Die USA feiern Geburtstag. Am 4. Juli 1776 hatte der Kontinentalkongress in Philadelphia die von Thomas Jefferson verfasste Unabhängigkeitserklärung verabschiedet. Damit sagten sich die Vereinigten Staaten vom britischen Königreich los. Heute haben sie mit Donald Trump einen Präsidenten, der nichts lieber wäre als ein absoluter Monarch.
Einem grossen Teil der Bevölkerung ist dieses Jahr nicht zum Feiern zumute. Unter dem Slogan «Free America» finden landesweit Proteste gegen die Regierung Trumps statt, berichtet «Newsweek». Das Motto ist mehrdeutig. Man will Amerika von Trump befreien und fürchtet gleichzeitig den Umbau des «Land of the Free» in Richtung Autoritarismus.
Seit seiner Vereidigung am 20. Januar treiben der US-Präsident und seine Entourage ihn voran. Den ideologischen Unterbau bildet das «Project 2025», von dem Trump im Wahlkampf behauptet hatte, er kenne es nicht. Ein zentrales Element ist der Kreuzzug gegen alles, was nach Wokeness oder DEI (Diversity, Equality, Inclusion) aussieht.
Auf dem Index landen Wörter wie Climate Science, Racism oder Women. Man fühlt sich an die «Newspeak» aus George Orwells dystopischem Roman «1984» erinnert. Ins gleiche Muster fallen die Angriffe gegen «elitäre» Hochschulen, die einzig den Forschungsstandort USA gegenüber dem aufstrebenden «Erzfeind» China schädigen.
Donald Trump gebärdet sich aussenpolitisch als «Friedensstifter», mit überschaubarem Erfolg. Im Ukraine-Krieg macht er sich zum Hampelmann von Wladimir Putin, und ob der «Zwölf-Tage-Krieg» gegen Iran den Nahen Osten nachhaltig befrieden kann, ist mehr als fraglich. Dafür ist die Region zu komplex und der Hass auf den Westen zu gross.
Im eigenen Land jedoch stiftet der Präsident Unfrieden. Politische Gegner bezeichnete er als «Feind im Innern», der gefährlicher sei als China oder Russland. Sein Rachefeldzug verschont nicht einmal Tote, wie die Umbenennung eines nach der ermordeten LGBTQ-Ikone Harvey Milk – ein Veteran des Koreakriegs – getauften Marineschiffs zeigt.
Viel weniger Mühe hat Trump mit Autokraten wie Putin und Kim Jong-un, die er für ihre schrankenlose Machtausübung bewundert. Und mit seiner Flut an präsidialen Dekreten zu imitieren versucht. Vielen Amerikanern stösst dies sauer auf, wie seine Umfragewerte zeigen. Zumindest bei einem Thema aber geniesst er eine beachtliche Zustimmung.
Donald Trump hat die Südgrenze der USA zu Mexiko weitgehend dichtgemacht, was eine Mehrheit der US-Bevölkerung befürwortet. Sie erachtet die «Masseneinwanderung» unter Vorgänger Joe Biden als unzumutbar. Damit aber begnügt sich Trump nicht. Er will möglichst viele der geschätzten elf Millionen «illegal» in den USA lebenden Migranten ausschaffen.
Treibende Kraft ist sein Vize-Stabschef und Ober-Scharfmacher Stephen Miller, dessen Gedankengut sich als identitär bis faschistoid bezeichnen lässt. Die eigene Migrationsgeschichte blendet Miller aus (seine jüdischen Vorfahren fanden auf der Flucht vor den Pogromen im zaristischen Russland eine neue Heimat in den USA).
Zusammen mit Heimatschutzministerin Kristi Noem hat Miller der Fremdenpolizei ICE eine Quote von 3000 Festnahmen pro Tag verordnet, berichtete Axios Ende Mai. Das erinnert an den Terror in Diktaturen wie Stalins Sowjetunion und Maos China. Das Problem ist, dass der weitaus grösste Teil dieser «Illegalen» arbeitet und sogar Steuern zahlt.
Um dies zu verschleiern, sprechen Miller und Co. von Schwerverbrechern, die deportiert werden sollen. Die Realität hat NBC News ermittelt, basierend auf internen ICE-Daten. Demnach waren von den rund 180’000 seit letztem Oktober festgenommenen Migranten etwa ein Drittel vorbestraft, allerdings primär wegen Einwanderungs- und Verkehrsdelikten.
Von den rund 13’000 wegen Mordes verurteilten Migranten, die ICE bekannt sind, auf die die Einwanderungsbehörde jedoch aus diversen Gründen keinen Zugriff hat, wurden laut NBC ganze sechs Prozent erwischt. Das Missverhältnis ist offensichtlich und widerlegt das Framing der Trump-Regierung, man habe es nur auf die Allerschlimmsten abgesehen.
Die vorübergehend gestoppten Razzien in Landwirtschaft und Gastronomie sind offenbar erneut angelaufen. Anders wäre die 3000er-Quote nicht zu erreichen. Den Schaden für die Wirtschaft nimmt man in Kauf. Die einzigen in Trumps Welt erwünschten Einwanderer sind weisse Südafrikaner, die vor angeblichen Übergriffen der schwarzen Mehrheit flüchteten.
