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Alle Religionen wollen das Gleiche – und Gläubige sind keine besseren Menschen

Florenzia und Ignazio, links, aus Argentinien beten vor einem Poster von Papst Benedikt XVI waehrend einer Wallfahrt waehrend des XX. Weltjugendtages in Koeln am Mittwoch, 17. August 2005. Bis zum 21. ...
Junge Gläubige beim Weltjugendtag in Deutschland (2005).Bild: keystone
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Sind Gläubige die besseren Menschen? Wohl nur während des Gottesdienstes

Auch Ungläubige haben ein moralisches Gewissen.
10.06.2017, 07:5617.09.2019, 15:21
Hugo Stamm
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Gäbe es ein Ranking der Religionen, wie zum Beispiel beim Tennis, wäre der Islam in letzter Zeit weit zurückgefallen – wohl hinter viele Sekten. «IS», Al Qaida, Boko Haram und wie all die islamistischen Terrorgruppen heissen, haben den Ruf der zweitgrössten Weltreligion gründlich ramponiert. Den Rest an Goodwill haben die Attentäter von Nizza, Paris, London, Brüssel, Berlin, Manchester usw. zerstört.

Doch auch andere Weltreligionen kämpfen gegen einen Imageverlust. Die orthodoxen Juden, die in den westlichen Ländern verstreut leben, isolieren sich und wehren sich nach Kräften gegen jegliche Integration.

Children and grownups celebrate Purim in the Wiedikon district of Zurich, Switzerland, pictured on Thursday, March 5, 2015. Purim is a festival commemorating the deliverance of the Jewish people from  ...
Lebensfeindliche Verhaltensnormen: Orthodoxe Juden in westlichen Ländern (hier in Zürich, 2015).Bild: KEYSTONE

Ausserdem rufen ihre lebensfeindlichen Verhaltensnormen und die strengen religiösen Dogmen Unverständnis hervor. Und Israel erwirbt sich mit seiner Siedlungspolitik und der Unterdrückung der Palästinenser auch keine Sympathien für den jüdischen Staat.

Auch die katholische Kirche leidet an Imageverlust

Ein Imageproblem hat auch die katholische Kirche mit ihrer rückständigen und frauenfeindlichen Politik. Die sexuellen Übergriffe vieler Geistlichen und die zögerliche Aufarbeitung der Skandale sind dem Ruf nicht eben förderlich.

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Doch wie steht es mit dem Ranking der Gläubigen? Oder andersrum: Welche Religion bringt die «humansten Menschen» hervor? Oder: Welche Glaubensgemeinschaft schafft es am besten, die Gläubigen zu einem ethisch-moralischen Handeln anzuleiten und zu motivieren?

Alle Religionen wollen das Gleiche: die Gläubigen zu einem humanen und gottesfürchtigen Leben motivieren.

Schlüssige Antworten sind schwierig, doch eines ist klar: Im Grunde genommen wollen alle Religionen in etwa das Gleiche: die Gläubigen auf humane Werte einschwören und anhalten, altruistisch zu handeln. Es geht um ein möglichst «sündenfreies», soziales und verantwortungsbewusstes Verhalten. Insofern sind die Werte, die die meisten Religionen und Glaubensgemeinschaften vermitteln, austauschbar.

Auffällig ist aber, dass praktisch alle Religionen exakt die Werte, die sie den Gläubigen vermitteln, selbst nicht einhalten. Obwohl sie Bescheidenheit und Toleranz predigen, streben sie selbst nach Macht und Einfluss: Ihre Missionstätigkeit dient nicht nur dazu, möglichst viele Seelen für den angeblich richtigen Gott zu rekrutieren, Ziel ist auch, den Einflussbereich auszuweiten.

Islam mit der aggressivsten Missionstätigkeit

Die aggressivste Mission übt zweifellos der Islam aus. Aber auch die katholische Kirche und die Freikirchen sind seit Jahrhunderten in allen Ecken der Welt dabei, die letzten Dschungelbewohner und «Heiden» zu bekehren. (Ein schrecklicher Begriff, der allein schon die Intoleranz zum Ausdruck bringt und in diesem Zusammenhang aus dem Vokabular gestrichen werden sollte.)

