Wer mit Corona im Krankenhaus landet, braucht oft intensive Betreuung und besondere Zuwendung, nicht selten über Wochen. Doch der Personalmangel an deutschen Kliniken macht es den Pflegekräften fast unmöglich, diesen Mehraufwand zu stemmen. Mitten in der dritten Welle zeigt sich so schmerzlich, dass über Jahre an den falschen Stellen gespart wurde. Besonders belastend ist das für die Menschen in medizinischen Berufen, die ihrem eigenen Arbeitsethos kaum mehr gerecht werden können.
Auch Franziska Böhler arbeitet als Pflegerin in einer Klinik in Frankfurt am Main. Schon vor der Coronakrise verfasste sie das Buch «I'm a Nurse», in dem sie auf die Probleme des Pflegepersonals aufmerksam machte. Im März darauf hatte sie es plötzlich mit Covid-19-Patienten zu tun und erlebte die dramatische Zuspitzung einer eh schon kritischen Lage.
Bei watson.de erzählt die 33-Jährige, warum die Pflege von Corona-Patienten eine echte Herausforderung ist, wie es den Menschen mit der Erkrankung geht und warum es nun wichtiger denn je ist, den Personalnotstand in Kliniken endlich zu beenden.
Ich habe Jahrelang als Pflegerin auf der Intensivstation gearbeitet und bin nun seit einem Jahr in der Anästhesie, weil sich die Arbeitszeiten dort besser mit meinen Kindern vereinbaren lassen. Mein Beruf kann maximal befriedigend sein. Aber zuletzt war es oft auch frustrierend, denn wir haben schon seit Jahren mit Personalmangel zu tun – und Corona spitzt diese Situation weiter zu.
Der Aufwand, der in der Arbeit mit Covid-Erkrankten entsteht, ist enorm. Pfleger können nicht in die Zimmer eintreten wie gewöhnlich, sondern müssen erst die nötige Schutzkleidung an- und ausziehen, alleine das frisst Zeit. Zudem sind die menschlichen Aspekte der Arbeit nicht zu unterschätzen, über die so selten gesprochen wird.
In der öffentlichen Debatte geht es ständig nur um die Intensivstationen und ich habe das Gefühl, dass darüber die Kollegen auf den anderen Stationen vergessen werden – doch auch da werden Covid-19-Patienten behandelt, denen es schlecht geht. Häufig ist die Arbeit dort mindestens genauso belastend.
Beatmete Patienten sind sediert und können ihre Ängste und Beschwerden nicht äussern. Aber gerade die, die noch wach sind, allerdings unter Atemnot und daraus resultierenden Ängsten leiden, benötigen unter Umständen noch mehr Zuwendung. Diese Patienten können keinen Besuch empfangen, sind zum Teil natürlich verängstigt. Diese Situation lässt uns nicht kalt. Von einigen Patienten hört man: «Ich habe Angst. Ich kriege keine Luft mehr.»
Je jünger die Patienten, desto mehr treibt sie auch die Sorge um ihre Angehörigen um, die Menschen, um die sie sich nicht kümmern können und die sie zurücklassen würden. «Ich habe zwei kleine Kinder. Ich kann nicht sterben!» – solche Sätze treffen einen wirklich ins Herz.
Gerade, weil Covid-19-Patienten keine Besucher empfangen dürfen, ist die Zuwendung der Pfleger besonders wichtig. Das ist allerdings nicht nur emotional, sondern auch körperlich eine enorme Anstrengung. Denn den Kollegen ist unter der vollen Schutzmontur heiss, die Brille drückt und unter der FFP3-Maske bekommt man schlecht Luft. Manchmal steht man trotzdem stundenlang am Bett der Patienten, denn nicht jeder Verlauf ist vorhersehbar.
