Als Kind bin ich mit meinem Opi und seinem Feldstecher im Glarnerland manchmal auf die Suche gegangen nach Vögeln, Gemsen und Murmeli. Seine Faszination für die Tierwelt hat sich aber nicht nachhaltig auf mich übertragen. Heute würde es mir in der Schweiz nie in den Sinn kommen, durch Wälder zu schleichen, um Wildtiere zu sehen.
Auf Reisen ist das anders. In fremden Ländern beschäftige ich mich auch mit Dingen, für die ich zu Hause wenig übrig habe. Zum Beispiel mit Schmetterlingen. Meine Freundin Lea und ich haben diese Woche gar einen 150 Kilometer langen Umweg gemacht, um in den mexikanischen Bergen Schmetterlinge zu bestaunen.
Alter Falter, werden einige jetzt sagen, 150 Kilometer für ein paar Schmetterlinge? Jetzt sind sie verrückt geworden! Ich halte dagegen: Verrückt wäre es gewesen, wenn wir die Reise zu den Monarchfaltern nicht gemacht hätten. Denn was wir in der mexikanischen Sierra Nevada, in Wäldern auf rund 3000 Metern über Meer, angetroffen haben, war etwas vom Beeindruckendsten, was ich in meinem Leben bisher gesehen habe.
Hier versammeln sich zwischen Ende Oktober und Anfang März Jahr für Jahr mehrere Millionen Monarchfalter auf einer Fläche von wenigen Fussballfeldern. Die Schmetterlinge suchen sich im Wald windgeschützte Stellen, rücken dicht zusammen und verpassen den Tannen ein orange-schwarz-weisses Kleid. Die Baumstämme und die grünen Tannennadeln sind oft nicht mehr zu erkennen. Und wenn ein Windstoss kommt oder Sonnenstrahlen durch die Bäume dringen, dann flattern tausende Falter gleichzeitig zwischen den Bäumen umher.
Lea und ich blicken rund zwei Stunden gegen den Himmel und kommen aus dem Staunen nicht mehr heraus. Was sich hier vor unseren Augen abspielt, ist pure Magie. Die Tatsache, dass diese Schmetterlinge aus ganz Nordamerika angereist sind, macht das Ganze noch magischer. Diese kleinen Tiere, deren Flügel eine Spannweite von nur etwa 10 Zentimetern haben, sind hunderte oder gar tausende Kilometer weit geflogen, um hier zu überwintern.
Ich finde den Gedanken unglaublich, dass der kleine Falter, der es sich auf meinem Kopf gemütlich macht, vielleicht wie ich vom Süden Kanadas bis hierher, ins Herz Mexikos, gereist ist. Mit dem Unterschied, dass er die mehr als 4000 Kilometer lange Strecke ohne fremde Hilfe geschafft hat und nur acht bis zehn Wochen brauchte. Ich dagegen war mehr als drei Monate unterwegs.
Im Gegensatz zu mir hatte der kleine Weltenbummler auch keine Landkarte zur Verfügung, mit der er sich hätte orientieren können. Wieso er den Weg trotzdem fand, ist nicht eindeutig geklärt. Es wird vermutet, dass sich die Monarchfalter bei ihrer Wanderung am Sonnenstand und mit Hilfe des Erdmagnetfelds orientieren.
Zudem müssen die Informationen irgendwie in ihren Genen verankert sein. Denn die Falter, die im Oktober in der Sierra Nevada eintreffen, erblickten im Süden Kanadas oder in den USA das Licht der Welt und waren noch nie zuvor in Mexiko. Sie sind die Urenkel jener Falter, die im Jahr zuvor die Sierra Nevada Richtung Norden verlassen hatten.
Die Welt bietet unglaubliche Dinge. Warum bloss sind wir in der Ferne neugieriger und lassen uns mehr auf Neues, Ungewohntes ein als zu Hause?