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Junge Frauen leiden besonders an psychischen Problemen – die Gründe

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Gestresst, einsam und pessimistisch – das belastet junge Menschen

Den jungen Erwachsenen geht es gemäss der aktuellen CSS Gesundheitsstudie psychisch wieder etwas besser – doch bei den 18- bis 35-Jährigen bleibt die Situation angespannt, vor allem bei den Frauen. Was vielen besonders zu schaffen macht: Gefühle der Einsamkeit, Zukunftsängste und Leistungsdruck.
10.09.2024, 13:1810.09.2024, 14:54
Manuela Specker
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Erstmals seit vier Jahren hat sich die psychische Verfassung in der Schweizer Bevölkerung verbessert. Das geht aus der aktuellen CSS Gesundheitsstudie hervor. Allerdings bleibt die jüngste untersuchte Alterskategorie (18 bis 35 Jahre) am anfälligsten für psychische Probleme: 2024 gaben immer noch 34 Prozent an, dass es ihnen durchzogen oder sogar schlecht geht.

Diese Werte erstaunen nicht: Ob Prüfungsstress in der Ausbildung, Leistungsdruck bei der Arbeit oder die Ungewissheit, wie sich das Leben in Zukunft gestaltet – es ist das Alter, in dem sich vieles verändert und mehr Selbstverantwortung verlangt wird. Schon vor der Pandemie waren jüngere Menschen tendenziell stärker psychisch belastet.

Hoher Druck – bei der Arbeit und auf Beziehungsebene

Obwohl der Höhepunkt der psychischen Krise bei den jungen Erwachsenen laut der CSS-Studie überschritten sein dürfte, drängt es sich auf, genauer hinzuschauen, gerade auch in Bezug auf Geschlechterunterschiede: Noch immer bezeichnen fast 40 Prozent der jungen Frauen ihre psychische Verfassung als mittelmässig oder gar schlecht. Bei den Männern sind es etwas mehr als 30 Prozent. Was beide Geschlechter eint: Zukunftsängste, gepaart mit einem hohen Leistungsdruck – sei es in der Arbeitswelt oder auf Beziehungsebene. 75 Prozent der 18- bis 35-Jährigen gaben an, sich unter Druck zu fühlen, immer gesund und leistungsfähig zu sein. Das ist der höchste Wert unter allen Altersgruppen.

Lass dir helfen!
Du glaubst, du kannst eine persönliche Krise nicht selbst bewältigen? Das musst du auch nicht. Lass dir helfen. In der Schweiz gibt es zahlreiche Stellen, die rund um die Uhr für Menschen in suizidalen und depressiven Krisen da sind – vertraulich und kostenlos.

Die Dargebotene Hand: Tel 143, www.143.ch
Beratung + Hilfe 147 für Jugendliche: Tel 147, www.147.ch
Reden kann retten: www.reden-kann-retten.ch
Über psychische Gesundheit sprechen: https://www.wie-gehts-dir.ch/
Erste Hilfekurse für psychische Probleme: https://www.ensa.swiss/de/

Aline, 24: «Ich sehne mich nach Stabilität und Sicherheit»

«Ich habe schon oft gelesen, dass junge Menschen unter der Multikrise leiden: Kriege, humanitäre Krisen, wirtschaftliche Ängste, Klimawandel etc. Aber bei mir sind nicht diese grossen Themen der Hauptgrund dafür, dass ich oft mitten in der Nacht mit einem diffusen Angstgefühl und einem Stechen in der Brust aufwache. Ich frage mich dann, wie lange ich die Fassade noch aufrechterhalten kann. Ich muss mich in meinem Beruf unter Beweis stellen, ich möchte irgendwann eine Familie gründen – aber in beiden Lebensbereichen habe ich noch nicht wirklich Fuss gefasst.

