Stellen Sie sich mal vor, die Schweizer Nationalliga A würde aus zwei Vereinen bestehen. Beispielsweise dem SC Bern und den ZSC Lions. Und stellen Sie sich vor, die beiden würden sich pro Saison in einer Art «Monster-Playoffs» 10-mal duellieren. Hin und her und her und hin und hin und her. Das Team mit den meisten Siegen wäre dann Meister.
Langweilig? Absolut. Aber in der DDR war genau dieses Szenario 20 Jahre lang Realität. Es gab ab 1970 bis zum Mauerfall nur zwei Mannschaften, die auf professioneller Basis Eishockey spielten: Dynamo Berlin und Dynamo Weisswasser.
Und das kam so: 1969 hatte das Politbüro der regierenden kommunistischen Partei SED auf Vorschlag des Deutschen Turn- und Sportbundes der DDR (DTSB) dem Eishockey aus Kostengründen die Förderung entzogen. Von Rudi Hellmann, damals Staatssekretär für Körperkultur und Sport, ist folgende Aussage überliefert: «Um Eishockey zu betreiben, benötigt man jährlich die Finanzen von etwa zwei Hochseefisch-verarbeitenden Kühlschiffen. Also, liebe Sportler, was brauchen wir dringender: Eishockey oder Kühlschiffe?»
Das staatliche Dekret wurde prompt und ohne mit der Wimper zu zucken umgesetzt. Beim Gruppenligisten BSG Aufbau Schönheide lief das dann so ab: Ein Politfunktionär teilte den Aktiven die Nachricht mit und befahl: «Du gehst ab sofort nach Weisswasser und du nach Berlin. Der Rest gibt die Ausrüstung ab. Der Trainer ist hiermit entlassen.»
In Berlin und in Weisswasser blieben von der ursprünglich sieben Mannschaften umfassenden Oberliga also deren zwei übrig. Und zwar nur dank des Einsatzes des ehemaligen Stasi-Chefs Erich Mielke, der einerseits grosser Eishockey-Fan und anderseits Vorstandsvorsitzender bei Dynamo Berlin war.
Hilfreich für das Überleben des Sports in der DDR war auch, dass die grossen Bruderländer Sowjetunion und CSSR als Eishockey-Hochburgen einen gewissen Druck auf den kleinen Bruder DDR ausübten und forderten, dass zumindest der Meister am Europapokal teilnimmt und auch weiterhin eine Nationalmannschaft an die Weltmeisterschaften geschickt wird.
Wie gross das Potenzial des Eishockeys in der DDR gewesen wäre, zeigt sich alleine anhand der Tatsache, dass das Nationalteam ungeachtet der Minimeisterschaft während vieler Jahre zu der damals nur acht Mannschaften umfassenden A-Weltmeisterschaftsgruppe gehörte. Doch auch in dieser Beziehung hatte die Politik ihre Finger im Spiel: Nach ihrem Abstieg 1985 in die B-Gruppe hatte die DDR-Auswahl auf DTSB-Weisung die entscheidenden Spiele zu verlieren, um einen erneuten Aufstieg zu vermeiden. Darüber hinaus wurde – obwohl sportlich qualifiziert – bei sämtlichen Olympischen Winterspielen zwischen 1972 und 1984 auf das Startrecht verzichtet.
Es gibt Experten, die der DDR eine Entwicklung wie in Schweden oder Finnland zugetraut hätten, wenn man das Eishockey weiter gefördert hätte. Zum Vergleich: Die Schweiz fristete in den 1970- und 80er-Jahren ein trauriges Dasein zwischen B- und C-Gruppe. Nicht zuletzt dem «freiwilligen» sportlichen Rückzug der ostdeutschen Auswahl in den späten 80ern (und schliesslich der Auflösung der DDR) war der gleichzeitige Aufstieg der Schweiz in Richtung Weltspitze geschuldet.
Das monotone Hin-und-her zwischen Berlin und Weisswasser tat der Begeisterung für das Eishockey übrigens keinen Abbruch. In Weisswasser, ganz im Südosten der ehemaligen DDR gelegen, war die Sportart die klare Nummer eins und Hauptunterhaltungsattraktion. Regelmässig strömten bis zu 14'000 Zuschauer ins Freiluftstadion. Die verhassten Hauptstädter waren für die Arbeiter aus den Kohlebergwerken der Lausitz ein beliebtes Feindobjekt. In Berlin verloren sich dagegen durchschnittlich lediglich 500 Zuschauer im Sportforum Hohenschönhausen.
Überlebt haben – dank US-Investoren – trotzdem nur die Berliner. Aus Dynamo wurde später Eisbären. In Weisswasser kämpft man in einer strukturschwachen Region ums Überleben. Die Kohle fehlt – im Berg und in der Kasse.