Auch Stunden nach der Tat sind die Details der Attacke auf das afghanische Militär-Camp Qargha noch nicht klar. Sicher ist nur: Ein Mann in Armeeuniform hat in den Mittagsstunden wild um sich geschossen. Ein US-Zweisterne-General ist tot, ein deutscher Brigadegeneral schwer verletzt. Zudem wurden bei dem blutigen Zwischenfall 13 Isaf-Soldaten und drei Afghanen verwundet.
Die deutsche Bundeswehr teilte mit, in dem Camp habe es am Morgen ein sogenanntes Key Leader Engagement gegeben. Dabei treffen sich ausländische und afghanische Offizielle zum Meinungsaustausch und zur Planung von gemeinsamen Missionen. Der deutsche General war anwesend, da er als Berater im afghanischen Wehrressort eingesetzt ist.
Während des Treffens eröffnete gegen 12.30 Uhr Ortszeit der Täter das Feuer auf die Offiziere und traf den US-General tödlich. Der Amerikaner wurde aus nächster Nähe erschossen. Er ist der ranghöchste Militär, den die USA seit dem Vietnam-Krieg in Übersee durch einen Angriff verloren haben.
Die Bundeswehr sprach von einer «Innentäter-Attacke». So nennen die Militärs Angriffe von afghanischen Soldaten oder in Armeeuniformen getarnten Tätern auf ausländische Truppen. Ein afghanischer Armee-General berichtete wenig später, der Schütze sei noch im Lager von den internationalen Truppen erschossen worden.
Nach der Attacke herrschte im Camp Qargha Chaos. Per Funk forderten die internationalen Soldaten Hilfe an. Wenig später landeten mehrere Helikopter auf dem Hochplateau nahe Kabul und brachten die Verletzten, darunter auch den Deutschen Michael Bartscher, in das US-Camp Bagram im Norden der Hauptstadt.
Nach der Behandlung konnte die Bundeswehr Entwarnung geben. Bartschers Oberschenkeldurchschuss wurde verarztet, Lebensgefahr besteht nicht. Über den Zustand der anderen Isaf-Soldaten, die meisten von ihnen Amerikaner, war am Nachmittag nichts bekannt.
Ob es sich bei dem Angreifer um einen «echten» Soldaten oder einen eingeschleusten Täter handelte, wird nun untersucht. Die Bundeswehr schrieb am Abend in einer Unterrichtung an ausgewählte Abgeordnete des Bundestags, bei dem Mann habe es sich um einen Soldaten der afghanischen Armee gehandelt. Soldaten aus dem Camp berichteten Spiegel Online indes per Telefon, der Angreifer habe sich mit einem falschen Ausweis Zugang verschafft. In der Vergangenheit waren bei ähnlichen Attacken nur selten eingeschmuggelte Täter am Werk. Meist feuerten echte Soldaten aus Frust oder nach Streit auf die ausländischen Soldaten.
Camp Qargha gilt als eines der modernsten der afghanischen Armee. Das riesige Areal wurde von den Briten renoviert und dient seit zwei Jahren als Offiziersschule für die Afghan National Arm (ANA). Zudem gilt das Camp als Symbol für die geplante Trainingsmission nach dem Abzug der Kampftruppen Ende dieses Jahres. Dann wollen die Nato-Länder die afghanische Armee für mindestens zwei weitere Jahre trainieren und beraten. Berlin will für diese Mission 600 bis 800 Soldaten in Afghanistan belassen und im Norden die Führung der Mission «Resolute Support» (RSM) übernehmen.
Für diese Mission war der heutige Dienstag ein mehr als schwarzer Tag. Noch nie war ein Angreifer so nah an ein hochrangiges Treffen zwischen Afghanen und Isaf-Vertretern gekommen, noch nie wurden bei den bisherigen Attacken Top-Offiziere getötet. Vielmehr glaubten die Strategen der Nato, dass sie die Innentäter-Attacken, im Militärjargon «green on blue» genannt, durch scharfe Sicherheitsregeln einigermassen unter Kontrolle bekommen hätten.
Im Jahr 2012, die Nato startete gerade ihr Konzept des «partnerings» mit den Afghanen, waren innerhalb von nur zwölf Monaten 53 Isaf-Soldaten bei Insider-Attacken gestorben. Ein Jahr später waren es immer noch 16 Tote, dieses Jahr hingegen hatte es erst vier solcher Vorfälle gegeben.
Die blutige Tat wird die Diskussion um das Training für die Afghanen neu entfachen. Klar ist schon heute, dass die Ausbilder nicht mehr mit den Afghanen in Gefechte ziehen sollen.
Attacken wie in Camp Qargha aber, da sind sich alle Militärs einig, sind auch mit schärfsten Sicherheitsvorkehrungen nicht zu verhindern.