Am Arbeitsplatz frage ich mich oft insgeheim, ob andere meinen Job nicht besser erledigen würden und nur auf diese Gelegenheit warten. Ich fühle mich entsprechend stark unter Druck. Beziehungstechnisch schaut es auch eher düster aus: Ich hatte noch nie eine feste Beziehung, die länger als ein Jahr dauerte. Immerhin bin ich damit nicht alleine. Aber ich finde es schon seltsam, dass die Männer meiner Generation eher auf das Konzept der «Situationship» zu setzen scheinen: Sich bloss nicht zu früh festlegen, bloss nicht zu viele Verbindlichkeiten eingehen. Und ich stelle das auch bei manchen meiner Freundinnen fest. Ob das früher auch so kompliziert war? Dieses Unverbindliche wird mir auf Dauer Mühe machen, denn ich bin jemand, die Stabilität sucht. Aber das ist vermutlich zu wenig sexy, da wird man wohl schnell unattraktiv.

Vielleicht bin ich auch einfach zu ungeduldig, ich bin ja erst 24. Ich merke gerade: Meine Sehnsucht nach Stabilität und Sicherheit hat wohl doch etwas mit der Weltlage zu tun. Vielleicht würde ich das Ganze etwas weniger dramatisch empfinden, wenn nicht alles permanent einem Wandel unterworfen wäre.»

Das Verzweifeln über die Weltlage, gepaart mit individuellen Versagens- und Zukunftsängsten. Da kommt einiges zusammen, das die junge Generation zu schultern hat. Sie ist sich sehr wohl bewusst, dass weder der Wohlstandszuwachs noch die Altersvorsorge gesichert sind:

Contentpartnerschaft mit der CSS
Dieser Blog ist eine Contentpartnerschaft mit der CSS Versicherung.

Im Rahmen dieses Blogs werden verschiedene Aspekte der neuen Studie zum Gesundheitszustand der Schweizer Bevölkerung beleuchtet. Die Resultate der aktuellen Studie 2024 werden in insgesamt fünf Beiträgen in diesem Format vertieft.

Es handelt sich nicht um bezahlten Inhalt.

Ramon, 19: «Ich sehe schwarz für unsere Zukunft»

«Mir fehlt je länger, je mehr die Sinnhaftigkeit in fast allem, was ich tue. Wir Jungen haben doch nicht nur wegen des Klimas eine eher düstere Zukunft vor uns. Während die einen sich alles leisten können, müssen andere sich immer mehr nach der Decke strecken und arbeiten bis zum Umfallen, um ein einigermassen würdiges Leben zu leben.

Ich sehe nicht die geringsten Ansätze, wie dies unsere Gesellschaft zu lösen gedenkt. Es herrscht noch immer die Devise: Wer hat, dem wird gegeben. Gleichzeitig habe ich Mühe mit der Selbstgerechtigkeit meiner Generation. Ja, wir protestieren gegen das, was unserer Ansicht nach schiefläuft. Aber wenn es drauf ankommt, schaut dann doch jeder in erster Linie für sich selbst.»

Die stille Epidemie: Einsamkeit

Der grassierende Individualismus wird gerade von Soziologinnen und Soziologen oft als Erklärmuster beigezogen, um den psychischen Belastungen der jüngeren Generation auf den Grund zu gehen. Eng damit verknüpft sind Gefühle der Einsamkeit. Aus anderen Studien ist bekannt, dass die Corona-Pandemie gerade bei den jungen Erwachsenen die Einsamkeit verstärkte: Die Kontakteinschränkungen beeinflussten deren psychosoziale Entwicklung negativ – unter anderem, da ihr Selbstwertgefühl noch stärker von sozialen Kontakten abhängt. Gepaart mit der «Vereinzelung», die zum Signum dieser Zeit geworden ist, scheint Einsamkeit die neue, stille Epidemie unter den jungen Erwachsenen zu sein.

