Dank eines aktuellen Berichts der «New York Times» wissen wir mit grosser Wahrscheinlichkeit, wer dem US-Geheimdienst CIA höchst geheime Dokumente gestohlen hat. Und nein, es geht nicht um die Ermordung von JFK, sondern um Vault 7.
Rückblick: Die Enthüllungsplattform Wikileaks veröffentlichte ab März 2017 an die zehntausend Dokumente, die von der CIA stammten. Das unter dem Titel «Vault 7» publizierte Material gibt Einblicke in die (mutmassliche) Cyber-Spionagepraxis der Central Intelligence Agency. Demnach kann der mächtige Auslandsgeheimdienst praktisch alle elektronischen Geräte hacken – vom iPhone über Smart-TVs bis zu Autos.
Die «Vault 7»-Enthüllungen erfolgten gestaffelt:
Hauptverdächtiger sei ein 29-jähriger ehemaliger Softwareentwickler, der für die CIA Malware entwickelt hatte, um in die Computer von Terrorverdächtigen und anderen Zielen einzudringen, schreibt nun die NYT online. Und: Es sei unklar, warum der Mann über ein Jahr nach seiner Verhaftung noch nicht im Zusammenhang mit Vault 7 angeklagt (oder freigesprochen) wurde.
Sein Name: Joshua A. Schulte.
Es gibt verblüffende Parallelen zum berühmten NSA-Whistleblower Edward Snowden, der von der US-Regierung gesucht wird und immer noch im unfreiwilligen Exil in Russland lebt.
Vault 7 zeigte, dass die CIA vergleichbare Hacker-Tools wie die National Security Agency besitzt. Deren Cyberwaffen-Arsenal und die weltweite Massenüberwachung hatte Edward Snowden ab 2013 über die Medien publik gemacht.
Wie die «New York Times» (NYT) nun recherchiert hat, war auch der mutmasslich für Vault 7 verantwortliche Informant früher für die NSA tätig – wenn auch nur als Praktikant, während er an einem Bachelor-Abschluss in Informatik arbeitete.
Später arbeitete der 29-Jährige gemäss seinem LinkedIn-Profil in der Engineering Development Group der CIA, die die Hacking-Tools des Center for Cyber Intelligence entwickelte.
Nur eine Woche nach der Wikileaks-Veröffentlichung im März 2017 durchsuchten Agenten des FBI Schultes Wohnung und hinderten ihn daran, in den Urlaub nach Mexiko zu fliegen und seinen Pass mitzunehmen. Dies geht laut NYT aus Gerichtsakten hervor und werde von Verwandten bestätigt.
Laut der Washington Post beschlagnahmten die Ermittler Computer-Zubehör, Laptops und handschriftliche Notizen. Aber die Untersuchung lieferte nicht die Beweise, die die Staatsanwälte brauchten, um Schulte wegen der illegalen Weitergabe der CIA-Informationen an Wikileaks anzuklagen.
Statt wegen des mutmasslichen Datendiebstahls klagten die Strafverfolger Schulte im August 2017 wegen Besitzes von Kinderpornografie an. 10'000 verschlüsselte Dateien seien auf einem Server gefunden worden, den er 2009 als Student an seiner Universität in Texas in Betrieb genommen hatte.
Offenbar war das illegale Material aber nicht vom Verdächtigen selbst auf dem Server abgelegt worden, sondern von Dritten, denn er kam wenig später wieder auf freien Fuss.
Im September 2017 wurde Schulte unter Auflagen freigelassen. Danach durfte er New York City, wo er mit einem Cousin lebte, nicht verlassen und keinen Computer benutzen.
Im Dezember 2017 wurde Schulte erneut inhaftiert, nachdem die Staatsanwaltschaft Beweise dafür gefunden hatte, dass er gegen seine Auflagen verstossen hatte. Seitdem wird er im Metropolitan Correctional Center in Manhattan festgehalten.
Im Januar erklärte ein Staatsanwalt, dass die Untersuchung fortgesetzt werde. Es gehe auch darum, wie Tor, eine Software, die anonyme Kommunikation im Internet ermöglicht, «bei der Übermittlung geheimer Unterlagen verwendet wurde».
Sprich: Es fehlt an verwertbaren Beweisen.
Schultes Vater sagt, sein Sohn sei «weit davon entfernt» gewesen, geheime Informationen preiszugeben. Er habe sich vielmehr intern über Sicherheitslücken bei der CIA beschwert. Zuerst bei seinen Vorgesetzten, später habe er sich an den Generalinspektor des Geheimdienstes und an einen Mitarbeiter des House Intelligence Committee gewendet – das ist der politische Ausschuss, der CIA und Co. beaufsichtigt.
Die NYT will Beweise eingesehen haben, wonach diese Kontakte vor der Veröffentlichung von Vault 7 stattfanden.
Damit sind wir wieder bei Edward Snowden. Auch der NSA-Whistleblower entwendete streng geheime Geheimdienst-Informationen und gab diese weiter. Allerdings nicht an Wikileaks, sondern die Journalisten Glenn Greenwald und Laura Poitras.
Mit ihnen engagiert sich der heute 34-Jährige im Vorstand der Freedom of the Press Foundation, einer Stiftung, die Journalisten und Whistleblower unterstützt.
Und Schulte?
Er beteuert seine Unschuld in umfangreichen Dokumenten, die er auf einer Facebook-Seite veröffentlicht hat. Und er sammelt Geld für den juristischen Kampf gegen die US-Regierung.
Seine Anwälte haben wiederholt gefordert, dass die Staatsanwaltschaft endlich Anklage erheben solle wegen Vault 7. Ihr Mandant müsse die Gelegenheit erhalten, sich vor Gericht zu verteidigen, er verkümmere hinter Gittern.
Die Anklage dürfte unter dem Espionage Act erfolgen. Das ist ein uraltes Gesetz aus Kriegszeiten, das ursprünglich Geheimnisverrat an fremde Mächte unter Strafe stellte und erst später dazu missbraucht wurde, Whistleblower anzuklagen.
Das erste Mal, dass der ‹Espionage Act› gegen Whistleblower angewendet wurde, war 1971 bei den «Pentagon Papers». Und dies obwohl die Angeklagten keine Informationen an ausländische Mächte verraten hatten, sondern die Öffentlichkeit über geheime Machenschaften der US-Regierung während des Vietnamkriegs informieren wollten.
Unter US-Präsident Barack Obama wurde das Anti-Spionage-Gesetz endgültig zur Waffe gegen Whistleblower. Chelsea Manning wurde deswegen zu einer Gefängnisstrafe verurteilt.
Fragt sich, ob Trump an das unrühmliche Vorgehen Obamas anknüpfen wird. In einem Interview im Februar dieses Jahres sagte der Whistleblower Daniel Ellsberg, der die Pentagon Papers an Journalisten weitergegeben hatte, dass unter dem amtierenden Präsidenten bislang nur ein Whistleblower angeklagt worden sei. Allerdings habe Trump von seinem Justizminister verlangt, aggressiver gegen Enthüllungen vorzugehen.
Das lässt nichts Gutes hoffen für Schulte.
A former NSA intern and CIA software engineer who complained internally about security vulnerabilities at the agency, but nobody wanted to listen? The prosecution of Joshua A. Schulte reminds me strongly of Edward @Snowden 🤔https://t.co/IwMiBWMaGD
— Daniel Schurter (@schurt3r) 16. Mai 2018
Was für ein Zufall...
Nothing more to add Mr Snowden...