Erstmals seit vier Jahren hat sich die psychische Verfassung in der Schweizer Bevölkerung verbessert. Das geht aus der aktuellen CSS Gesundheitsstudie hervor. Allerdings bleibt die jüngste untersuchte Alterskategorie (18 bis 35 Jahre) am anfälligsten für psychische Probleme: 2024 gaben immer noch 34 Prozent an, dass es ihnen durchzogen oder sogar schlecht geht.
Diese Werte erstaunen nicht: Ob Prüfungsstress in der Ausbildung, Leistungsdruck bei der Arbeit oder die Ungewissheit, wie sich das Leben in Zukunft gestaltet – es ist das Alter, in dem sich vieles verändert und mehr Selbstverantwortung verlangt wird. Schon vor der Pandemie waren jüngere Menschen tendenziell stärker psychisch belastet.
Obwohl der Höhepunkt der psychischen Krise bei den jungen Erwachsenen laut der CSS-Studie überschritten sein dürfte, drängt es sich auf, genauer hinzuschauen, gerade auch in Bezug auf Geschlechterunterschiede: Noch immer bezeichnen fast 40 Prozent der jungen Frauen ihre psychische Verfassung als mittelmässig oder gar schlecht. Bei den Männern sind es etwas mehr als 30 Prozent. Was beide Geschlechter eint: Zukunftsängste, gepaart mit einem hohen Leistungsdruck – sei es in der Arbeitswelt oder auf Beziehungsebene. 75 Prozent der 18- bis 35-Jährigen gaben an, sich unter Druck zu fühlen, immer gesund und leistungsfähig zu sein. Das ist der höchste Wert unter allen Altersgruppen.
Das Verzweifeln über die Weltlage, gepaart mit individuellen Versagens- und Zukunftsängsten. Da kommt einiges zusammen, das die junge Generation zu schultern hat. Sie ist sich sehr wohl bewusst, dass weder der Wohlstandszuwachs noch die Altersvorsorge gesichert sind:
Der grassierende Individualismus wird gerade von Soziologinnen und Soziologen oft als Erklärmuster beigezogen, um den psychischen Belastungen der jüngeren Generation auf den Grund zu gehen. Eng damit verknüpft sind Gefühle der Einsamkeit. Aus anderen Studien ist bekannt, dass die Corona-Pandemie gerade bei den jungen Erwachsenen die Einsamkeit verstärkte: Die Kontakteinschränkungen beeinflussten deren psychosoziale Entwicklung negativ – unter anderem, da ihr Selbstwertgefühl noch stärker von sozialen Kontakten abhängt. Gepaart mit der «Vereinzelung», die zum Signum dieser Zeit geworden ist, scheint Einsamkeit die neue, stille Epidemie unter den jungen Erwachsenen zu sein.
Was Enzo beschreibt, ist in der Wissenschaft als «emotionale Einsamkeit» bekannt. Hierbei steht nicht so sehr die Zahl der Kontakte im Vordergrund, sondern das Unbehagen über ein gefühltes Defizit an Nähe und Tiefe. Die soziale Einsamkeit wiederum betrifft Menschen, welche über weniger soziale Kontakte verfügen, als sie sich wünschen. Diese Form der Einsamkeit ist gerade unter jungen Menschen gar nicht so aussergewöhnlich, da sie sich tendenziell viele Freunde wünschen, noch nicht so sehr zwischen Qualität und Quantität unterscheiden und stärker zu sozialen Vergleichen tendieren.
Hier kommen die sozialen Medien ins Spiel, die als weitere Ursache gelten, warum sich die psychischen Belastungen für die jüngere Generation erhöht haben – insbesondere bei den Frauen. Die Dauer-Verfügbarkeit von Social-Media-Kanälen und geschlechterspezifische Erwartungen stehen in einem engen Zusammenhang: der weibliche Körper ist einem höheren Druck ausgesetzt, bestimmten Normen zu entsprechen. Die Flut an Vergleichsmöglichkeiten mit vermeintlich makellosen Körperbildern auf Social Media betrifft darum vor allem junge Frauen; Störungen des Selbstwertgefühls und negative Einstellungen zum eigenen Körper sind oft die logische Folge. Hinzu kommt, dass auf Social Media nicht nur verglichen, sondern auch bewertet wird. Ausbleibende Likes oder gar digitale Ausgrenzung nagen am Selbstwert, befördern Neidgefühle und bedeuten Dauerstress.
