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Ludmila Balkanovic

Wie Balkaner und Jugo-Mütter fluchen

Ludmila Balkanovic

«Löli», meint meine Mutter und sagt: «Ich scheiss dir in deinen Mund»

Kettenrauchen, dramatisch sein, bereits am Morgen Schnaps trinken und unter jeder Sau fluchen: Willkommen in den Königsdisziplinen des Balkaners.
16.03.2017, 10:5805.05.2017, 08:03
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«Jebo te, sine, gde si!?!», plärrte meine Mutter kürzlich ins Telefon. Ich hatte mich ein paar Tage nicht gemeldet. Sie ist panisch, sieht mich bereits tot in einem Strassengraben liegen. Jugos sind dramatisch. Und sie fluchen. Oft, ohne es bös zu meinen. So wie meine Mutter am Telefon, als sie mich eben mit «Ich fick dich, mein Kind, wo bist du!?!» begrüsste.

Ludmila Balkanovic
Unsere neue Kolumnistin Ludmila wuchs zwischen Mani Matter, Kettenrauchern, harten Schweizer Schulregeln und einer «Fuck the System»-Kultur auf. Hier erzählt die Mittdreissigerin aus ihrem Leben zwischen Schweizer Bünzli- und dem Jugotum.

Es tue mir leid, dass ich abtauchte, sage ich, wohlerzogen wie ich bin, zu Mama. «Serem ti se u usta», antwortet sie. Zu deutsch: «Ich scheiss dir in deinen Mund». Du hältst meine Mutter für wahnsinnig respektlos? Ist sie nicht.

Bist du dir sicher, dass man so nicht miteinander redet? Tut man doch. Mit aller Mutterliebe, die man in sich hat. Das verwirrt dich? Wirst du doch von Ihrer Mama maximal «Löli», «Totsch» oder vielleicht mal «Glünggi» genannt.

«Läck, Chind, wo stecksch?!?»

Unser Telefonat dauert jedenfalls rund zehn Minuten. Als ich die sehr kurzfristige Einladung zum Znacht bei ihr und meinem Vater ausschlage, serviert sie mich mit einem lachenden «Jebo ti pas mater» ab. Für die Übersetzung dieser Worte musst du stark sein. «Jebo ti pas mater» heisst nämlich nichts anderes als «Möge der Köter deine Mutter ficken».

Nun, nehmen wir Mama Balkanovic beim Wort, fasse selbst ich mir an den Kopf: Wie abgefahren, wenn deine eigene Mutter deine Mutter beleidigt? Aber auf Jugo – der Muttersprache des Fluchens – gehören Ausdrücke wie oben erwähnte zum täglichen Gebrauchsjargon. Hätte das Telefonat mit Mum auf Deutsch stattgefunden, was durchaus hätte sein können, hätte es wie folgt getönt:

Mum: «Läck Chind, wo stecksch die ganz Ziit?»
Ich: «Sorry, Mami, voll viel z tue grad.»
Mum: «Okay, han dänkt, du chöntsch hüt zabig bi eus Znacht ässe.»
Ich: «Ich wür gern, han aber scho öppis anders vor.»
Mum: «Okay, dänn halt nöd. Denn aber gern glii mal, okay?!»
Ich: «Ja, klar.»
Mum: «Super. Denn bis bald, Schatz.»
Ich: «Supi. Tschüss, Mami.»

Wenn homophobe Männer Schwänze wollen

Am spannendsten wird es, wenn zwei Balkaner aufeinandertreffen. Heterosexuelle natürlich. Die Akzeptanz der Homosexuellen ist auf dem Balkan – gelinde gesagt – leider noch nicht ganz angekommen. Dafür die Drei-Küssli-Begrüssung. Die ist auch unter echten, meist homophoben Kerlen unproblematisch. Genau so wie der Satz «Jebem ti majku, gde si!?». Zu Deutsch: «Ich fick deine Mutter, wo steckst du?».

 Schöner und liebevoller könnte eine Balkan-Bromance nicht sein.