Eine zum Machtmissbrauch neigende Regierung wie die von Donald Trump müsste durch «Checks and Balances» gekontert werden. Vom Kongress aber hat der Präsident nichts zu befürchten. Die Republikaner haben sich ihm faktisch unterworfen, das zeigt sich überdeutlich beim Steuer- und Budgetgesetz, auch bekannt als Big Beautiful Bill (BBB).
Umso wichtiger wäre die Justiz als dritte Gewalt. Einzelne Gerichte widersetzen sich Trumps Anordnungen, doch vom Supreme Court als oberster Instanz kamen zuletzt bedenkliche Signale. Mit seiner rechten 6:3-Mehrheit befand der Gerichtshof die Ausschaffung von Migranten in Drittstaaten für zulässig, selbst wenn ihnen dort Folter und Gewalt drohen.
Fast noch schlimmer war der Entscheid der gleichen Mehrheit, wonach untergeordnete Bundesgerichte Dekrete des Präsidenten nicht landesweit verbieten können. Konkret ging es um die von Trump teilweise gestoppte automatische Einbürgerung bei der Geburt. Nun könnte sie in einzelnen Regionen weiterhin erlaubt, in anderen hingegen verboten werden.
Ein Grundsatzurteil zu diesem Thema dürfte es erst in einem Jahr geben. Die drohende Willkür widerspricht den Vorgaben der US-Verfassung. Doch der Supreme Court will dem Präsidenten offenbar eine umfassende Machtfülle einräumen, wie das Immunitätsurteil im letzten Jahr gezeigt hat. So hatten sich das die Gründerväter nicht vorgestellt.
Widerstand gegen Trumps Politik kommt aus den demokratisch regierten Bundesstaaten, vor allem aus Kalifornien, dem bevorzugten «Hassobjekt» des republikanischen Präsidenten. Als es kürzlich in Los Angeles zu Ausschreitungen wegen der Festnahmen durch ICE kam, liess Trump die Nationalgarde und 500 Elitesoldaten des Marinecorps aufmarschieren.
Er tat dies gegen den Willen des demokratischen Gouverneurs Gavin Newsom. Dieser warf Trump «eklatanten Machtmissbrauch» und einen «Angriff auf die Demokratie» vor. Tatsächlich war die von Trump und Stephen Miller heraufbeschworene «Anarchie» in LA ein schlechter Witz. Die Krawalle beschränkten sich in dem riesigen Moloch auf ein paar Strassenzüge.
Es werde in Kalifornien nicht aufhören, warnte Newsom: «Andere Staaten sind als Nächstes an der Reihe.» Donald Trumps Attacken auf den Föderalismus sind historisch betrachtet haarsträubend, denn in den Zeiten der Rassentrennung in den US-Südstaaten hatten gerade die identitäre Rechte die sogenannten «State’s Rights» inbrünstig verteidigt.
Gavin Newsom hat sich als eine Art inoffizieller Oppositionsführer herauskristallisiert, was nicht gerade für die Demokratische Partei spricht. Sie tut sich schwer, die richtigen Schlüsse aus der Niederlage im letzten November zu ziehen. So spielt sie nach den althergebrachten Regeln gegen einen autoritären Staatschef, der genau diese Regeln zerschmettern will.
Der Sieg des «demokratischen Sozialisten» Zohran Mamdani bei der Vorwahl für das Amt des New Yorker Bürgermeisters sagt einiges aus. Denn als einziger ernsthafter Gegner trat jener Andrew Cuomo an, der als Gouverneur von New York nach Vorwürfen wegen sexueller Belästigung zurücktreten musste. Da muss man sich über Mamdanis Erfolg nicht wundern.
An der Basis sieht es nicht besser aus. Die «No Kings»-Kundgebungen am Tag der Militärparade in Washington waren eindrücklich, und die «Free America»-Demos am Independence Day dürften ähnlich ausfallen. Aber von einer breiten Volksbewegung gegen Trump kann (noch) nicht die Rede sein. Viele Amerikaner haben Angst, sich zu exponieren.
Es sind ebenfalls Symptome eines zunehmend autoritären Klimas. Viele Institutionen haben vor Trump kapituliert: Anwaltskanzleien, Medien, Universitäten. Staatliche Einrichtungen werden im Sinn des Präsidenten zerlegt und umgebaut. Dabei findet in genau einem Jahr ein sehr spezieller Unabhängigkeitstag statt: der 250. Geburtstag der Vereinigten Staaten.
Im besten Fall wird das Mega-Jubiläum 2026 eine Party in einem tief gespaltenen Land. Doch man sollte sich darauf gefasst machen, dass der diesjährige Independence Day Amerikas letzter Geburtstag in Freiheit sein wird. Oder zumindest jener universellen Idee von Freiheit, für die die Vereinigten Staaten ein Leuchtturm für die ganze Welt waren.
Eine Diktatur werden die USA unter dem Möchtegern-König nicht, dafür ist das Land zu gross, zu vielfältig, zu widersprüchlich. Und vielleicht stolpert Trump über seine Zoll- und Finanzpolitik. Man darf am Freitag den Independence Day feiern, doch nach knapp einem halben Jahr Trump 2.0 gilt die Devise: Auf das Beste hoffen, mit dem Schlimmsten rechnen.
So werden die USA wieder Wettbewerbsfähig.