Anita Chaaban, die Urheberin der Verwahrungs-Initiative, plant ihren nächsten Coup an der Urne. Wird ein Sexualstraftäter rückfällig, sollen sich Gutachter, Behördenmitglieder und Richter persönlich für ihre Fehlentscheidungen vor Gericht verantworten müssen.
Geht es nach Chaabans Logik, wird dem Kausalzusammenhang ein weiteres Glied hinzugefügt. Ist der Autofahrer Schuld am Unfall oder schon der Autoverkäufer? Den Autoverkäufer zu belangen, ist nach heutigem Rechtsverständnis unzulässig. Genau dies würde nach Chaabans Forderung aber geschehen.
Ob das gut oder schlecht ist, müssen Sie als Leserin oder Leser entscheiden. Hier ein paar Beispiele, wohin das führen könnte:
Im schlimmsten Fall entscheiden Ärzte über Sein oder Nichtsein. Wer jahrzehntelang raucht, muss sich nicht wundern, wenn die Onkologin den Krebs nicht mehr heilen kann. Wenn die Ärztin deswegen vor Gericht gezogen wird, steigert das nicht gerade die Attraktivität des Berufs.
In einem Staat ohne Minderheitenschutz herrscht die Diktatur der Mehrheit, nicht die Demokratie. Viele Abstimmende entscheiden nicht mehr rational, sondern mit der Wut im Bauch. Weil sich der Wutbürger keine Gedanken mehr über die Konsequenzen eines Ja oder Neins macht, müsste man ihn an seine Verantwortung erinnern. Soll künftig gegen das gesamte Stimmvolk geklagt werden können, weil der Entscheid «falsch» war?
Demokratie bringt es mit sich, dass Politiker Wahlen gewinnen müssen. Darum erzählen sie, was die Wähler hören wollen. Tiefere Steuern, eine heile Schweiz und soziale Gerechtigkeit werden versprochen. Indem man Amtsträger nicht mehr wählt, kann man Politiker bereits für nicht eingehaltene Versprechen zur Verantwortung ziehen. Wer kandidierte noch, wenn er wegen leeren Versprechen angeklagt werden könnte?
Religionen leben von Heilversprechen. Doch was ist, wenn einem trotz Einhaltung der Regeln der Zugang zum ewigen Leben verwehrt bleibt? Kann man dann vor Gericht ziehen? Und wenn ja, wo und gegen wen?
Ihr Leben ist die Lüge. Um ein Produkt zu verkaufen, muss es im besten Licht präsentiert und damit übertrieben werden. Zwar kann man gerichtlich gegen unlautere Werbung vorgehen. Um der täglichen Überdosis an Übertreibungen Herr zu werden, müssten aber ganze Heerscharen an Anwälten ans Werk gehen.
Zwar kommen durchaus Wirtschaftsführer vor Gericht. Allerdings nur, wenn sie nachweislich absichtlich die Firma gegen die Wand fahren. Was nicht völlig illegal ist und der Firma oder dem eigenen Profit nützt, wird normalerweise gemacht. Deshalb kommt kaum ein Manager vor Gericht, wenn er die Umwelt verschmutzt oder Massenentlassungen vornimmt, nur weil es den Börsenkurs verbessert.
Sie empfehlen dem Manager die Umstrukturierung des Unternehmens oder eine Steueroptimierung. Unternehmensberater sind immer zur Stelle, wenn Kosten gespart werden sollen. Im besten Fall werden damit Konzerne vor dem Konkurs bewahrt. Was aber, wenn die Umstrukturierung zu Stellenabbau führt, um den Shareholder Value zu erhöhen? Was, wenn global riesige Steuersummen fehlen, weil Firmen Gewinne verbergen? Hilft hier ein Gang vor Gericht?
Sie versprechen Gewichtsverlust, längeres Leben und verbesserte Gesundheit. Das natürlich bei maximalem Genuss. Manche Gesundheitstipps und Diäten schaden über eine längere Zeit angewendet der Gesundheit. Kann man dagegen klagen oder sollte man sich nach der 27. missglückten Diät vielleicht an die eigene Nase fassen?
Was, wenn beim ersten Date die Suppe versalzen, das Filet zäh wie ein Autoreifen und das Dessert nach nichts schmeckt? Das kann die Laune verderben. Vielleicht wird dann auch nichts aus der grossen Liebe. Den Koch dafür vor Gericht ziehen, kann man aber noch nicht.
Wird das Kind nicht gerade misshandelt, finden sich Eltern kaum vor Gericht wieder. Was aber, wenn die verzogene Göre die Lehrerin aufs Übelste beschimpft oder der Teenager, dem nie Grenzen gesetzt wurden, auf der Strasse Leute verprügelt? Sollten dann nicht die Eltern zur Verantwortung gezogen werden?
Journalisten tragen Verantwortung. Das Produkt ihrer Arbeit ist immer für die Öffentlichkeit bestimmt. Sie benennen Missstände, informieren oder unterhalten. Ist etwas offensichtlich falsch, wird (wenn überhaupt) ein Korrigendum oder eine Gegendarstellung publiziert. Wenn die Wahrheit schmerzt, kann es in Kommentaren Beleidigungen hageln. Im schlimmsten Fall landet ein Medienmensch auch heute schon vor Gericht. Aber das passiert – Meinungsfreiheit sei dank – selten.
Der Schiri hat wieder mal Tomaten auf den Augen oder noch schlimmer: Er pfeift einen ungerechtfertigten Penalty, der dann zum Siegestor für das falsche Team führt. Ein so unglücklich verlorenes Spiel kann dazu führen, dass der Verein nicht den Weg in die Champions League schafft. Millionenausfälle für die Clubs wären die Folge. Vielleicht führt Den-Schiri-auf-Schadenersatz-verklagen trotzdem noch zum Erfolg?
Wie oft haben sich Herr und Frau Schweizer schon geärgert, wenn das Wetter nicht exakt so eingetreten ist, wie prophezeit. Natürlich gibt es Leute, welche die Schuld bei Thomas Bucheli suchen, weil sie auf der Wanderung – trotz prophezeiter Sonne – nass werden. Aber: Eine Vorhersage ist deshalb unsicher, weil sie sich mit der Zukunft befasst. Um in der Logik von Chaaban zu bleiben, müsste man das Wetter verklagen. Kann man leider nicht, man kann sich aber einen Regenschutz einpacken.
@watson_news Spannend, m. E. dürfte die Verantwortung von Journalisten/Medien durchaus noch grösser & haftpflichtiger umschrieben werden.
— Roland Binz (@RolandBinz) 25. April 2014
@watson_news - Am besten und sinnvollsten finde ich die Haftung der ELTERN!
— Peter A. Brügger (@pbruegger) 25. April 2014