Die Spatzen pfeifen von den Dächern, die Rauch- und Mehlschwalben ziehen ihre Bahnen und auf dem Tüfihof in Adliswil wird gerade das Frühstück serviert. Joghurt aus der eigenen Kuh- und Schafmilch, Müesli, frisches Brot, Käse und Kaffee. Seit 17 Jahren führen der 58-jährige Thomas Meier und seine 52-jährige Partnerin Heidi Reber den Erlebnishof Tüfi. «Alles dreht sich um den Hof. Das Leben, die Arbeit und die Verwirklichung von Idealen», sagt der ursprünglich gelernte Sozialpädagoge Meier.
Zu Demeter sei er zufällig gekommen. Das Spezielle daran sei unter anderem dies: «Wir führen den Hof biologisch-dynamisch. Das bedeutet nicht nur das Weglassen von Giftstoffen und künstlichen Substanzen, wie das bei einem Bio-Hof der Fall ist, sondern darüber hinaus, dass wir den Betrieb als Ganzes begreifen. Er bekommt selbst ein Wesen und hat wie ein Organismus einen substanziellen Kreislauf.» Überall würden sie versuchen, das «Wesensgemässe» zu suchen, so auch bei den Tieren. Die Kühe etwa sind, wie das bei Demeter der Standard ist, alle behornt.
Zum Hof gehören 24 Hektar Land, 16 Pferde, 10 Milchkühe, Kälber, Milchschafe, zwei Schweine, Hühner, Bienen und eine Katze. Daran angegliedert ist ein Naturhort und zudem bietet der Tüfihof Schulklassen an, vor Ort Schule zu halten. «Der Erlebnishof Tüfi will ein Bauernhof wie im Bilderbuch sein. Ein Ort zum Schauen und Anfassen», ist auf der Webseite zu lesen.
Zum Anfassen und Mithelfen werde ich heute zu genüge kommen. Ich begleite den 22-jährigen Sandro, der hier ein sechswöchiges Praktikum macht. Los geht es mit dem Abfüllen von rund 140 Litern Kuhmilch. Zuvor wurde sie schonend pasteurisiert, das heisst auf 65 Grad erhitzt und eine halbe Stunde warmgehalten. So werden Keime abgetötet, die die Milch schnell sauer werden lassen, lerne ich.
In der Molkerei, die gleich neben dem Hofladen liegt, etikettiere ich die Milchflaschen, während Sandro die Milch abfüllt und mir von seinem Alltag erzählt: «In der Regel arbeiten wir elf Tage und haben dann drei Tage frei. Der Tag beginnt um sechs Uhr morgens, unter anderem mit dem Ausmisten der Kuh- und Pferdeställe, und endet um 18.30 Uhr ebenfalls mit Ausmisten. Bei den langen Tagen bin ich jeweils froh, kann ich in der eineinhalbstündigen Mittagspause noch ein kleines Nickerchen einlegen.» Man gewöhne sich aber schnell an die langen Arbeitstage und die körperliche Arbeit.
Der Nachmittag wird von einem selbst gepflückten Dessert eingeläutet. Zusammen mit Sandro ernte ich in luftigen Höhen Kirschen. Diejenigen, die verhagelt wurden, wandern gleich in den Mund, der Rest wird auf dem Hofladen verkauft. Auf der Wiese unter uns spielen die Kälber, auf der Sportanlage nebenan hören ein paar Basketballspieler deutschen Hip-Hop. Wäre der nicht, man würde sich fernab aller Zivilisation wähnen.
Als Nächstes wollen die Schafe von der Weide geholt werden. «Hossa! Los .. hü, hossa!», ruft Sandro, um sie zusammenzutreiben. Als wir mit der ganzen Herde entlang der Sihl zum Hof zurückspazieren, machen einige Picknicker grosse Augen. Manche Schafe grasen noch gemütlich am Wegrand, gehen dann aber lammfromm und zielstrebig zurück zum Hof.
Im Kuhstall treffe ich auf den 31-jährigen Remo, der die Kühe melkt. Dies wird morgens und abends gemacht. Pro Mal gibt eine Kuh zwischen fünf und zehn Liter Milch. Remo macht die vierjährige Ausbildung zum Demeter-Landwirt und ist schon bald ein Jahr auf dem Tüfihof in Ausbildung. «Das Bauernleben ist wahnsinnig vielfältig», antwortet er auf die Frage, was ihm von all seinen Aufgaben am besten gefällt. Wie bei der Lehre üblich, wechselt er jedes Jahr den Hof. Letztes Jahr war er auf einem Winzerbetrieb, als nächstes will er zu einem Gemüsebauern.
Nach einem Tag voller Eindrücke und einer Kuschelrunde mit den sehr knuddligen Schafen freue ich mich auf meine erste Nacht im Stroh. Ich krieche in den Schlafsack und bin erstaunt, wie bequem das Bett aus Stroh ist und wie gut es riecht. Von den gurrenden Tauben im Dach und lauthals quakenden Fröschen werde ich in den Schlaf gelullt.
Am nächsten Tag geht’s weiter mit der vollen Ladung Natur. Mit dem Fahrrad radle ich via Tierpark Langeberg durch den Naturerlebnispark Sihlwald, der nur vierzig Minuten vom Tüfihof entfernt liegt.
Der Sihlwald ist der grösste naturbelassene Buchenmischwald des Schweizer Mittellandes und wird seit dem Jahr 2000 sich selbst überlassen. Im Schneckentempo krieche ich die Kieswege entlang und bin froh, verläuft der Weg, den ich via Tobelstrasse nehme, kaum steil. Zudem sorgen die umgefallenen Bäume und Totholz für viel Abwechslung in Form von unüblichen geometrischen Gebilden.
Via Sihlbrugg und Lorzentobel erreiche ich die Höllgrotten in Baar. Diese Tropfsteinhöhlen liegen 22 Kilometer vom Tüfihof in Adliswil entfernt und gemäss Google Maps hätte ich für die Strecke bloss eine Stunde und zehn Minuten brauchen sollen ... nun gut, nach etwa doppelt so langer Zeit und vielen Zwischenstopps für Fotos und Essen, freue ich mich schon auf eine Abkühlung in den Höhlen. Hier herrscht nämlich eine konstante Temperatur von 10 Grad.
Für zwölf Franken kann die Höhle selbstständig durchwandert werden (April–Oktober, 9–17 Uhr), was etwa 45 Minuten dauert. Die Rekrutenschüler, die gleich hinter mir die Höhle betreten, geben unter lautem Gegröle zum Besten, was wir von unserer Schulzeit bestimmt alle noch wissen: Stalaktiten werden die Tropfsteine genannt, die von oben nach unten wachsen, Stalagmiten heissen die Gebilde, die von unten nach oben verlaufen.
Dank den vielen Infotafeln in der Höhle lernen die Besuchenden aber noch einiges mehr. So etwa, dass die Höllgrotten weltweit einzigartig sind. Mit ihren 3000 Jahren sind sie nämlich sehr jung und bildeten sich an der Oberfläche, während andere Grotten im massiven Felsuntergrund durch unterirdisch abfliessendes Wasser während Millionen von Jahren entstanden sind.
Nach einem wohlverdienten «Höllbier» radle ich an den Bahnhof Baar und nehme den Zug nach Hause. Mein Entschluss für die Sommerferien steht fest: Ich reise nicht ins Ausland und freue mich schon darauf, weitere Ausflüge in der landschaftlich vielfältigen Schweiz zu machen.