Die Herren werden sich um den Hals fallen, ein bisschen Smalltalk betreiben, ein paar Zigaretten rauchen und Schnäpse und mindestens einen sehr starken schwarzen Kaffee trinken. In weniger als einer halben Stunde.

Sie werden sich gegenseitig ein wenig anzünden, bis der eine mit «Hocu malo kurac »antworten wird. Wortwörtlich heisst das: «Ein bisschen will ich einen Schwanz». Umgangssprachlich wird der Ausdruck für «Einen Scheiss will ich» benutzt.

Zum Abschied zurück in die Vagina deiner Mutter

Sitzen die beiden Herren in einer «Kafana», dem Lieblings-Spunten des passionierten Balkaners, und bestellen die Rechnung, gehen die Diskussionen erst richtig los. Balkaner laden ein – und werden nicht gerne eingeladen.

Am besten fährt man also, wenn man zahlt, während der andere auf dem Klo oder so ist. Er wird die Einladung mit einem liebevollen «Idi u picku materinu» quittieren – «Geh zurück in die Vagina deiner Mutter.» Der, der bezahlt hat, wird dem Fluchenden einen Schulterklaps und drei Küsschen geben, bevor beide wieder ihre eigene Wege gehen.

Der Jugo wird dich sofort in sein Herz schliessen, jebo te!

Schöner und liebevoller könnte eine Balkan-Bromance nicht sein.

Probier es aus: Red das nächste Mal mit einem Jugo, pack ein «Jebo te»/«Ich fick dich» vor oder nach jeden zweiten Satz. Der Jugo wird dich sofort in sein Herz schliessen.

Darauf gebe ich dir mein Wort, jebo te!

Eure Ludmila!

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134 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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so wie so
16.03.2017 12:19registriert Juli 2015
Ich komme nicht aus dem Balkan, habe aber viele Freunde von dort. Meine Erfahrung sieht eher so aus, dass in den balkanstämmigen Familien extrem auf Höflichkeit und gute Umgangsformen geachtet wird. Meine Jugo-Schulgspänli waren immer die, die sich am besten benommen haben und am meisten Schläger kassiert haben, wenn sie es nicht getan haben. Heute als Lehrmeisterin bin ich immer wieder erfreut, mit welch guten Manieren balkanstämmige Jugendliche auffahren.
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Dingsda
16.03.2017 14:09registriert Dezember 2014
Ein durchaus amüsanter Artikel, danke dafür.
Soweit ich das beurteilen kann, ist das Fluchen auf dem Balkan nicht gänzlich umgangssprachlich etabliert. Ich sehe es mehr sowas wie eine verschrobene Art und Weise der Bekundung von Vertrautheit und Zuneigung. Man Flucht nur mit jemanden den man gut kennt und mag. Ich habe schon Leute auf dem Balkan kennengelernt die man gut und gerne als Fluchkünstler bezeichnen könnte, die so eine Art 20 bis 25-Fluchwörter-Combo in einem Atemzug zusammendichten können ohne auch nur eine Sekunde überlegen zu müssen. Ich muss schon lachen wenn ich nur dran denke.
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N. Y. P. D.
16.03.2017 11:50registriert Oktober 2015
Endlich bringt uns Bünzlis jemand mal das Jugotum näher. Erfrischend unkompliziert. Spitzenmässig geschrieben.

Über das Wetten und alles was mit Boliden zu tun hat kann man mit "einem Jugo" auch super diskutieren.

Freue mich auf weitere Artikel.
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    Testosteron wie die Titanic
    Ich würde hier gerne über Sex schreiben. Aber: Ich kann nicht.

    Lara ist weg. Nun so richtig. Weg-weg. Wir haben uns noch einmal getroffen, ich erspare euch die Details, es war ein Desaster. Vorwürfe ihrerseits, Verwirrung meinerseits, noch mehr Vorwürfe ihrerseits, noch mehr Verwirrung meinerseits. Hanna hat ihre Nummer am nächsten Tag eigenhändig löschen wollen, weil sie Angst hat, dass ich «schwach werde», was ich aber natürlich übergriffig fand und, Leute, ich kann mich ja wohl noch beherrschen.

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