Nur gerade 3 von 10 Beschäftigen im sozialen Bereich sind Männer. Dies zeigen aktuelle Zahlen des Bundesamt für Statistik. An den Fachhochschulen im Bereich «Soziale Arbeit» sieht es ähnlich aus. Liegt es an den Geschlechterstereotypen, welche nach wie vor unsere Berufswahl beeinflussen? Oder am fehlenden Prestige? Silvan Küderli, Sozialtherapeut im Forelhaus Zürich, kann es sich nicht genau erklären. Er selbst ist begeistert von seinem Job.
Silvan, du hast mich soeben durch das Forelhaus Zürich geführt. Die Leidenschaft für deinen Job ist unübersehbar. Was gefällt dir an deiner Arbeit?
Silvan Küderli: Als Sozialarbeiter kann man enorm viel bewirken. Ich war zehn Jahre in der offenen Jugendarbeit tätig. Dort boten wir den Jugendlichen einen sicheren Ort, an dem sie einfach sein konnten. Gleichzeitig fanden sie immer ein offenes Ohr für ihre Anliegen oder Sorgen. Wir haben mit den Jugendlichen unglaublich viel auf die Beine gestellt: Vom Skatepark über Beratungsangebote bis hin zum Mittagstisch für jene, die sonst allein zu Hause gewesen wären. Beispielsweise hat ein junger Koch mit abgebrochener Lehre denjenigen, die nicht nach Hause konnten, das Mittagessen zubereitet. Die Jungen hatten so sinnvolle Aufgaben und konnten etwas bewirken. Hier im Forelhaus Zürich sehe ich, wie alkohol- und drogenabhängige Menschen sich entwickeln und ein abstinentes Leben aufbauen. Ich empfinde es als wertvoll, etwas Sinnvolles zu tun. Der soziale Bereich ist breit und bietet unzählige Entwicklungsmöglichkeiten.
Du wirkst bei der Kampagne «Männer in soziale Berufe», einem Projekt von männer.ch, der SASSA (Fachkonferenz Soziale Arbeit der Fachhochschulen Schweiz) und der SPAS (Schweizerische Plattform der Ausbildungen im Sozialbereich) mit. Warum braucht es Männer im sozialen Bereich?
Fast die Hälfte der Bevölkerung ist männlich. Das widerspiegelt sich zwar beim Klientel, welches soziale Unterstützung benötigt – jedoch nicht bei den Betreuungspersonen. Sowohl Frauen als auch Männer brauchen Ansprechpersonen beider Geschlechter. Es gibt Themen, die man nur mit einem Mann besprechen möchte.
Wir erleben oft, dass Menschen in der Vergangenheit mit männlichen Bezugspersonen Gewalt erlebt hatten und ihre Erfahrung auf alle Männer projizieren. Es ist wichtig, dass diese Personen andere Umgangsformen mit Männern kennenlernen. So merken sie, dass auch eine gewaltfreie Beziehung zu Männern möglich ist.
Und nicht zuletzt fehlen vielen jungen Menschen die männlichen Vorbilder. Sie kommen aus einem Haushalt, in dem der Vater nicht oder wenig anwesend ist. Die Lehrpersonen in der Primarschule sind fast immer weiblich. Promis, Schauspieler oder Musiker werden zu Ersatz-Vorbildern. Wir brauchen aber reale männliche Vorbilder und Bezugspersonen, wenn wir gesunde Männer und Frauen in unserer Gesellschaft haben wollen. Es ist deshalb wichtig, dass Männer in sozialen Berufen Verantwortung übernehmen.
Dein beruflicher Weg führte nicht direkt in den sozialen Bereich. Du hast zuerst die KV-Lehre bei der Post gemacht. Warum bist du Sozialarbeiter geworden?
Ich arbeitete nach meiner Lehre am Postschalter. Ich hatte den Kontakt mit den Menschen sehr geschätzt. In der Freizeit war ich oft im Jugendtreff. Mir wurde klar: Nicht alle kommen aus einem gut behüteten Umfeld. Die Jugendarbeit faszinierte mich. Das niederschwellige Angebot für alle Schichten gefiel mir. Ich habe die Berufsmaturität nachgeholt und an der Fachhochschule Soziale Arbeit studiert. Neben dem Studium habe ich in der offenen Jugendarbeit gearbeitet. Ich war sofort mit Leib und Seele dabei.
Heute bist du im Forelhaus Zürich tätig. Was ist das genau?
Die Stiftung Forelhaus Zürich betreibt drei Häuser in Zürich Nord und eines in Wiedikon. Dort erhalten Personen, die abstinent leben wollen, einen sicheren Rahmen, um wieder Stabilität im Leben zu finden. Das sozialtherapeutische Wohnen bietet 24 Plätze und federt den grossen Schritt von der Klinik zurück ins selbstständige Leben ab. Der Entscheid zur Abstinenz wird gefestigt und ein neues Leben schrittweise in einem alltagsnahen Umfeld aufgebaut. Das betreute und begleitete Wohnen bietet 35 Plätze für stabile und abstinente Personen, die nur noch punktuell Unterstützung und Beratung benötigen und ist auf langfristiges Wohnen ausgerichtet.
Was ist dein Job als Sozialtherapeut?
Ich führe regelmässige Beratungsgespräche mit meinen Bezugspersonen. Ich unterstütze sie dabei, ihre Probleme oder Herausforderungen im Leben angehen zu können anstatt diese, wie bis anhin, betäuben zu müssen. Ich vereinbare mit den Bewohnerinnen und Bewohnern Ziele und wir arbeiten gemeinsam daran, diese zu erreichen.
Was sind für dich die grössten Herausforderungen?
Schwierig ist es, mit der Ambivalenz umzugehen, welche Menschen mit Suchtproblemen oft mitbringen. Sie wollen abstinent sein, werden aber durch das Verlangen nach dem Suchtmittel geplagt. Suchtkranke haben die Tendenz, zu externalisieren. Sie suchen die Schuld bei Problemen häufig bei den anderen. Dadurch entstehen schwierige Situationen, z. B. dass wir im Team gegeneinander ausgespielt werden. Im Forelhaus Zürich gibt es jedoch gute Gefässe, wie Intervision und Supervision, um schwierige Situationen zu besprechen und klären zu können. Grundvoraussetzung, um mit den Konfrontationen klarzukommen ist jedoch, dass man mit sich selbst im Reinen ist – aus meiner Sicht die wichtigste Aufgabe der Sozialarbeitenden.
Was sind deine Freudemomente?
Es gibt mir extrem viel, wenn ich sehe, dass sich jemand weiterentwickelt. Ein konkretes Highlight sind für mich die Schneetage: Einmal pro Jahr fahren wir mit den Bewohnerinnen und Bewohnern für mehrere Tage in die Berge zum Ski- und Snowboardfahren. Da sehe ich, wie die Leute aufleben – als positiver Nebeneffekt entstehen auf dem Sessellift die besten therapeutischen Gespräche.
Aber vielleicht sollte der Staat sich mal überlegen, dass ein Studium allenfalls Unterstützung benötigt, vor Allem wenn man keine 20 mehr ist, ist das Leben halt einfach einiges teurer das ist Tatsache! Ich lebe seit 3 Jahren weit unter dem Existenzminimum, um mir diesen Berufswechsel zu ermögliche, sehe aber wie viele Gleichaltrige aufgeben müssen, da es z.B. mit familiären Verpflichtungen einfach nicht möglich ist zu studieren. Da gibt es echt Nachholbedarf in der Schweiz!