Ein schockierendes Video hat sich auf der Online-Plattform Instagram zum Klickhit entwickelt. Es zeigt die Videobotschaft einer Jugendlichen aus Dietikon ZH an eine Gleichaltrige. Sie blickt in die Kamera ihres Smartphones und sagt zu ihr: «Also du kleine Nutte. Wir finden dich schon. Du wirst genauso sterben wie Sabrina*.»
Gemeint ist ein 13-jähriges Mädchen aus Spreitenbach AG, das sich Ende August das Leben genommen hat. Die Tat hat in den sozialen Medien ein grosses Echo ausgelöst und wurde von Jugendlichen schweizweit diskutiert. Viele Kommentare drückten Mitgefühl aus, einige fielen aber gehässig aus.
Jemand schrieb: «Bring dich doch selber um.» Mit dem nun aufgetauchten Video teilt die Jugendliche mit, dass sie Sabrina mit Mobbing zur Verzweiflung gebrachte habe und ihrem neuen Opfer dasselbe Schicksal drohe.
Auch dieses Video wurde schweizweit geteilt. Jugendliche verbreiteten es zuerst auf privaten Kanälen von Snapchat, Instagram und Whatsapp, wo es nur von «Freunden» gesehen werden kann. Dann stellte es jemand auf eine öffentliche «Unterhaltungsseite» von Instagram, wo es für alle Nutzer einsehbar ist.
Mit einem Klick wurde die Täterin zum Opfer und geriet in einen Shitstorm. In einer Woche wurde das Video 8500-mal aufgerufen und 100-mal kommentiert. Mit derselben Brutalität, mit der die Mobberin ihr Opfer angriff, wird sie in den Kommentaren selber attackiert. Die Chats geben einen Einblick in einen Alltag, zu dem die meisten Eltern und Lehrer keinen Zugang haben (siehe Illustration).
Nun ermittelt die Jugendanwaltschaft Limmattal/Albis gegen die Verfasserin der Videonachricht. Sprecherin Sarah Reimann sagt: «Wir können bestätigen, dass die Jugendanwaltschaft Limmattal/Albis eine Strafuntersuchung betreffend Drohung gegen eine Jugendliche führt. Die strafrechtlichen Untersuchungen laufen, es gilt die Unschuldsvermutung.»
Früher beleidigten sich Jugendliche auf dem Schulweg und auf dem Pausenplatz – heute tun sie es auf Snapchat und Instagram. Jede dritte Ehrverletzung, die bei der Zürcher Jugendanwaltschaft angezeigt wird, fand im Internet statt. Dazu gehören Jugendliche, die sich in sozialen Netzwerken beschimpfen, Fake-Profile erstellen oder verleumderische Aussagen posten.
Die physische Gewalt unter Jugendlichen ist zwar rückläufig – nicht aber die psychische. Die Jugendstrafurteilsstatistik verzeichnete 2015 so wenige kriminelle Jugendliche wie nie zuvor seit Beginn der Auswertungen im Jahr 1999. Das hängt mit einem veränderten Freizeitverhalten zusammen. Jugendliche begehen die meisten Straftaten abends und nachts, wenn sie sich auf öffentlichen Plätzen treffen und in den Ausgang gehen.
Inzwischen findet der soziale Austausch seltener auf Partymeilen und häufiger auf Online-Plattformen statt. Snapchat statt Saufgelage. Das hat positive Folgen: Die Jugendgewalt ging zurück. Ob der Trend anhält, ist allerdings unklar. 2016 wurde erstmals wieder eine leichte Zunahme verzeichnet.
Das neue Freizeitverhalten hat aber auch negative Folgen: Die Zahl der Verurteilungen wegen Ehrverletzungen, Drohungen und Nötigungen hat in den vergangenen Jahren zugenommen. Es handelt sich um Delikte, die vor allem online begangen werden. Die Verurteilungen wegen Pornografie haben sich seit 2010 sogar verdreifacht. Auch das ist ein klassisches Online-Delikt. Stellt ein Jugendlicher zum Beispiel einen Porno in einen Klassenchat mit unter 16-Jährigen, macht er sich strafbar.
Die Online-Delikte nehmen in der Statistik auch aus einem anderen Grund zu. Das Smartphone eignet sich nicht nur als Tatwerkzeug, sondern auch als Beweismittel. Auf dem Pausenplatz ausgesprochene Drohungen sind kaum belegbar, auf Video aufgenommene hingegen schon. Das macht beiden Seiten das Leben schwer: Täter werden einfacher überführt, Opfer sind stärker betroffen. Die Beleidigungen werden nicht nur auf dem Pausenplatz verbreitet, sondern im World Wide Web, und oft für immer gespeichert.
Die Täterprofile verändern sich ebenfalls. Es sind überdurchschnittlich oft Mädchen, die Cybermobbing betreiben. Während Buben weiterhin auf altmodische Art ihre Fäuste sprechen lassen, nutzen Mädchen vermehrt die neuen Medien für psychische Gewalt.
Die Jugendliche aus Dietikon, welche die Todesdrohung in die Kamera sprach, hat ihre Lehre aus dem Shitstorm gezogen. Sie löschte ihre digitale Identität und schaltete ihre Accounts ab. Zu spät: Ihr Video wird weiterhin geteilt und kommentiert.
Sabrina bleibt ebenfalls in digitaler Erinnerung. Sogar Teenager, die ihr nie begegnet waren, posteten auf ihren Profilen «R.I.P. my Angel». Eine Freundin fragte an der Beerdigung mehrere Gäste, woher sie die Verstorbene kennen würden. Die Antwort: «von Instagram».
* Name geändert