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Basejumper Marcel Geser über sein riskantes Hobby

Marcel Geser ist Basejumper und erzählt von seiner Leidenschaft.
Marcel Geser ist Basejumper und erzählt von seiner Leidenschaft.Bild: zvg

Basejumper Marcel Geser über sein riskantes Hobby

Die Berge im Berner Oberland locken jährlich hunderte Basejumper an. Präsident der «Swiss Base Association» und Basejumper Marcel Geser gibt im Interview mit BärnToday einen Einblick in sein lebensbedrohliches Hobby.
15.04.2023, 05:4527.04.2023, 19:27
Fabiola Hostettler / ch media
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BärnToday: Was ist deine Motivation hinter der Leidenschaft?

Marcel Geser: Schon als Kind war ich vom Fliegen sehr fasziniert. Ich hatte damals einen wiederkehrenden Traum vom Fliegen, ohne Hilfsmittel. Meine ganze Familie ist vom Fliegen begeistert, mein Vater war und mein Bruder ist Pilot. Vom motorisierten Fliegen war ich nie ganz begeistert und kam dann im Alter von 26 Jahren zum Gleitschirmfliegen. Das war meine erste, grosse Leidenschaft.

Am Basejumping fasziniert mich, in der Natur zu sein. Dass ich einen Berg hinauflaufen kann, manchmal sehe ich dabei Tiere und bin einfach draussen in den Bergen. Und dann, anstatt einfach runterzugehen, einen Anzug anziehen und ins Tal hinuntergleiten kann. Das ist das, was mir am meisten gefällt. Das ist für mich so die totale Freiheit.

Hast du keine Überwindungs-Angst mehr?

Basejumping ist eine recht mentale Herausforderung. Es gibt Tage, wo es mir überhaupt nichts ausmacht, da freue ich mich einfach nur auf den Sprung. Es gibt aber auch Tage, an denen ich etwas unsicher oder nervöser bin als sonst. Da greife ich auf meine Werkzeugkiste zurück. Wenn man Basejumping erlernt, lernt man auch, mit der Angst umzugehen. Ich habe mir gewisse Techniken angeeignet, damit ich meinen Geist und Körper beruhigen und dann ohne Angst springen kann. Es fällt mir einfach schwerer als an anderen Tagen.

Gab es auch schon Tage, an denen du dich trotz der Methoden nicht zum Springen überwinden konntest?

Ja, das gab es auch schon – das hatte meistens aber mit dem Wetter zu tun. Ich laufe nur dann im Tal los, wenn ich mich gut fühle. Wenn ich Zweifel habe, würde ich schon gar nicht erst auf den Berg laufen. Es gab es schon, dass ich oben war und das Wetter gewechselt hat oder ich die Vorfreude auf den Sprung nicht so hatte. Dann bin ich wieder runtergewandert.

Wie kommt man zum Basejumping?

Ich denke, die meisten Basejumper kommen übers Fallschirmspringen zum Basejumping. Es ist nicht reguliert, es gibt also kein Verbandswesen und keine Lizenz, die man machen muss. Theoretisch könntest du im Internet eine Ausrüstung kaufen und morgen springen gehen. Aber wenn man es seriös machen und lernen will, dann führt der Weg nicht am Skydiving vorbei.

Das heisst, dass man zuerst einen Fallschirmkurs absolviert und dann Basejumper-Schulen besucht. Das machen sie sehr gut und sehr seriös. Diese Schulen erwarten, dass man mindestens 200 Fallschirmsprünge gemacht hat. Wenn man das nicht hat, würden sie einen nicht als Schüler akzeptieren. Viele, die in den Sport kommen, haben schon eine Affinität fürs Fliegen. Alle springen Fallschirm, viele klettern oder sind aktive Gleitschirmpiloten.

Wie alt warst du, als du mit dem Basejumping begonnen hast?

Relativ alt, wenn ich das mit anderen vergleiche, die schon mit 20 Jahren oder jünger damit anfangen. Den ersten Sprung habe ich mit 32 gemacht, also genau vor zehn Jahren.

Kannst du dich gut an diesen Sprung erinnern?

Ja, sehr gut. Ich denke, jeder Basejumper kann sich an seinen ersten Sprung erinnern. Man muss relativ viel Geld und Zeit investieren, damit man zu diesem Punkt kommt. Man muss es wirklich wollen.

Es ist ein langer Weg. Nur schon zum Fallschirmspringen muss man rund 8000 Franken investieren. Du musst den Kurs und dann 200 Sprünge machen und Material kaufen. Dann meldest du dich für einen Basejumpingkurs an, der kostet wieder Geld. Es ist ein sehr langer Prozess. Wenn man dann endlich so weit ist und oben steht, dann denkt man sich «woah, jetzt endlich kann ich das machen, von dem ich so viele Jahre geträumt habe». Das ist auf jeden Fall ein Moment, den man nicht mehr vergisst.

Du gehst wöchentlich basejumpen. Welche Orte sind dir am liebsten?

