Wer beruflich regelmässig Kontakt zu Kindern hat, soll bei Verdacht auf Gefährdung des Kindeswohls die Behörden informieren müssen. Die Rechtskommission des Nationalrates will die Meldepflicht nun doch ausweiten. Sie ist auf einen früheren Entscheid zurückgekommen.
Mit 13 zu 10 Stimmen bei 2 Enthaltungen beantragt die Kommission ihrem Rat, auf die Kindesschutzvorlage einzutreten, wie die Parlamentsdienste am Freitag mitteilten. Ausschlaggebend für den Meinungsumschwung sei die Tatsache, dass damit eine Lücke für den Schutz von Kleinkinder geschlossen werde, hält die Kommission fest.
Neu sollen beispielsweise auch Angestellte von Kinderkrippen verpflichtet sein, bei Verdacht auf Gefährdung des Kindeswohls Meldung an die Kindesschutzbehörden zu erstatten. Die Pflicht soll generell für alle Fachpersonen gelten, die beruflich regelmässig mit Kindern Kontakt haben.
Heute müssen nur Personen in amtlicher Tätigkeit - beispielsweise Lehrer oder Sozialarbeiter - den Behörden grundsätzlich mitteilen, wenn ein Verdacht auf Kindeswohlgefährdung besteht. Kleinkinder kämen selten mit Lehrern in Kontakt, gibt die Kommission zu bedenken.
SVP und FDP dagegen
Bevor der Nationalrat entscheiden kann, muss die Kommission nun noch die Details beraten. Letzten Frühling war der Nationalrat seiner Kommission gefolgt und hatte mit 96 zu 88 Stimmen bei 2 Enthaltungen beschlossen, nicht auf die Vorlage einzutreten. Durchgesetzt hatten sich die SVP und die FDP.
Im Ständerat stellten sich nur die Vertreter der SVP gegen die Vorlage. Die kleine Kammer hiess die Gesetzesänderungen mit 33 zu 5 Stimmen bei 4 Enthaltungen gut. Nun ist wieder der Nationalrat am Zug. Das Parlament hatte dem Bundesrat ursprünglich den Auftrag für eine Gesetzesänderung erteilt.
Misshandelte Kleinkinder
Justizministerin Simonetta Sommaruga erinnerte in den Räten an die grosse Zahl von Misshandlungen. 2014 hätten die Kinderkliniken 1400 Fälle gemeldet. Fast die Hälfte der betroffenen Kinder sei unter sechs Jahre alt gewesen, ein Viertel unter zwei Jahre.
Das Parlament habe in den letzten Jahren bei den Tätern angesetzt, stellte Sommaruga fest. Das sei wichtig. Um Straftaten zu verhindern, müsse aber sichergestellt werden, dass jemand hinschaue. Nicht jede Meldung an die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden (KESB) führe zu einem Eingreifen.
Vorstösse zu KESB abgelehnt
Die Kommission hat an ihrer Sitzung auch vom Bericht des Bundesrates zu den ersten Erfahrungen mit dem neuen Kindes- und Erwachsenenschutzrecht Kenntnis genommen. Sie hält fest, sie anerkenne die Qualität des Berichts. Dieser liefere einen wichtigen Beitrag zur Versachlichung der Diskussion.
Standesinitiativen und parlamentarische Initiativen zur KESB hat die Kommission abgelehnt. Die SVP-Fraktion fordert mit parlamentarischen Initiativen, dass wenn möglich Familienangehörige als gesetzliche Vertreter eingesetzt werden und dass Gemeinden bei KESB-Massnahmen ein Beschwerderecht erhalten. Letzteres fordert auch der Kanton Schaffhausen mit einer Standesinitiative.
Positive Zwischenbilanz
Aus Sicht des Bundesrates gibt keinen Grund, die Arbeit der KESB grundsätzlich in Frage zu stellen. Er will aber abklären, wie diese Grosseltern und andere nahestehende Personen besser einbeziehen könnten. Weiter will er prüfen, ob das Vorgehen der KESB bei Gefährdungsmeldungen konkreter geregelt werden kann.
Die Zahl der behördlichen Massnahmen hat mit dem neuen Recht tendenziell abgenommen - bei den Kindern seit 2013 um 1.3 Prozent pro Jahr. Im Jahr 2014 wurde in 1518 Fällen die Fremdplatzierung eines Kindes angeordnet. In 30 Prozent der Fälle waren die Eltern damit einverstanden. (sda)