Elektroautos haben immer noch das Image eines klobigen, geräuschlosen Wagens, der seinem Fahrer nicht die geringsten Emotionen entlocken kann und daher kein sportliches Verhalten an den Tag legt. Einige der ersten Modelle, die auf den Markt kamen, basierten tatsächlich auf der Plattform eines Autos mit Verbrennungsmotor und bekamen mit dieser einen elektrischen Antrieb. Das Ergebnis war zwar wenig überzeugend, reichte aber für den täglichen Gebrauch aus.
Doch die Dinge entwickeln sich in diesem Bereich mit grosser Geschwindigkeit, und mittlerweile verfügen fast alle Hersteller über eine eigens für den Elektroantrieb ausgerichtete Plattform.
Dies ist auch der Fall beim Cupra Born, einem heissblütigen technischen Klon des VW ID.3. Die spanischen Ingenieure haben den deutschen Kompaktwagen mit ihrem sportlichen Virus infiziert, der sich vor allem auf das Fahrwerk auswirkt. Er verfügt auch über eine E-Boost-Funktion, die seine Leistung für etwa 30 Sekunden von 204 auf 231 PS erhöht, um eine stärkere Beschleunigung zu ermöglichen. Unter normalen Fahrbedingungen unterscheidet sich der Cupra Born durch sein dynamischeres und härteres Fahrverhalten deutlich vom ID.3. Und spürt man diese Dynamik auch auf Schnee? Also auf in den hohen Norden, um die Fähigkeiten des Spaniers bei Eiseskälte zu messen.
Als wir das Terminal in Rovaniemi verlassen, erwartet uns eine Flottille Cupra Born mit laufendem Motor, da die Umgebungstemperatur um die –10 °C liegt. Wir steigen schnell ein, um es wieder etwas wärmer zu haben. Der Cupra Born sieht dem ID.3 zwar in allen Punkten ähnlich, aber die Qualität des Innenraums wirkt höher. Sitze im Schalenstil, Stoffpolsterung, die wie Alcantara aus recycelten Polymeren aussieht, Schaumkunststoff für das Armaturenbrett und hier und da ein paar Akzente in Kupferoptik – das sieht alles sehr seriös aus.
Die Instrumententafel besteht lediglich aus einem kleinen 5,3-Zoll-Bildschirm hinter dem Lenkrad mit den wichtigsten Infos für den Fahrer. Das Nervenzentrum des Autos ist der 12-Zoll-Touchscreen für das Multimediasystem, das wie viele Modelle des VW-Konzerns, die damit ausgestattet sind, unter diversen Bugs und Langsamkeit leidet.
Es ist Zeit, den Parkplatz zu verlassen und die schneebedeckten Strassen zu befahren, die sich durch die endlosen finnischen Wälder schlängeln. Natürlich geht es hier nicht darum, die Stoppuhr zu zücken, um den Werkswert unseres Born für die Beschleunigung von 0 auf 100 km/h zu bestätigen. Andererseits sind prekäre Haftungsbedingungen auch ein ideales Terrain, um die Feinabstimmung eines Fahrwerks oder auch die Progressivität und Qualität der Traktion auf den Prüfstand zu stellen.
In diesem Punkt leistet der Born Wunder. Das Gewicht von 1800 kg und die ideale Gewichtsverteilung von 50/50 zwischen Vorder- und Hinterachse sorgen für Grip und Balance, allerdings kann ein hohes Gewicht auch tückisch sein, wenn es Sie zum Beispiel beim Schlittenfahren weit oder sogar sehr weit kommen... Die Grenzen der Physik sind für alle gleich. Glücklicherweise wachen die fein abgestimmten elektronischen Hilfen ständig über das Geschehen und greifen proaktiv und rechtzeitig ein. Der Born hat einen Heckantrieb: Dies kann im Winter problematisch werden, wenn es darum geht, mit dem Hintern zu wackeln und auszurutschen.
Unser Born fährt zwar auf Nokian-Hakkapeliitta-Reifen, die auf Schnee einen unglaublichen Grip haben, aber auch das Traktionsmanagement auf der Hinterachse ist wunderbar. Kein Allradantrieb nötig! Mit jedem Kilometer gewinnen wir an Vertrauen und Kontrolle und das mit einer erstaunlichen Ruhe. Auch die Tatsache, dass man ausser dem Knirschen des Schnees unter den Reifen kaum ein Geräusch um sich herum hört, trägt zu dieser Ruhe bei.
Ziel unserer Probefahrt ist ein Testcenter für Fahrten auf Eis. Verschiedene Pisten und Strecken stehen uns zur Verfügung, um die Fähigkeiten und Grenzen des Born in einem sicheren Rahmen zu beurteilen. Die Gelegenheit, unseren elektrischen Iberer fast ohne jegliche Unterstützung zu testen. Fast, denn in Wirklichkeit ist der Modus ESC Off (alle Assistenten ausgeschaltet) nicht ganz ausgeschaltet, darauf komme ich später noch zurück.
Es macht Spass, unseren Born aus der Reserve zu locken, mit der Gewichtsverteilung zu spielen und die 310 Nm Drehmoment des Motors zu nutzen, um ihn ins Rutschen zu bringen. Man muss wirklich weit gehen, um eine Reaktion zu erhalten und zu spüren, wie das Auto aus der Spur gerät! Durch geschickte Dosierung des Gaspedals und des Lenkradeinschlags ist es möglich, einen Drift zu machen... Aber nicht sehr lange, denn wenn der Gegenlenkwinkel des Lenkrads 90° überschreitet, greift die Elektronik ein und bringt die ganze Welt wieder auf den rechten Weg. Es gibt also keinen wirklichen «Aus»-Modus, in dem nur der Fahrer die Kontrolle über das Auto hat. Das ist zwar schade, aber aus Sicherheitsgründen auch verständlich. Die katalanische Hitze verträgt sich gut mit der Polarkälte.
Es gibt jedoch noch einen kleinen Punkt, der nicht zu vernachlässigen ist: der Stromverbrauch. Unser Born verbrauchte bei dieser Übung und diesen klimatischen Bedingungen rund 35 kWh/100 km. Das bedeutet, dass die Reichweite auf etwa 220 km reduziert wurde (gegenüber den 548 km, die im WLTP-Zyklus für die 77-kWh-Batterie angegeben wurden). Wenn Sie also Lust haben, sich diesen Winter mit Ihrem Elektroauto auf den wenigen Pisten auf Schnee und Eis in der Schweiz und anderswo zu tummeln, denken Sie daran, die nächstgelegene Ladestation herauszusuchen...
Ist das Jérôme Marchons erste Fahrt in irgend einem E-Auto oder hat da jemand diesen Beitrag nicht nur finanziert sondern auch gleich noch optimiert?
Ja genau. Das Elektroauto mit laufendem Motor… was soll man dazu noch sagen.