Enzo, 28: «Ich habe viele Kontakte und fühle mich trotzdem einsam»

«An manchen Tagen macht sich bei mir jeweils ein diffuses Gefühl von Einsamkeit breit. Dann krieg ich echt die Krise: Ist es normal, sich in meinem Alter schon einsam zu fühlen? Es geht mir nicht um fehlende soziale Kontakte. Sondern um fehlende Gelegenheiten, wirklich ernste und tiefgründige Diskussionen zu führen. Ja, es geht mir um fehlende Ernsthaftigkeit. Wir scheinen uns nicht mehr richtig füreinander zu interessieren. Auch nicht für das, was um uns herum geschieht.»

Was Enzo beschreibt, ist in der Wissenschaft als «emotionale Einsamkeit» bekannt. Hierbei steht nicht so sehr die Zahl der Kontakte im Vordergrund, sondern das Unbehagen über ein gefühltes Defizit an Nähe und Tiefe. Die soziale Einsamkeit wiederum betrifft Menschen, welche über weniger soziale Kontakte verfügen, als sie sich wünschen. Diese Form der Einsamkeit ist gerade unter jungen Menschen gar nicht so aussergewöhnlich, da sie sich tendenziell viele Freunde wünschen, noch nicht so sehr zwischen Qualität und Quantität unterscheiden und stärker zu sozialen Vergleichen tendieren.

Soziale Medien als Brandbeschleuniger

Hier kommen die sozialen Medien ins Spiel, die als weitere Ursache gelten, warum sich die psychischen Belastungen für die jüngere Generation erhöht haben – insbesondere bei den Frauen. Die Dauer-Verfügbarkeit von Social-Media-Kanälen und geschlechterspezifische Erwartungen stehen in einem engen Zusammenhang: der weibliche Körper ist einem höheren Druck ausgesetzt, bestimmten Normen zu entsprechen. Die Flut an Vergleichsmöglichkeiten mit vermeintlich makellosen Körperbildern auf Social Media betrifft darum vor allem junge Frauen; Störungen des Selbstwertgefühls und negative Einstellungen zum eigenen Körper sind oft die logische Folge. Hinzu kommt, dass auf Social Media nicht nur verglichen, sondern auch bewertet wird. Ausbleibende Likes oder gar digitale Ausgrenzung nagen am Selbstwert, befördern Neidgefühle und bedeuten Dauerstress.

Rollenbilder bleiben wirkmächtig

Die nach wie vor sehr wirkmächtigen Rollenbilder sind auch in anderer Hinsicht ein wichtiges Puzzleteil, um die Geschlechterunterschiede in der Wahrnehmung der eigenen psychischen Gesundheit zu erklären:

Sara, 32: «Wir Frauen setzen uns stärker unter Druck»

«Ich habe einen gut bezahlten, angesehenen Job. Die Anforderungen sind sehr hoch. Wer sich darauf einlässt, weiss eigentlich, was einen erwartet. Ich habe aber unterschätzt, wie sehr dieser dauernde Performance-Druck meine Fähigkeit untergräbt, abzuschalten und einfach mal nichts zu tun. Ich fühle je länger, je mehr eine grosse Diskrepanz zwischen dem, was ich mache, und dem, was ich tatsächlich will. Ich muss dringend etwas an meiner beruflichen Situation ändern, aber was?

Zurückbuchstabieren ist schwierig, ich habe Angst, mich als Versagerin zu fühlen – wo ich doch nicht einmal 33 Jahre alt bin! Tendenziell sind wir Frauen noch mehr unter Druck. Als letztes Jahr eine fast gleichaltrige Kollegin nach der Mutterschaftsauszeit an den Arbeitsplatz zurückkehrte, wurde ich den Eindruck nicht los, dass sie weniger ernst genommen wird und Projekte an ihr vorbeiziehen, in die sie früher integriert worden wäre. Ich kann mir nicht vorstellen, wie ich all diesen Erwartungen gerecht werden könnte, wenn ich auch noch Kinder hätte. Es klingt wie ein Klischee, aber Frauen übernehmen nicht nur mehr Betreuungspflichten, sie müssen sich auch am Arbeitsplatz stärker unter Beweis stellen.

