Ein Facebook-Nutzer hat im Durchschnitt 338 Freunde. Doch es ist die Tragik des digitalen Subjekts, dass man mit keinem von ihnen essen gehen kann. Am Ende sitzt man doch wieder allein da und wischt sich durch die Status-Updates seiner Kontakte.
Die «Einsamkeitsepidemie» ist eine der grössten sozialen Herausforderungen unserer Zeit: Einsamkeit, zeigen Studien, macht nicht nur körperlich und seelisch krank, sondern auch empfänglicher für Extremismus. Menschen, die einsam oder aus freien Stücken allein sind, entwickeln negative Denkmuster und ziehen sich aus allem heraus. Treffen seltener Freunde. Gehen weniger oft auf Partys und zu Wahlen. Engagieren sich weniger in Vereinen. Und entwickeln deshalb kaum Empathie für Andersdenkende.
Schuld an der Einsamkeitskrise ist nicht zuletzt Social Media. Psychologische Studien belegen: Je mehr Zeit man in sozialen Netzwerken verbringt, desto weniger Zeit hat man für Face-to-Face-Interaktionen, die für den Aufbau stabiler Freundschaften wichtig sind.
Bei Facebook wurde das Problem längst erkannt: So zeigt eine interne Untersuchung aus dem Jahr 2018, die die frühere Facebook-Managerin und Whistleblowerin Frances Haugen enthüllte, dass die Apps die Nutzer einsam machten. Das Facebook-Management wusste also Bescheid, welchen Schaden die eigenen Apps anrichten. Trotzdem liess es die Algorithmen immer weiter feintunen, damit die Nutzer noch mehr Zeit in dem sozialen Netzwerk verbringen und der Konzern noch mehr Geld verdient.
Facebook-Chef Mark Zuckerberg glaubt nun, dem solutionistischen Mantra des Silicon Valley folgend, eine Lösung für das Problem der Einsamkeitsepidemie gefunden zu haben: künstliche Intelligenz. «Der durchschnittliche Amerikaner hat weniger als drei Freunde», sagte der Meta-Boss kürzlich in einem Podcast. Die durchschnittliche Person habe jedoch einen Bedarf an mehr «Connectivity». 15 Freunde, meint Zuckerberg, sollten es schon sein.
Und da kommt die KI ins Spiel: Neben Menschen aus Fleisch und Blut sollen sich Facebook-Nutzer in Zukunft auch mit Chatbots anfreunden. Geht es nach Zuckerberg, werden wir bald mit KI-Freunden, KI-Therapeuten und KI-Geschäftsleuten kommunizieren. Zwar räumte der Facebook-Gründer ein, dass Bots kein Ersatz für menschliche Beziehungen seien. Doch bei der Meta-KI sehe man bereits, dass das Sprachmodell für «schwierige Konversationen» genutzt werde. In Zukunft, so Zuckerbergs Vision, werden wir alle KI-Freunde haben.
Auf der Plattform Character.AI etwa können Nutzer schon heute personalisierte «Freunde» basteln und mit den KI-Versionen berühmter Persönlichkeiten wie Harry Potter, Elon Musk oder Beyoncé chatten. In der Virtualität ist alles möglich. Die Chatbot-App Replika, mit der man seine virtuelle Freundin nach seinen Vorstellungen konfigurieren kann, hat mittlerweile 25 Millionen Nutzer. Und in China, wo das Fenster in die digitale Zukunft noch weiter geöffnet ist, haben Millionen junge Menschen ihren Traumpartner in der virtuellen Welt der App Xiaoice gefunden. KI-Freundinnen und -Freunde sind immer erreichbar, haben keine Launen und betrügen nicht. In einer mobilen, dynamischen Arbeitswelt scheinen KI-Romanzen ein «perfect match» zu sein. Taugt KI als Breitbandtherapeutikum gegen Einsamkeit?
Experten zweifeln. Die amerikanische Psychologin und Soziologin Sherry Turkle hat schon in ihrem 2011 erschienenen Buch «Alone Together» beschrieben, dass sich Menschen digitalen Kommunikationstechnologien zuwenden, weil sie sich vor Enttäuschungen im realen Leben fürchten: «Verunsichert in unseren Beziehungen und voller Angst vor zu grosser Nähe, tauchen wir heute in digitale Welten ein, um Beziehungen zu führen und gleichzeitig vor ihnen sicher zu sein.»
Ein Chatbot sagt nicht kurzfristig den lange geplanten Wochenendtrip ab, er wühlt nicht in der Vergangenheit herum und fällt keine Moralurteile – der Cyberfreund klopft einem immer auf die Schulter. Per SMS Schluss zu machen, ist auch bei einem Menschen leichter als ein Anruf. Gerade weil einem die Technologie hilft, unangenehmen Gesprächen aus dem Weg zu gehen, greift man stärker darauf zurück und scheut immer mehr den Kontakt von Angesicht zu Angesicht. Die Folge: Man hat noch weniger Freunde. Ein Teufelskreis. KI-Freunde, so Turkle, erzeugen lediglich eine Simulation von Nähe, die die eigene Gefühlswelt spiegelt.
Die Erkenntnisse aus Turkles Buch werden von der jüngeren Forschung bestätigt. So belegt eine Studie, dass KI-Freunde zwar kurzfristig das Wohlergehen steigern, aber langfristig den Suchtfaktor verstärken. Und je mehr man sich von KI verstanden fühlt, desto unverstandener fühlt man sich von Freunden und Familie. Chatbots bieten also eine Lösung für ein Problem, das sie selbst verursachen.
Wie gefährlich die Näheverhältnisse zu künstlichen Agenten sein können, zeigt ein Fall aus den USA: Dort soll ein Chatbot der Plattform Character.AI im vergangenen Jahr einen 14-jährigen Teenager in den Suizid getrieben haben. Die Mutter hat die Firma daraufhin verklagt. Bei Instagram sollen sich derweil nutzergenerierte Chatbots mit gefälschten Lizenzen als Therapeuten ausgegeben haben. «Erst hat Mark Zuckerberg die Freundschaft zerstört, und jetzt will er sie durch KI ersetzen», kritisierte ein Kommentator im «Business Insider».
Zwar hat sich die Chan Zuckerberg Initiative, die Stiftung, die der Facebook-Gründer mit seiner Frau Priscilla Chan gegründet hat, dem hehren Ziel verschrieben, bis 2100 alle Krankheiten der Menschheit zu heilen. Doch natürlich geht es Zuckerberg nicht darum, die Welt, sondern sein eigenes Geschäftsmodell zu retten. Und da gibt es ein Problem: Facebook sterben die Nutzer weg. Laut einer Studie der Universität Oxford könnte 2070 die Zahl der verstorbenen Nutzer erstmals die der lebenden übersteigen. Bis zum Jahrhundertende könnten es 1,4 Milliarden tote Nutzer sein. Also bevölkert man das soziale Netzwerk oder Metaverse mit KI-Freunden. Die sind so lange aktiv, bis man sie abschaltet. (aargauerzeitung.ch)
Ich freu mich schon wenn die KI mich zum essen einlädt (natürlich bezahlt von Zuki) 🤣
Die einzige Herausforderung besteht bei nüchterner Betrachtung offensichtlich darin, das Gerät zu verlassen - um zB mit jemand Realem eine echte Mahlzeit essen zu gehen.
Mein Mitleid mit diesen Überforderten hält sich deshalb in Grenzen...