Copyright: Screenshot SAT1
Missionieren heute (Muslime in Deutschland) ...Bild: Screenshot SAT1
Missionar Eric Jansson taufend in Brasilien, 1910. Copyright: Wikicommons (https://de.wikipedia.org/wiki/Mission_(Christentum)#/media/File:Missionary-jansson.jpg)
... und damals (Christen in Brasilien, 1910).Bild: Wikimedia commons

Die katholische Kirche demonstriert einen weiteren Widerspruch. Während Jesus als Wanderprediger asketisch und in Armut lebte, residieren seine Stellvertreter und Würdenträger teilweise in prunkvollen Palästen. Und sie gebieten über Ländereien, die sie früher korrupten Politikern abgerungen haben.

Ausserdem demonstrieren Geistliche der meisten Religionsgemeinschaften, dass sie selbst nicht einmal ansatzweise die Ansprüche ihres Glaubens umzusetzen vermögen. Deshalb ist es heuchlerisch, wenn sie von ihren Gläubigen ethisch-moralisches Verhalten verlangen und ihnen mit der ewigen Verdammnis drohen.

Fraglicher Nutzen

Deshalb stellt sich die Frage: Welchen Nutzen bringen Religionen und Glaubensgemeinschaften, die voll von Widersprüchen und fragwürdigen Entwicklungen sind? Wäre es nicht ehrlicher, wenn sie den Anspruch, Hüter von Moral und Ethik zu sein, offen und ehrlich relativieren würden? Und wenn sie anerkennen würden, dass auch Menschen, die noch nie etwas von Gott gehört haben, einen Gerechtigkeitssinn und ein moralisches Gewissen entwickeln und nach diesem zu leben versuchen?

Das würde viel zu ihrer eigenen Glaubwürdigkeit beitragen. Doch dieser Schatten scheint zu gross zu sein, als dass sie darüberspringen könnten.

Hugo Stamm; Religionsblogger
Hugo Stamm
Glaube, Gott oder Gesundbeter – nichts ist ihm heilig: Religions-Blogger und Sekten-Kenner Hugo Stamm befasst sich seit den Siebzigerjahren mit neureligiösen Bewegungen, Sekten, Esoterik, Okkultismus und Scharlatanerie. Er hält Vorträge, schreibt Bücher und berät Betroffene.
Mit seinem Blog bedient Hugo Stamm seit Jahren eine treue Leserschaft mit seinen kritischen Gedanken zu Religion und Seelenfängerei.

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169 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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ybfreak
10.06.2017 18:00registriert Dezember 2015
Ich habe nicht das geringste Problem mit religiösen Menschen nur weil sie oder er religiös ist. Das ist nicht abhängig vom Glauben oder sonstwas, sondern einzig und allein vom Verhalten des jeweiligen Menschen. Was ich aber sehr begrüssen würde, wenn Staat und Religion zu 100% getrennt werden, in der Schweiz sowieso, am liebsten weltweit.
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Leider Geil
10.06.2017 08:33registriert Mai 2017
Religion ist halt auch ein gutes Geschäft. Und auch da gilt: zuerst das Fressen, dann die Moral.
Hier in den Philippinen wuchern neben den Katholiken sekten wie die Zeugen Jehovas wie Krebsgeschwüre, gerade auf abgelegenen Inseln, wo es an Bildung mangelt haben sie grosse Erfolge zu verzeichnen und der Mechanismus ist Angst, damals wie heute. Den Menschen wird einen Bären aufgebunden.
Und wieso sollen z.B. die Katholiken sündenfrei leben? Man lässt die Sau raus und hinterher gibts immer noch die Beichte!
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saukaibli
10.06.2017 11:40registriert Februar 2014
Ich glaube nicht, dass Religion einen "schlechten" Menschen zu einem "guten" machen kann oder umgekehrt. Sie hilft höchstens dabei das eigene Handeln zu rechtfertigen. Ein gewalttätiger, intoleranter Rassist wird in den "heiligen" Büchern genau so eine Rechtfertigung für sein Handeln finden wie ein gutherziger Humanist. Oder einfach gesagt: Ein Arschloch bleibt ein Arschloch, egal wie religiös es ist.
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