Ihr Lieben! Geschlagene sechs Mal bin ich durch den Wald hoch auf den Uetliberg gelaufen. Ich hoffte auf eine Eingebung, wie ich euch auf unterhaltsame Art erzählen kann, warum Bäumli-Pflanzaktionen als Shopping- oder Reisekompensation herzlich wenig taugen. Aber nach sechs Tagen mit insgesamt über 2000 Höhenmetern, etwa 30 Kilometern Fussmarsch und sechs SBB-Downhill-Tickets sass ich mit einem Haufen dummer Ideen wieder am Schreibtisch.
Shit happens, aber schön war's trotzdem!
Und dann kam sie. Die nächste (vielleicht dumme) Idee. Mitten in einer schlaflosen Regennacht. Ich rauchte und dachte übers Bäumepflanzen und dieses wirklich dumme Gerauche nach.
Also stellt euch vor: Die Ärztin sagt zum Horst: «Lieber Horst, Sie haben Lungenkrebs und sollten dringend mit Rauchen aufhören.» Aber der gewiefte Horst geht nach Hause und statt mit Rauchen aufzuhören, isst er jetzt nach jeder Zigi einen Apfel. Er kompensiert sein ungesundes Verhalten und sagt später zum Hans-Heiri am Stammtisch: «Diese dummen Ärzte haben einfach keine Ahnung, tsss!», und der Hans-Heiri dann so: «Rächt hesch, du bischt halt ein ganz schlauer Horst!»
Sind wir nicht alle ein bisschen Horst, wenn wir für praktisch alles, was wir uns via Internet reinpfeifen, einen Baum pflanzen lassen, um die verursachten Treibhausgas-Emissionen auszugleichen? Wir können quasi mit gutem Gewissen das Internet leershoppen. Oder wir können den Flug nach Rhodos/Sizilien/Korsika/Antalya und ihre brennenden Wälder buchstäblich als neuen Wald irgendwo im Nirgendwo verewigen.
Ganz dreiste Horsts würden sagen: «Zum Glück rauche ich, sonst würde ich keine Äpfel essen.» Oder: «Ist doch super, wenn ich konsumiere, sonst würde ich keine Bäume pflanzen.»
Fazit: Besser weniger kaufen und das gesparte Geld in seriöse Waldschutz- und Wiederaufforstungsprojekte oder in eine Zug- statt Flugreise investieren.
Mein Gottemeitli – sie ist sieben Jahre alt – würde zu mir sagen: «Oh Mann, Gotti, der Horst muss natürlich mit Rauchen aufhören und trotzdem Äpfel essen, damit er hoffentlich gesund wird.»
So ist es auch mit unseren Treibhausgas-Emissionen: Wir sind längst an dem Punkt, an dem Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler uns buchstäblich um die Ohren hauen, dass wir mit den Abgasen Schluss machen UND gleichzeitig die Wälder schützen sollten (nebst anderen Ökosystemen wie Moorlandschaften oder Ozeanen).
Die grosse Frage lautet daher:
Die Antwort schon mal vorweg: Ihr helft eurem Wald vor der Haustür enorm, wenn ihr mehr pflanzliche und dafür weniger tierische Lebensmittel – insbesondere Fleisch und Milchprodukte – esst und das Velo und den ÖV nutzt.
Das hat mit – Achtung – Pflanzennahrung zu tun oder, genauer, reaktivem Stickstoff. 90 Prozent (!) des Schweizer Waldes bekommt zu viel dieser Pflanzennahrung ab und natürlich sind auch Naturschutzgebiete wie Moorlandschaften betroffen.
Zwei Drittel dieser Pflanzennahrung in Form von Stickstoff stammen aus der Landwirtschaft und hier zu 90 Prozent aus der Tierhaltung, vor allem von Milchkühen und Fleischrindern. Ein Drittel stammt aus Verbrennungsprozessen im Verkehr, in der Industrie und ein Mini-Mü in den Haushalten.
Stickstoffliebende Pflanzen wie Brennnesseln oder Brombeeren verdrängen solche, die weniger Pflanzennahrung brauchen. Letztere verschwinden und mit ihnen die Biodiversität. Klingt banal, ist aber ziemlich schlimm, wie die Schweizer Akademie der Naturwissenschaften hier erklärt.
Paradox, aber zu viel Pflanzennahrung führt zu mangelernährten Bäumen. Denn im Extremfall bewirkt der viele Stickstoff einen Mangel an anderen wichtigen Nährstoffen wie Kalium, Calcium und Magnesium. Sehr vereinfacht gesagt, passieren im Boden einige chemische Reaktionen und das ganze Nährstoff-Chrüsimüsi wird einfach aus dem Boden ins Grundwasser gespült (Die genaue Erklärung vom BAFU gibt's hier). Zudem beeinträchtigt zu viel Stickstoff die Phosphor-Versorgung der Bäume. Alles in allem wachsen sie langsamer und sind anfälliger für Schädlinge und Krankheiten. Sie überstehen eine Dürre schlechter und ein Sturm haut sie schneller um.
Durch den Nährstoffverlust wird der Boden sauer und dann wird's sogar vielen (tiefgrabenden) Regenwürmern zu blöd. Sie verabschieden sie sich in Heerscharen und arbeiten deshalb auch keine Blätter und Nadeln mehr in den Boden und lockern ihn auch nicht mehr auf. Das Nährstoffangebot sinkt weiter.
In der Horst-Analogie würde Horst nun nach jeder Zigi einen Apfel und noch zwei Tafeln Schokolade essen. Weil er dann aber pappenvoll ist, isst er sonst nichts mehr und bekommt auch noch Durchfall. Ihm fehlen wichtige Nährstoffe. Ich sehe schon mein Gottemeitli vor mir, wie sie sich die Hand an die Stirn klatscht und sagt: «Oh Mann, Gotti, der Horst ist soooo dumm!»
Rächt hesch!
Ich hab in jener Regennacht mit Rauchen Schluss gemacht.
Bis bald, hebed üch Sorg, nehmt das Velo und kocht ein paar feine vegane oder vegetarische Gerichte!
Und in der Zwischenzeit gibt's hier die ganze Geschichte nochmals für Gottikinder und alle anderen vom BAFU erklärt und mit Video, aber ohne Horst-Analogie. Und noch ein bisschen was zu Luftschadstoffquellen aus der Landwirtschaft, ebenfalls vom BAFU.
Am besten für Mensch und Globus wären weniger Flugreisen, SUV-Fahren, Fleisch essen und China-Billig Shopping.
Falls sich obiges nicht verhindern lässt, dann immerhin bei klugen Projekten kompensieren.
Ps. im Schnitt Fliegen Schweizer 9000km / Jahr = 3.5 Tonnen
* 9 Mio Schweizer = 30'000'000 TCo2 eq
Ein Ha Wald speichert 6 T pro Jahr, damit benötigen wir um das fliegen zu kompensieren 5'000'000 Hektar Wald. Die Schweiz ist aber nur 4'000'000 Hektar gross.