Die Produktions-Fabrik von Huawei steht ausserhalb der Grossstadt Shenzhen. Es ist das erste Mal, dass der chinesische Smartphone-Hersteller westliche Journalisten in seine Produktionsstätte einlädt.
Fotografieren strengstens verboten. Menschen und Maschinen arbeiten hier Hand in Hand.
Nach jedem Arbeitsschritt wird die Qualität überprüft, die Displays etwa werden einem 13-stündigen Stresstest ausgesetzt. Ein Bildschirm an der Decke zeigt die Fehlerquote an. Für diesen Tag beträgt sie zur Mittagszeit 0 Prozent.
Am Ende der Produktionsstrasse, dort wo, die Smartphones verpackt werden, ist gut sichtbar ein grosser Zähler angebracht. Er zeigt 738 Tage an. So lange hat sich kein Kunde mehr über ein Produkt beklagt, das an dieser Strasse in der Fabrik produziert wurde.
«Früher ging es bei chinesischen Firmen darum, Produkte billiger zu machen. Das geht nun nicht mehr. Es gibt zu viele Billigware», sagt Joonsuh Kim, der Chef-Designer von Huawei.
Der Koreaner wurde 2012 von Samsung abgeworben, um die Huawei-Geräte schöner zu machen – und damit sie die Leute gegen ein iPhone oder ein Galxy S6 eintauschen.
Keine leichte Aufgabe, ist doch der Gestaltungs-Spielraum bei Smartphones eng. Doch das ist er bei Autos auch, und dennoch haben es die grossen Hersteller wie BMW oder Audi geschafft, unverwechselbare Formen zu kreieren.
Davon lässt sich Kim leiten. «Man erkennt unsere Smartphones sofort als Huawei-Geräte, sie sind eckiger als jene von Samsung und Apple», erklärt der Industrie-Designer. Die scharfen Kanten gäben Stabilität und vermittelten Hochwertigkeit.
Dieses Jahr hat Huawei die Konkurrenten Apple und Samsung frontal angegriffen mit der Vorstellung des Mate S in Berlin. Das Gerät unterscheidet sich hinsichtlich der Spezifikationen kaum mehr von einem iPhone 6S Plus oder einem Samsung Galaxy S6 Edge Plus. Das gilt auch für den Preis. Ab 749 Franken gibt es das Smartphone in der Schweiz zu kaufen.
Kein anderer Hersteller von smarten Mobiltelefonen entwickelt sich derzeit so rasch wie Huawei. 63 Prozent beträgt die Wachstumsrate im dritten Quartal 2015 im Vergleich zum Vorjahr. Mittlerweile ist der Konzern die Nummer drei – hinter Samsung und Apple.
Letztes Jahr erwirtschaftete Huawei in der Konsumenten-Sparte, die hauptsächlich Smartphones beinhaltet, einen Umsatz von 16 Milliarden Dollar. Dieses Jahr wird man die 20-Milliarden-Marke knacken. «In drei bis fünf Jahren wollen wir 50 Milliarden Umsatz machen», sagt Kevin Ho, der für die Smartphone-Sparte verantwortliche Manager.
Huawei wächst, während andere zunehmend in der Versenkung verschwinden. Nokia, der einst grösste Handyhersteller, wurde von Microsoft aufgekauft und spielt keine Rolle mehr. Die Blackberrys, eins das Statussymbol der Manager, sind verschwunden. Sony ist längst abgeschlagen. HTC kämpft gegen den Konkurs.
Das Fabrikgelände von Huawei ist gigantisch gross, doch hier werden nicht einmal zehn Prozent aller Smartphones produziert, die der Konzern verkauft. In der eigenen Fabrik werden bloss die ersten Stücke eines neuen Premium-Modells hergestellt.
Dann wird die Produktion ausgelagert an Foxconn, jenen Konzern in China, der auch die iPhones produziert. «Unsere eigene Fabrik dient bloss der Qualitätssicherung», sagt Produktions-Chef Tommi Laine-Ylijoki.