Selbst mit viel Zuwendung bleibt die Situation für die Patienten erschwert: Ganz alleine in so einem Isolierzimmer zu liegen, nur mit vermummten Menschen um dich herum, deren Mimik du kaum erkennst, das sorgt bei vielen Patienten für Verzweiflung, und diese aufzufangen, ist durch den Zeitdruck kaum möglich.
Dieses hilflose Gefühl ist für uns leider nichts Neues. Schon vor Corona hatten wir zu wenig Zeit, um jedem Patienten so gerecht zu werden, wie wir es gerne würden. Es ist ein Ballast, den viele Pfleger mit sich herumtragen, dieses bittere Gefühl, dass man seinen eigenen moralischen Vorstellungen nicht mehr gerecht werden kann, weil die Arbeitsbedingungen es nicht hergeben.
Natürlich nehmen manche Kollegen diesen Teil der Arbeit mit nach Hause. Wir sind ja keine Roboter. Der Umstand, dass wir wissen, dass diese Patienten ihre Angehörigen das letzte Mal vor Wochen gesehen haben, lässt uns nicht kalt.
Sind Patienten sterbend oder zeichnet sich dieser Prozess ab, informieren wir immer zeitnah die Angehörigen. Jeder Patient, auch beatmet und sediert, wird von uns behandelt als wäre er wach. Wir sprechen mit ihnen, informieren sie und legen selbiges auch den Angehörigen nah. Keiner weiss, was das Unterbewusstsein noch auffängt. Ich habe in meiner jahrelangen Arbeit durchaus beobachtet, dass die todkranke Grossmutter erst sterben konnte, als ihr Enkel endlich da war – oder genau dann verstarb, als dieser den Raum gerade verlassen hatte.
Auch für die Angehörigen ist dieser Abschied wichtig. Ich weiss selbst, wie schlimm es ist, wenn man so bangt. Vor vier Jahren, als mein Vater starb, trug ich mein Telefon permanent bei mir und habe immer auf Nachrichten gewartet. Das fühlte sich schon unter normalen Bedingungen schlimm an, dabei konnte ich noch jederzeit hingehen und seine Hand halten. Die Angehörigen von Corona-Erkrankten haben diese Möglichkeit momentan nicht und müssen das den Menschen in der Pflege überlassen.
Was viele dabei vergessen: All die beschriebene Mehrarbeit geschieht zusätzlich zum normalen Betrieb, denn Schlaganfälle, Krebs und Unfälle sind ja nicht seltener geworden. Die durch Corona-Patienten belegten Betten sind aber nicht mehr für diese Fälle verfügbar, Operationen werden bereits verschoben und so ergibt sich ein struktureller Engpass, der uns alle angeht. Was, wenn dich morgen ein Betrunkener anfährt? Dann brauchst du dieses Bett. Es ist keine Panikmache, sondern eine angebrachte Warnung, wenn die medizinischen Fachkräfte sagen: Wir haben zu wenige Kapazitäten.
Es macht mich traurig, wenn ich erlebe, wie die Menschen über Zahlen debattieren, frei nach dem Motto «Da liegen doch nur sieben Corona-Patienten, das ist nichts!» Das ist der grösste Fehler, den man machen kann. Denn dahinter verbergen sich echte Menschen, keine Zahlen. Sieben Menschen! Das sind sieben Väter, Mütter oder Kinder, die von jemandem geliebt und vermisst werden. Das sind alles Schicksale, die ein Recht auf Leben haben. So zu tun, als sei das nicht schlimm, ist zynisch. Die Kritik am Pandemie-Management ist zwar durchaus angebracht, dieses Versagen relativiert allerdings nicht die Situation in den Kliniken.
