Lange Zeit war das Gebäude an der Junkerngasse 54 unbewohnt, es ist in Bern gar als «Gespensterhaus» bekannt. Jean-Daniel Gross, Denkmalpfleger der Stadt Bern, kennt die Geschichte des Hauses besonders gut.
Das um 1500 erbaute Haus gehörte – zusammen mit dem westlichsten Teil des heutigen Béatrice-von-Wattenwyl-Hauses auf der anderen Gassenseite – dem Kloster Interlaken und diente diesem als Sässhaus, Herberge und Verwaltungssitz, wie Gross erklärt. Dabei wurde das heutige «Gespensterhaus» im Erdgeschoss als Stallung und im Obergeschoss zum Wohnen genutzt. Darauf liessen etwa die Fenster mit Fensternische und Sitzgelegenheit schliessen, die man heute noch sehen könne.
Auch die Bauforschung bestätige, dass der Ort früher zum Wohnen genutzt wurde. Richtung Ehgraben, einem der alten Abwasserkanäle Berns, gab es einen Hof, der zusätzlich Licht in die Wohnung brachte. Bis zum Umbau in den 1940er-Jahren waren auch noch Reste einer Wendeltreppe sichtbar.
Wer um die verschiedenen Mythen und Geschichten um das mysteriöse Haus an der Junkerngasse besonders gut Bescheid weiss, ist Ursula Arregger. Seit 35 Jahren arbeitet sie bei Bern Welcome und führt den 90-minütigen Stadtrundgang «Gespenstisches Bern» durch.
Dieser führt natürlich auch am «Gespensterhaus» vorbei. Arregger erklärt die möglichen Gründe hinter dem Spuk: Ein Junker soll ein Dienstmädchen geliebt haben, doch die Heirat sei vom Vater verboten worden. «Der Vater hat die beiden aber in klarer Stellung im Schlafzimmer gefunden, am Hals gepackt und die Treppe hinuntergeworfen», erzählt die Stadtführerin. Die beiden hätten den Sturz nicht überlebt. «Man sagt, dass die beiden Geister immer noch dort sind.»
Eine andere gruselige Geschichte über die Junkerngasse 54 ist noch gar nicht so lange her: 1947 hätten drei Studenten das «Gespensterhaus» besuchen wollen, so Arregger. Trotz Widerstand der Regierung hätten sie darauf bestanden und schliesslich doch eine Chance gekriegt. Eher zum Pech der drei Studenten: Nach drei Tagen seien alle drei gestorben. Ob die Geschichte aber wirklich stimmt, sei ungewiss.
Wer selbst gerne den gespenstischen Rundgang durch die Stadt Bern besuchen möchte, sollte sich noch etwas gedulden. Wie Arregger sagt, macht der richtige Zeitpunkt einen grossen Unterschied: «Der Herbst ist ideal, besonders wegen der frühen Dunkelheit. Wenn es hell ist, kann man sich kaum vorstellen, dass Geister herumlaufen. Auf diese Tour sollte man am besten ab Mitte Oktober bis Februar oder März.»
Wie Jean-Daniel Gross erklärt, war die Reformation von 1528 für das weitere Schicksal des «Gespensterhauses» ausschlaggebend. Damals wurde der Besitz der Klöster eingezogen und ging an den Staat Bern, so auch der obere Teil des Béatrice-von-Wattenwyl-Hauses und das dazugehörende Ökonomiegebäude an der Junkerngasse 54. «1529 hat der Staat die Gebäude bereits wieder an einen Privatmann, den Söldnerführer Hans Frisching, verkauft», sagt Gross.
Das Grundstück wurde damals aber aufgeteilt. «Ein ganz entscheidender Moment», so der Denkmalpfleger. Denn im Wohnbereich wurde es langsam ungemütlich: Nur der bebaute Teil des Grundstücks wurde an Frisching verkauft, der dazugehörige Hof ging hingegen an den nordseitigen Nachbarn. Dieser habe den Hof wohl schon bald danach überbaut.
«Von da an war das Haus zum Wohnen etwas ungünstig», erklärt Jean-Daniel Gross. Hinten sei es ganz «fiischter» gewesen und es habe auch keine Belüftungsmöglichkeit mehr gegeben. Man könne annehmen, dass die oberen Geschosse ab da nicht mehr bewohnt wurden. Mit einer Ausnahme: Um 1900 wurde im 1. Obergeschoss eine Dienstkammer eingebaut. In einem kleinen Teil des Gebäudes muss also jemand – abgesehen von den Geistern – gewohnt haben.
Nun soll das berüchtigte Gebäude zu Wohnraum, Büro und einem Laden umgebaut werden, wie einem Baugesuch zu entnehmen ist. «Wenn es nur kleine Eingriffe sind, es baulich vertretbar ist und die Identität und Integrität des Hauses bewahrt wird, unterstützen wir grundsätzlich Umnutzungen in der Altstadt», erklärt der Denkmalschützer Gross. «In diesem Fall ist es ein ganz bescheidener Ausbau, der das Gebäude und seine Substanz respektiert. Das ist wie wenn ein Dachstock ausgebaut wird, eigentlich ‹Daily Business› in der Denkmalpflege.»
Gross glaubt, dass das Gebäude auch in Zukunft als «Gespensterhaus» bekannt bleiben wird. «Es ist nur ein kleiner Eingriff in das Gebäude und die Geschichte des Gebäudes lebt ja weiter. Die Leute werden sich an den Namen erinnern, den das Haus über Jahrhunderte getragen hat.» Ob es Probleme geben könnte, solche Räumlichkeiten wegen möglichem Aberglauben zu vergeben? «Das wird die Zukunft zeigen, ich hätte zumindest keine Bedenken, einzuziehen», so Gross.
Die Stadtführerin Ursula Arregger kann gut verstehen, dass das Haus umgebaut wird: «Es ist fast unverständlich, dass das Haus an der teuersten Strasse so lange leer gelassen wurde.» Bis jetzt konnte sie selbst nur einmal einen Fuss in das «Gespensterhaus» setzen. So will sie die künftige Chance auf einen Besuch wahrnehmen: «Ich gehe auf alle Fälle rein und will es spüren. Aber wahrscheinlich ist der Spuk vorbei.» Für sie wird es trotzdem weiterhin das «Gespensterhaus» bleiben und auch die Führungen wird es weiterhin geben – auch mit dem neuen, alten «Gespensterhaus».