Die nach wie vor sehr wirkmächtigen Rollenbilder sind auch in anderer Hinsicht ein wichtiges Puzzleteil, um die Geschlechterunterschiede in der Wahrnehmung der eigenen psychischen Gesundheit zu erklären:
Dieser Erfahrungsbericht kann natürlich kein vollständiges Bild vermitteln, warum deutlich mehr junge Frauen als Männer angeben, unter psychischen Problemen zu leiden. Aber er deckt sich mit den bisherigen Erkenntnissen, wonach Frauen sich nicht nur stärker unter Druck setzen, sondern den Druck auf allen möglichen Ebenen stärker zu spüren bekommen.
Diesen Schluss lässt auch die Untersuchung des interdisziplinären Zentrums für Geschlechterforschung der Universität Bern zu. Es hat in diesem Jahr spezifisch die psychische Gesundheit junger Frauen in der Schweiz unter die Lupe genommen. Demnach wird sie vor allem durch drei Faktoren beeinflusst: Leistungsdruck und Stress, soziale Medien sowie die Geschlechterrollen.
Zu den Unterschieden zwischen den Geschlechtern trägt auch die Tatsache bei, dass Frauen nach wie vor weniger Hemmungen haben, psychische Probleme einzugestehen und um Hilfe zu fragen. Die Ergebnisse der CSS Gesundheitsstudie decken sich mit Untersuchungen in Deutschland. Die Studie der Bertelsmann Stiftung nahm die 16- bis 30-Jährigen in den Fokus: Fast die Hälfte gab an, moderat oder stark einsam zu sein. Frauen sind auch hier tendenziell stärker betroffen.
Bei all diesen auszumachenden Tendenzen darf nicht vergessen gehen, dass für Einsamkeit kein objektives Mass existiert; der Begriff wird von führenden Wissenschaftlern auf diesem Gebiet sogar vermieden, weil er letztlich sehr subjektiv geprägt ist. Das bedeutet im Gegenzug nicht, dass sie das Problem nicht ernst nehmen. Denn wenn sich das Gefühl der Einsamkeit chronifiziert, drohen ernsthafte gesundheitliche Probleme: Schlafprobleme, eine reduzierte Immunabwehr sowie eine höhere Anfälligkeit für Sucht- und Herzerkrankungen.
Wer sich über längere Zeit einsam fühlt, entwickelt mit der Zeit einen Schutzmechanismus, meidet soziale Situationen und zieht sich zurück. Junge Menschen sind besonders gefährdet, nicht mehr aus der Spirale herauszufinden: «Sie reagieren viel sensibler auf soziale Zurückweisung als Erwachsene und können auch schlechter damit umgehen, da sie sich stark über das Feedback von Gleichaltrigen identifizieren», sagt Stefanie Schmidt, Leiterin der Abteilung Klinische Psychologie des Kindes- und Jugendalters der Universität Bern.
Am meisten einsamkeitsgefährdet sind weder Junge noch Alte, sondern schlicht Menschen in sozioökonomisch prekären Verhältnissen, Menschen, die länger arbeitslos sind oder Menschen, die zugewandert sind und sich in der Gesellschaft ausgeschlossen fühlen. Diese Aspekte werden medial bedeutend weniger beleuchtet als die Auswirkungen von Social Media auf Individuen. Oliver Huxhold vom Deutschen Zentrum für Altersfragen, der zu Einsamkeit forscht, brachte es in einem Beitrag der deutschen Wochenzeitung «Zeit» auf den Punkt: «Einsamkeit ist nicht in erster Linie ein Problem der sozialen Medien, sondern ein soziales Problem.»
Ich rate jetzt einfach mal und behaupte, dass es bei nicht-jungen Menschen genau gleich aussieht.