Die allgemeine Stimmung in der Pflege ist gedrückt und die Gründe hierfür sind vielfältig und entwickelten sich schleichend: Die Patienten werden in Deutschland älter und kränker, der bürokratische Aufwand wird immer höher, daher bräuchte man eigentlich mehr Personal. Doch durch die stetige Mehrbelastung und den gewinnorientierten Ansatz wurden Kliniken mehr und mehr zu Wirtschaftsbetrieben, an den Pflegern wurde gespart. Die Diskrepanz zwischen zu wenig Pflegepersonal und immer mehr Patienten wurde dadurch noch grösser. Nun haben wir weniger Nachwuchs, dafür aber mehr Kollegen, die sich für den «Pflexit» entscheiden, keine Lobby und einen Beruf mit geringem gesellschaftlichen Stellenwert.
Viele Stationen können sich inzwischen nur noch mit Kollegen aus der Zeitarbeit über Wasser halten. Das Absurde ist: Wer über eine Agentur angestellt ist, hat meist grösseres Mitspracherecht über seine Arbeitszeit und oft auch noch ein höheres Gehalt, daher wechseln viele Kollegen aus dem festangestellten Verhältnis. Für die Kliniken ist das letztlich teurer, denn die Zeitarbeiter kosten sie mehr. Dass sich dieses Geschäftsmodell etablieren konnte kritisiere ich scharf, ich kann aber verstehen, warum Kollegen diesen Schritt gehen.
Im Corona-Sommer 2020 kam es dann zu einer regelrechten Berufsflucht, etwa 9000 Kollegen haben laut einer Umfrage gekündigt, etwa ein Drittel des Intensivpflegepersonals denkt darüber nach, den Job an den Nagel zu hängen. Aus Gesprächen konnte ich schliessen, dass die allergrösste Rolle dabei die Psychologie gespielt hat: Wir Pfleger sind demoralisiert.
Die Corona-Krise begann mit Applaus und starken Worten für unseren Einsatz, doch dann sind wir eiskalt fallengelassen worden. Unsere Forderungen nach besseren Arbeitsbedingungen wurden abgeschmettert, stattdessen folgte eine widerliche Symbolpolitik, wir bekamen Cremedosen geschenkt und es wurde Lavendel für die «Corona-Helden» gepflanzt. Das war eine gnadenlose Ohrfeige für meinen Berufsstand.
Wir sehen momentan kein Licht am Ende des Tunnels. Das Gesundheitsministerium scheint keinen Handlungsbedarf zu sehen, um die Lage der Pfleger zu entspannen, nicht einmal nachdem mehr als 300'000 Unterschriften über eine entsprechende STERN-Petition zustande kamen. Gleichzeitig erleben wir auf der Arbeit eine Timeline des Grauens – vor zwei Wochen war im Grossraum Fürth schon kein Intensivbett mehr verfügbar.
Schon vor Covid-19 mussten wir Betten sperren, weil wir kein Personal hatten, dass die darin liegenden Patienten betreuen konnte. Dieser Zustand verschärft sich jetzt. Das ist nicht erst ein Problem in der Zukunft, sondern bereits der Ist-Zustand. Von politischer Seite bin ich maximal enttäuscht. Es ist, als würden die Entscheider sich in einen kaputten Wagen ohne Bremse setzen und dann einfach mal Vollgas geben.
Ausbaden muss es die Gesellschaft. Die kranken und sterbenden Patienten, die Pfleger, die versuchen, ihrer Arbeit unter dem Mehraufwand von Corona nachzukommen und natürlich auch alle ganz normalen Bürger, die sich Mühe geben, die Pandemie durch das Einhalten der Massnahmen auszubremsen. Auch ich betreue Kinder im Homeschooling, auch ich habe schon lange die Schnauze voll von der ganzen Situation, und wir hangeln uns von einem Wischi-Waschi-Lockdown zum nächsten. Warum man das Zero-Covid-Prinzip so gekonnt ignoriert, ist mir ein Rätsel.
Protokoll: Julia Dombrowsky
Wie bei uns !
Frau Humbel, Präsidentin der Gesundheitskommission, meinte zu unserem Gesundheitspersonal: Jetzt tut nicht so anstrengend, seid froh, dass ihr eine Stelle habt !!!