Ich gehe schon meistens ins Berner Oberland, weil ich bei Spiez wohne. Das ist praktisch, da es nicht weit bis nach Lauterbrunnen ist. Zwei, dreimal im Jahr mache ich eine kleine Reise, dann gehe ich auf Frankreich oder Italien. Ich war auch schon in Spanien springen. Aber die Schweiz ist mit den Bergen, die wir haben, natürlich definitiv eines der besten Länder für Basejumping. Wir haben das Privileg, dass wir das legal machen dürfen. Es gibt Länder, wie beispielsweise in den USA in den Nationalparks, wo man sich verstecken muss. Hier haben wir das grosse Privileg, dass wir hier auf jeden Berg klettern und herunterspringen können, ohne dass das irgendjemanden stört.

Warum ist Lauterbrunnen so beliebt?

Es ist einerseits ein sehr magischer Ort, mit den Wasserfällen und den steilen Wänden. Es ist die Schönheit dieses Tals, die Springer anzieht. Aber es ist auch die Einfachheit, zur Absprungstelle zu kommen. In Norwegen beispielsweise gibt es unglaublich schöne Felswände, sehr schöne Sprünge. Aber du musst für jeden Sprung drei bis vier Stunden gehen.

In Lauterbrunnen kannst du mit dem «Bähnli» hochfahren. Dann bist du in 10 bis 15 Minuten am Exit und kannst springen. Das ermöglicht den Leuten, dass sie mehrere Sprünge am Tag machen können. Besonders zum Üben ist das genial. Es gibt solche, die machen bis zu zehn Sprünge am Tag. Einfach, weil man relativ wenig gehen muss.

Warum gibt es so viele Unfälle in Lauterbrunnen?

Es liegt in der Natur der Sache, dass dort, wo mehr gesprungen wird, auch mehr Unfälle geschehen. Da es legal ist und die Leute aus der ganzen Welt kommen, gehört es leider auch dazu, dass Unfälle passieren. Anfangs der 90er-Jahre haben die Leute begonnen, in Lauterbrunnen zu springen. Der erste Todesfall in Lauterbrunnen hat sich 1994 ereignet. Der Erste, der tödlich verunglückte, war ein Schweizer. Wir schätzen, dass pro Jahr 15'000 bis 20'000 Sprünge gemacht werden im Lauterbrunnental. Auf diese hohe Anzahl Sprünge sind zwei Todesfälle nicht extrem viel. Aber jeder ist einer zu viel, jeder macht uns betroffen und traurig.

Wie gehst du mit diesem Risiko um, dass ein Unfall tödlich enden könnte?

Jeder, der dieses Hobby hat, weiss, dass er ein grosses Risiko eingeht. Jeder behauptet von sich selber, dass er alles macht, um dieses Risiko zu minimieren und dass man aufpasst, keine unnötigen Risiken eingeht und so weiter. Aber es kann jedem passieren, jederzeit. Basejumping gibt mir aber so viel und macht mich so glücklich, dass ich dieses Risiko gerne in Kauf nehme.

Ich habe aber auch gewisse Sachen vorbereitet, falls ich sterben würde. Das ganze Papierzeug habe ich erledigt, damit meine Freundin und meine Familie nicht noch unnötige Probleme hätten, falls mir etwas passiert. Ich glaube, ich habe für mich einen Weg gefunden, der einigermassen sicher ist und hoffe, dass ich das so noch viele Jahre oder so lange, wie es mich glücklich macht, weiter machen kann.

Was wäre ein Grund, aufzuhören?

Sicher aufhören würde ich, wenn es mir keinen Spass mehr machen würde, wenn es mir nicht mehr das geben würde wie in der Vergangenheit. Ich könnte mir vorstellen, dass ich mal an einer Absprungstelle stehen würde und das Gefühl ein anderes ist – vielleicht gelangweilt oder «ich springe jetzt, weil ich springen muss». In einem solchen Fall würde ich hoffentlich spüren, dass meine Zeit als Basejumper vorbei ist. Ein anderer Grund könnte sein, dass ich miterleben würde, wie ein enger Freund vor meinen Augen sterben würde. Da müsste ich überlegen, ob ich es weiterhin machen möchte.

Wie ist es in deinem Umfeld, wann hören Basejumper auf?

Man kann zwar schon mit dem Basejumping aufhören, aber irgendwie bleibt es ein Bestandteil der Leute. Ich habe viele Personen erlebt, die aufgehört haben, aus den unterschiedlichsten Gründen. Aber sie reden noch heute vom Basejumping. Es ist nicht wie Golfspielen, dann hörst du auf damit und es ist kein Thema mehr. Basejumping ist mehr als nur ein Sport – es definiert den Lebensstil.

Man kann das nicht nur so beiläufig machen. Du musst dich mit dem Material und dem Wetter auseinandersetzen, die Absprungstellen kennen und die Unfälle, die passieren, analysieren. Es ist ein zeitintensives Hobby, aber auch eins, das sehr stark Emotionen weckt. Darum ist es auch nicht so einfach, aufzuhören. Viele hören auf, wenn sie sich verletzen oder weil sie einen Freund im Sport verlieren. Es gibt nicht viele, die sagen «ich habe es gesehen, jetzt höre ich auf». Das habe ich noch nicht oft erlebt.

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