Der Finne war früher bei Nokia tätig, ehe er zu Huawei geholt wurde. Der Hüne gehört zum Typ freundlich, aber bestimmt. Eine natürliche Autorität, die den Chinesen Eindruck macht. Schreitet er durch die Gänge des Headquarters, wird er von zwei Dolmetscherinnen begleitet, die ihm die Meetings simultan übersetzen. Noch immer ist die Hauptsprache des Konzerns Chinesisch, nicht Englisch.
Die Stadt Shenzhen, in der Huawei seinen Hauptsitz hat, befindet sich lediglich eine Autostunde entfernt von Hongkong. Die 12-Millionen-Stadt ist in den letzten 30 Jahren entstanden.
Die Stadt hat keine Geschichte; vielleicht richten sich hier deshalb alle nach der Zukunft. Die Menschen auf den Trottoirs bewegen sich schnell. Auf den Strassen fahren überproportional viele Rolls Royces, Bentleys und Ferraris. Alles scheint hier auf die Arbeit und die Vermehrung des Reichtums fokussiert zu sein. Das perfekte Umfeld für Huawei.
Doch anders als die Stadt selbst hat Huawei eine Geschichte. Und zwar jene des Netzwerkausrüsters. Vom US-Senat wurde die Firma beschuldigt, über ihre Telefonkabel Amerika auszuspionieren. Beweise wurden aber nie vorgelegt. Auch in Europa litt der Ruf der Firma.
Keine gute Voraussetzung, um im Smartphone-Geschäft durchzustarten. Doch dann geschah etwas, was das Blatt wendete: Edward Snowden enthüllte, dass die Amerikaner so ziemlich alles ausspionieren, was sich ausspionieren lässt.
Mehr noch: Die grossen amerikanischen Technik-Firmen unterstützen den Geheimdienst sogar dabei. Kaum jemand sprach noch über allfällige Spionage-Aktivitäten von Huawei.
Ein anderes Problem von Huawei löst sich wohl nicht ebenso von selbst: Die Chinesen haben dem Smartphone nichts hinzuzufügen. Apple hat 2007 das internetfähige Mobiltelefon mit einem Multi-Touchscreen versehen und so das erste populäre Smartphone entwickelt. Samsung hat erkannt, dass das Display zu klein ist und Geräte mit Bildschirmen um die 5 Zoll lanciert.
Diesem Beispiel sind nun auch Apple und alle anderen gefolgt. Huawei hingegen kopiert nun einfach das Apple-Samsung-Konzept. Und setzt dabei auf eine eigene Design-Sprache.
Doch warum soll jemand ein Huawei-Handy kaufen, wenn dieses kaum billiger ist als ein iPhone oder ein Samsung-Gerät? Weil die Leute etwas Neues wollen, weil ihnen die bekannten Marken verleidet sind, weil sie Anti-Mainstream sein wollen. So die Hoffnung des Konzerns.
Auf jeden Fall ist man bereit, für den Erfolg hart zu arbeiten. Das Huawei-Gebäude in Schanghai, wo auch das Design-Team von Joonsuh Kim untergebracht ist, erstreckt sich über einen ganzen Kilometer und ist von einem idyllischen Park umgeben – man soll sich auch den Kopf mal durchlüften können.
Morgens um 11 Uhr trifft man im Grünen aber keinen der 10'000 hier stationierten Mitarbeiter an. Sie sind beschäftigt. Doch emsig arbeiten auch andere. In China besonders. Allen voran bei Xiaomi, dem neuen Handyhersteller, der auf günstige, trendige Mittelklasse-Geräte setzt. So wie es Huawei vor wenigen Jahren auch tat. Es ist absehbar, dass Xiaomi dem Modell Huawei folgen wird.
Fleiss und Disziplin sind die Grundlagen des chinesischen Erfolgs. Denn in einem Land mit einer Milliarde Menschen entscheidet sich letztlich aufgrund dieser Tugenden, ob man zu jenen wenigen Menschen gehört, welche Smartphones entwickeln, oder in der Masse untergeht, die sie in der Fabrik zusammenschrauben müssen.
(aargauerzeitung.ch)