Erst recht, wenn sie junge Mütter sind. Für mich ist das abschreckend. Traditionelle Rollenbilder sind wohl auch in vermeintlich progressiven Umgebungen noch immer stark verbreitet. Wir Frauen kriegen das unterschwellig zu spüren, aber wir setzen uns auch stärker unter Druck als die Männer. Da spielt wohl die Sozialisation eine Rolle.»

Dieser Erfahrungsbericht kann natürlich kein vollständiges Bild vermitteln, warum deutlich mehr junge Frauen als Männer angeben, unter psychischen Problemen zu leiden. Aber er deckt sich mit den bisherigen Erkenntnissen, wonach Frauen sich nicht nur stärker unter Druck setzen, sondern den Druck auf allen möglichen Ebenen stärker zu spüren bekommen.

Diesen Schluss lässt auch die Untersuchung des interdisziplinären Zentrums für Geschlechterforschung der Universität Bern zu. Es hat in diesem Jahr spezifisch die psychische Gesundheit junger Frauen in der Schweiz unter die Lupe genommen. Demnach wird sie vor allem durch drei Faktoren beeinflusst: Leistungsdruck und Stress, soziale Medien sowie die Geschlechterrollen.

Zu den Unterschieden zwischen den Geschlechtern trägt auch die Tatsache bei, dass Frauen nach wie vor weniger Hemmungen haben, psychische Probleme einzugestehen und um Hilfe zu fragen. Die Ergebnisse der CSS Gesundheitsstudie decken sich mit Untersuchungen in Deutschland. Die Studie der Bertelsmann Stiftung nahm die 16- bis 30-Jährigen in den Fokus: Fast die Hälfte gab an, moderat oder stark einsam zu sein. Frauen sind auch hier tendenziell stärker betroffen.

Einsamkeit: subjektiv geprägt und schwer messbar

Bei all diesen auszumachenden Tendenzen darf nicht vergessen gehen, dass für Einsamkeit kein objektives Mass existiert; der Begriff wird von führenden Wissenschaftlern auf diesem Gebiet sogar vermieden, weil er letztlich sehr subjektiv geprägt ist. Das bedeutet im Gegenzug nicht, dass sie das Problem nicht ernst nehmen. Denn wenn sich das Gefühl der Einsamkeit chronifiziert, drohen ernsthafte gesundheitliche Probleme: Schlafprobleme, eine reduzierte Immunabwehr sowie eine höhere Anfälligkeit für Sucht- und Herzerkrankungen.

Wer sich über längere Zeit einsam fühlt, entwickelt mit der Zeit einen Schutzmechanismus, meidet soziale Situationen und zieht sich zurück. Junge Menschen sind besonders gefährdet, nicht mehr aus der Spirale herauszufinden: «Sie reagieren viel sensibler auf soziale Zurückweisung als Erwachsene und können auch schlechter damit umgehen, da sie sich stark über das Feedback von Gleichaltrigen identifizieren», sagt Stefanie Schmidt, Leiterin der Abteilung Klinische Psychologie des Kindes- und Jugendalters der Universität Bern.

Am meisten einsamkeitsgefährdet sind weder Junge noch Alte, sondern schlicht Menschen in sozioökonomisch prekären Verhältnissen, Menschen, die länger arbeitslos sind oder Menschen, die zugewandert sind und sich in der Gesellschaft ausgeschlossen fühlen. Diese Aspekte werden medial bedeutend weniger beleuchtet als die Auswirkungen von Social Media auf Individuen. Oliver Huxhold vom Deutschen Zentrum für Altersfragen, der zu Einsamkeit forscht, brachte es in einem Beitrag der deutschen Wochenzeitung «Zeit» auf den Punkt: «Einsamkeit ist nicht in erster Linie ein Problem der sozialen Medien, sondern ein soziales Problem.»

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25 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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El_Chorche
10.09.2024 14:54registriert März 2021
"Gestresst, einsam und pessimistisch – das belastet junge Menschen"

Ich rate jetzt einfach mal und behaupte, dass es bei nicht-jungen Menschen genau gleich aussieht.
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