Die Bibel gibt in vielen religiösen und weltlichen Fragen den Tarif durch. Manche Anweisungen sind derart anachronistisch, dass selbst die Fundis sie nicht einhalten können, weil sie sich sonst strafbar machen würden. Wenn sie zum Beispiel eine Frau steinigen würden, die fremdgegangen ist, wie es im Buch Mose beschrieben wird. (Jesus «begnadigte» später zwar eine solche Frau, mahnte sie aber, nicht mehr zu sündigen.)
Auf eine solche «Begnadigung» können viele gläubige Homosexuelle aber nicht zählen. Für viele Freikirchen und katholische Fundis ist Homoerotik noch immer des Teufels. Im wahrsten Sinne des Wortes. Sie greifen bei homosexuellen Neigungen zwar nicht zum alttestamentarischen Mittel der Steinigung, rücken aber dem vermeintlichen Satan mit therapeutischen Rezepten zu Leibe. Kurz: Homosexuelle sollen mit Konversionstherapien («Umpolung») von ihrer «Abartigkeit» erlöst werden.
Gegen die Konversionstherapie regt sich nun «weltlicher» Widerstand. Psychologische Fachkreise ärgern sich, dass selbsternannte Therapeuten die Homosexualität als Krankheit deuten, die heilbar sei. Die Assoziation der Schweizer Psychotherapeuten (ASP) möchte die Therapien verbieten lassen, wie die NZZ kürzlich berichtete.
Die ASP schreibt, die betroffenen christlichen Kreise sollten dem «mittelalterlichen, religiös-dogmatischen Denken entsagen und anerkennen, dass Homosexualität keine Krankheit ist und also keiner Therapie bedarf».
Widerstand kommt in Deutschland auch von der Politik. Gesundheitsminister Jens Spahn will die Konversionstherapien verbieten lassen.
Diese frommen «Therapeuten» vergewaltigen ihre homosexuellen Klienten psychisch und bringen die seriöse Psychotherapie in Verruf. Manche sind im frommen Verein Wüstenstrom engagiert, der in Deutschland und der Schweiz aktiv ist. Sie würden homosexuelle Gläubige am liebsten sexuell umpolen – und versuchen es auch. Die Schweizer Homepage ziert den bezeichnenden Titel: «Sexualität gestalten – Entscheidungen treffen».
Zum Thema «Beratung» schreibt Wüstenstrom: «Unser Ansatz fusst auf einem christlichen Menschenbild. Die selbständige Entfaltung der persönlichen Gottesbeziehung hat in der Beratung ihren Raum. [...] Basis unserer Arbeit ist ein auf therapeutischen und theologischen Grundlagen reflektierter Ansatz, der in Wüstenstrom Deutschland für den Bereich ‹Sexualität und Identität› entwickelt wurde.»
Ein Kapitel auf der Homepage trägt denn auch den Titel «Konversionstherapie». Es enthält viele Zitate aus Texten, die zu beweisen versuchen, dass die sexuelle Identität der Menschen nicht fixiert sei. Konkrete Therapieangebote werden aber nicht aufgeführt.
Wüstenstrom Deutschland führt ihren Leiter und Theologen Rolf Rietmann als lebendes Beispiel für eine gelungene Konversion an. Er sei homosexuell gewesen und habe den Identitätswechsel geschafft. Heute sei er verheiratet und Vater zweier Kinder.
Dazu ist anzumerken, dass früher sehr viele Schwule aus gesellschaftlichen Gründen geheiratet und Kinder auf die Welt gestellt haben. Es ging ihnen meist darum, ihre Neigung zu verstecken und nicht ausgegrenzt und angefeindet zu werden.
Die christlichen Fundis, die die Homosexualität aus religiöser Sicht interpretieren, stigmatisieren die betroffenen Gläubigen in mehrfacher Hinsicht. Sie suggerieren ihnen, sündig, von Gott abgefallen und vom Satan verführt zu sein. Dabei wird die Identitätsbildung gestört, und wenn alle Versuche scheitern, sie „umzupolen“ – was der Normalfall ist –, zerbrechen sie innerlich.
Die Liste der frommen Homosexuellen, die sich aus Angst und Verzweiflung das Leben genommen haben, ist lang. Mitschuldig sind all die frommen Christen, die an die Konversionstherapie glauben und in den Freikirchen diesen fatalen Mythos kultivieren.
Denn Homosexuelle, die die Konversion trotz allen Anstrengungen nicht schaffen, fühlen sich auf der ganzen Linie als Versager und von Gott fallengelassen. Dass sie im Gegensatz zu vielen Predigern, Pastoren und Vertretern von Wüstenstrom nicht verantwortlich für ihre sexuelle Neigung sind, konnten sie nicht erkennen.