften sozialer und nachhaltiger zu gestalten. Doch sobald man versucht, der weiteren Expansion wirtschaftlicher Tätigkeit Grenzen zu setzen, beisst man sich am Kapitalismus die Zähne aus. Auch ein Umbau der Energieversorgung ändert nichts an diesen Tatsachen.

«Wir beissen uns die Zähne aus …» – dann wären wachstumskritische Kapitalismusfreunde mehr oder weniger dazu verurteilt, auf dem Dampfer zu bleiben und zu hoffen, dass wir jeweils am nächsten Eisberg vorbeikommen? Nichts kann ja für immer wachsen … Eine Lösung im Sinne einer Versöhnung können Sie uns nicht anbieten?
Genau das machen wir heute: «Auf dem Dampfer bleiben und hoffen, dass wir jeweils am nächsten Eisberg vorbeikommen.» Wir befinden uns in einem Dilemma. Auf der einen Seite trägt Wachstum in hoch entwickelten Ländern nicht mehr dazu bei, dass die Menschen glücklicher oder zufriedener werden, und es verursacht ökologische Probleme. Auf der anderen Seite müssen wir aber weiterwachsen, damit die Wirtschaft funktioniert. Bisher hat niemand einen Ausweg aus diesem Dilemma gefunden. Genau dazu sollten wir uns in Zukunft Gedanken machen. Ich will hier aber nicht auf Panik machen. Es geht uns nach wie vor sehr gut, und die meisten Menschen leben heute in hoch entwickelten Ländern besser, als Menschen jemals zuvor gelebt haben.

Vielleicht geht ja auch der technische Fortschritt in diese Richtung? Dass wir einsehen, dass Technik dem Überleben (oder dem Vermeiden von Bedrohungen – man soll ja nicht immer den Untergang der Menschheit an die Wand malen, nur weil es etwas wärmer geworden ist) dienstbar gemacht werden muss?
Technischer Fortschritt spielt sich nie in einem interessenfreien Raum ab. Letztlich lohnt er sich nur, wenn er so eingesetzt werden kann, dass man am Schluss damit einen Gewinn erzielen kann. Und das bedingt wiederum, dass man mehr oder bessere Güter und Dienstleistungen produzieren und verkaufen kann. Natürlich kann dieser technische Fortschritt dazu beitragen, das Wachstum von Umweltbelastungen zu entkoppeln. Aber der technische Fortschritt wird in einer kapitalistischen Wirtschaft am Schluss immer so eingesetzt, dass er auch zu mehr Wachstum führt. Denn nur so ist er wirtschaftlich lohnend.

Mathias Binswanger: Der Wachstumszwang. Warum die Volkswirtschaft immer weiterwachsen muss, selbst wenn wir genug haben. Wiley VCH Weinheim Berlin 2019. 310 S., Fr. 38.90.

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22 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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AquaeHelveticae
17.05.2019 06:25registriert September 2018
Das ganze System geht doch irgendwie nicht mehr auf.
Auf der einen Seite wird immer vom Fachkräftemangel und der damit nötigen Personenfreizügigkeit berichtet und auf der anderen Seite von immer mehr Arbeitslosen durch Automatisierungen und dem dadurch nötigen bedingungslosen Grundeinkommen.
Schlussendlich wird es für uns alle nur eine lebenswerte Zukunft geben, wenn der Bevölkerungswachstum gebremmst wird und der Wachstum in der Qualität und nicht Quantität stattfindet. Möglichst alle Ressourcen möglichst effizient und nachhaltig einsetzen anstatt aus einem Minimum ein Maximum zu erzielen.
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Schneider Alex
17.05.2019 06:31registriert Februar 2014
Das vielleicht wichtigste Privileg, das öffentliche Unternehmen von privaten unterscheidet, ist: sie können zwar nach betriebswirtschaftlichen Rentabilitätskriterien arbeiten, sie müssen es aber nicht zu jedem Preis. Sie können andere, zusätzliche Ziele formulieren – soziale oder auf Naturschonung ausgerichtete – und die den Beschäftigten gesetzten Anreize darauf orientieren. Die vielbeschworene „Ineffizienz“ öffentlicher Unternehmen ist in der Regel nicht die Folge mangelnder Fähigkeit, sondern bewusst anders gesetzter Ziele.
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Bangarang
17.05.2019 07:20registriert Februar 2019
Gut geschrieben.
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