Tony Fadell war 30 Jahre alt und hatte ein Problem. Als Hobby-DJ wollte er jederzeit Zugang zu seiner ganzen Musiksammlung haben. Doch ein tragbares Gerät, das ihm dies ermöglichte, gab es nicht.
Dann kam ihm die Idee für einen MP3-Player mit ausreichend Speicherplatz und einen Onlinestore, über den Musik bezogen werden kann. Seinen damaligen Arbeitgeber Philipps konnte der Ingenieur damit aber nicht überzeugen. Schliesslich traf er Steve Jobs und entfachte in ihm dieselbe Begeisterung.
Fadell wirkte massgeblich mit bei der Entwicklung des iPods und dem Onlinestore iTunes. Als die Produkte 2001 auf den Markt kamen, zeigte sich, dass Millionen von Menschen dasselbe Problem hatten wie Fadell: zu viel Musik, zu wenig Platz in der Tasche. Der iPod wurde zu einem der erfolgreichsten elektronischen Geräte und iTunes trieb die Digitalisierung der Musik massgeblich voran.
Nun ist Tony Fadell 50 Jahre alt und hat wieder ein Problem, eines, das er mit Millionen von Menschen teilt: die Klimakrise. «Wir haben die Erde zerstört», sagt Fadell im Gespräch mit dieser Zeitung.
Andere erfolgreiche Tech-Unternehmer wie Elon Musk oder Jeff Bezos investieren in Raumfahrtunternehmen und haben es sich zum Ziel gesetzt, den Mond zu kolonialisieren. Sie wollen dort Ressourcen abbauen oder sogar die Schwerindustrie auslagern. Fadell ist bodenständiger.
«Was bringt es uns, wenn wir eine Million Menschen auf den Mond bringen, aber die Erde ruinieren», fragt er und in seinem Gesicht blitzt der Kampfgeist auf. Er leide unter der Vorstellung, dass er mitverantwortlich sei für den Zustand unseres Planeten. Doch das sei gut. «Aus Leiden entsteht Passion», sagt er und seine Augen funkeln begeistert, «und das ist das Wichtigste, um etwas zu schaffen.»
Das sei genau gleich, egal ob man einen iPod entwickelt, oder nach Massnahmen sucht, um den Planeten zu retten. Der Unterschied besteht aber darin, dass das Platzproblem der Musik mit einem schicken Gerät und einer raffinierten Software innerhalb kurzer Zeit gelöst werden kann. Das Klimaproblem hingegen hat viele Facetten und bedarf verschiedener Ansätze. Fadell sagt:
Deshalb hat er die Investment-Plattform FutureShape gegründet. Statt an einem einzigen eigenen Projekt zu arbeiten, sei es effizienter, wenn er hunderten Menschen dabei helfe, ihre Ideen zu verwirklichen. Und so unterstützt Fadell etwa ein Start-up, das den Kühlschrank neu erfinden will. Anstatt Kompressoren werden energieeffiziente Halbleiter verwendet. So soll der Strom für die Kühlung um 40 Prozent reduziert werden können.
Ein anderes Start-up, in das FutureShape investiert, will Fleisch und Leder künstlich herstellen. Dafür werden Zellen im Labor gezüchtet. So sollen in Zukunft keine Tiere mehr geschlachtet werden müssen. Das sei nicht nur im Interesse des Tierwohls, sondern auch der Nachhaltigkeit, sagt Fadell. Laborfleisch soll mit weniger Ressourcen hergestellt werden können.
In einem weiteren Projekt geht es darum, den Methangehalt in der Atmosphäre zu reduzieren. Wie CO2 ist auch Methan als Treibhausgas für die Erderwärmung mitverantwortlich, wobei es 30 Mal wirkungsvoller ist. Jedes Jahr entweichen bei der Produktion von Erdöl und Erdgas laut der Internationalen Energieagentur 75 Millionen Tonnen Methan. Das grösste Problem dabei: Man weiss nicht genau wo. Deshalb sollen Sensoren in Satelliten angebracht werden, um die Lecks aufzuspüren.
Und das ist erst der Anfang: Mittels Satelliten sollen auch illegale Abholzungen von Regenwäldern oder Überfischung von Meerabschnitten registriert werden. Fadell sagt:
Diese soll Umweltsünden erkennen und Regierungen sowie NGOs darüber informieren, damit die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden können. Dafür sollen alle möglichen Daten helfen, die Sensoren in der Luft, am Boden und unter dem Wasser sammeln.
Für Fadell ist klar, dass Technologie eine wichtige Rolle spielt, um die Klimakrise abzuwenden. Natürlich sei das Verhältnis zur Technologie immer ein zwiespältiges, sagt der iPod-Entwickler. Schliesslich haben die technologischen Errungenschaften der letzten Jahrhunderte massgeblich zur Klimakrise beigetragen. Etwa der Verbrennungsmotor, die Aviatik, aber auch der Datenverkehr des Internets.
Gemäss einer Studie des französischen Thinktanks «The Shift Project», trägt die Tech-Branche fast doppelt so viel zu den weltweiten Treibhausgasemissionen bei wie die gesamte zivile Luftfahrt.
Es komme immer darauf an, wie man eine Technologie nutzt, ist Fadell überzeugt. Das gilt auch für das iPhone, das der Ingenieur in seiner Zeit bei Apple massgeblich mitgeprägt hat. «Manchmal bricht mir der Schweiss aus, wenn ich daran denke, was ich und meine Kollegen da in die Welt gesetzt haben», sagte Fadell vor zwei Jahren an einer Veranstaltung im Design Museum London. Die suchterzeugende Wirkung sei fest ins Design des Gadgets eingewoben.
Der Gesinnungswandel hat auch damit zu tun, dass Fadell vor zwei Jahren das Silicon Valley verliess, wo er knapp 20 Jahre gelebt hatte. Er reiste ein Jahr durch Asien und liess sich dann in Europa nieder. «Das änderte meine Weltsicht drastisch», sagt Fadell. Er habe immer wieder dieselben Probleme gesehen. Viele Länder stünden erst gerade an der Schwelle zur Industrienation. Die Belastung für das Klima würde in den nächsten Jahren noch mehr zunehmen. Fadell sagt:
Und da ist er wieder: der Glaube an die Technologie. Der Glaube daran, dass damit nicht nur das Leben eines Hobby-DJs erleichtert, sondern auch die Klimakrise gelöst werden kann.
Und weil grosse Unternehmen lieber in den nächsten iPod – beziehungsweise in das nächste iPhone – investieren, schiesst Fadell sein eigenes Geld in die disruptiven Umweltprojekte.
Dass mit Nachhaltigkeit durchaus auch Geld verdient werden kann, hat Fadell schon selber bewiesen. Nachdem er 2008 Apple verlassen hat, gründete er zusammen mit einem Freund ein eigenes Unternehmen und entwickelte den smarten, energieeffizienten Thermostaten Nest.
2014 verkauften Fadell und seine Partner die Firma für 3.2 Milliarden Dollar an Google. Um die Welt mit neuen Technologien zu retten, hat der iPod-Erfinder Tony Fadell also noch einen ansehnlichen Batzen in der Krisenkasse.
(aargauerzeitung.ch)