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Red Dead Redemption 2» – eine riesige Enttäuschung

Nie sah eine virtuelle Welt lebensechter aus: RDR2. 
Nie sah eine virtuelle Welt lebensechter aus: RDR2. bild: screenshot

«Red Dead Redemption 2» – eine riesige, wunderschöne Enttäuschung  

13.11.2018, 19:1414.11.2018, 14:13
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Die Westernsaga «Red Dead Redemption 2» ist das achtbeste Game der Welt.

Mit 97 von 100 Punkten ist das nicht meine subjektive Einschätzung, sondern das Resultat der Zusammenfassung von derzeit 91 Testberichten auf Metascore

Der Grund dieses Erfolges liegt auf der Hand. Spielsequenzen von RDR2 sind atemberaubend: Die Bäume, die sich im Wind wiegen, wie die Strassen bei Regen langsam schlammig werden, wie Hunde ihr Bedürfnis auf dem Gehweg verrichten. Nie verhielt sich eine künstliche Lebenswelt echter. Auch unser Gameexperte kommt aus dem Schwärmen nicht mehr heraus:

Doch das Game hat ein riesiges fundamentales Problem: die Gratwanderung zwischen Simulation und Action. RDR2 schiesst sich dabei ein paarmal selbst ins Knie.

Bild
bild: screenshot RDR2

Ein Kampfsystem anno 1985.

Ich weiss nicht, ob sich das achtbeste Spiel aller Zeiten eine Prügelmechanik erlauben kann, die rudimentärer ist als Bob Sapp. Blocken, Schlagen und etwas Würgen – die Schlägerei bei RDR2 erinnert an «Double Dragon» von 1987. Aber ich bin unfair. Bei «Double Dragon» können Objekte wie Fässer und Baseballschläger eingesetzt werden. Ausserdem reagiert die Steuerung präzis. Beides gilt nicht für RDR2.

North Koreans watch as Bob "The Beast" Sapp, center left, struggles with his opponent during a pro wrestling exhibition, Sunday, Aug. 31, 2014 in Pyongyang, North Korea. (AP Photo/Kim Kwang  ...
Bob Sapp bei einem Auftritt in Nordkorea. In Sachen Kampfsport kein Filigrantechniker.Bild: AP/AP

Ich erwarte kein «Tekken» und auch kein «Sleeping Dogs» (2012), aber eine etwas zeitgemässere Herausforderung als einfach nur zwei Knöpfe drücken. Hier hat Rockstar den Spielspass zugunsten von flüssigen Animationen geopfert. Ein schlechter Entscheid. Es sollte nicht der letzte sein.

Kampfszenen bei RDR2. Wer einen überraschenden Move findet, soll ihn bei Sotheby's versteigern.Video: YouTube/TuYasRecords

Falsche Limiten, falsche Pflichten

Apropos zeitgemäss. Das Game lässt es zu, dass ich eine gefesselte Feministin einem Alligator verfüttere oder einen blinden Bettler niederstrecke. Wenn ich mein Pferd aber «Fucker» nennen will, zieht RDR2 die Scheuklappen an. Achtung Kraftausdruck. Die sind verboten in RDR2. Was für ein Hohn.

Dafür werde ich gezwungen, mein virtuelles Pferd zu striegeln. Ich gebe zu: Ich bin kein Pferdetyp. Doch sollte ich wirklich jemals Lust dazu verspüren, ein unechtes Pferd zu striegeln, dann spiele ich mit meiner Tochter «My Little Pony».

Ich wäre nur zu gerne dabei gewesen, als entschieden wurde, dass das virtuelle Striegeln eines Pferdes dem Spielspass eines Western-Games zuträglicher ist als ein zusätzlicher Kampfmove. Oder ein ansatzweise faires Justizsystem.

Gleich drücke ich wieder auf zwei Knöpfe und gewinne eine Barschlägerei.
Gleich drücke ich wieder auf zwei Knöpfe und gewinne eine Barschlägerei.bild: screenshot

«Ich habe doch gar nichts getan!»

Ja, das Justizsystem. Auf den viel zu zahlreichen Wegen und Strassen haben alle Vortritt – ausser Spielfigur Arthur Morgan. Bei der kleinsten Berührung eines fremden Pferdes pfeifen mir Kugeln um die Ohren. Zurückschiessen ist verboten. Arthur Morgan hat kein Recht auf Selbstverteidigung.

Dafür aber darf er Fucker Gagg striegeln. Ja. Ich sah mich gezwungen, meinen Rappen Gagg zu taufen.

Und steht Gagg wieder einmal im Schilf oder liegt er aufgrund seiner suizidalen Veranlagung kalt in einer Schlucht, dann komme ich in den Genuss von Arthur Morgans Schlendergang. Paul Pogba am Elfmeterpunkt ist ein Sprinter dagegen. Und wieder: Realismus auf Kosten von Spielspass.

Egal. 

Dann lade ich halt einen alten Spielstand.

Doch was ist das? Hier habe ich doch gar nicht abgespeichert? Wo sind all die Gesetzeshüter hin, die mich soeben noch in die ewigen Jagdgründe schickten? Weg! Wo bleibt meine zweite Chance?

Anstelle der bärbeissigen Gesetzeshüter sehe ich vier Rehe, einen Fuchs, drei Hasen, einen Fischer, der Selbstgespräche führt, eine fahrende und eine ausgebrannte Kutsche, ca. 15 Wege, und unter einem Pferd liegt eine um Hilfe schreiende Dame. Dichtestress mitten in der Pampa. 

Sieht verdammt gut aus und spielt sich ganz okay: RDR2.
Sieht verdammt gut aus und spielt sich ganz okay: RDR2.bild: screenshot RDR2

Wenn sich Fuchs, Hase, Reh und Eichhörnchen gute Nacht sagen wie in einem Disney-Kitsch, nützt das schönste digitale Abendrot nichts. Es will einfach kein Wildwestgefühl aufkommen. Genau das versucht Rockstar aber mit Hyperrealismus an falscher Stelle zu erzwingen.

Ich könnte weitere Negativpunkte auflisten: die bescheidenen Ausbaumöglichkeiten, die knubbeligen Lebensstatusanzeigen, das irre Aufwand/Ertrag-Verhältnis, die unpräzise Steuerung, die viel zu hohe Anzahl Zufallsbegegnungen ...

Ein mutiges Konzept nicht durchgezogen

Mir kommt es vor, als hätten sich bei Rockstar zwei Fraktionen gebildet: die Westernsimulationsfreunde und die Actionpartei.

Statt ein Konzept stringent durchzuziehen, schlossen die beiden Parteien Kompromisse. Oft an falscher Stelle. Spielspass wurde für Simulationselemente geopfert, Stimmung für möglichst viel Action.

«Red Dead Redemption 2» ist ein gutes Spiel – mit Sicherheit aber nicht das achtbeste Game aller Zeiten. Der Hype ist völlig ausgeartet.

Zum Glück erfasst Metascore nicht nur Expertenmeinungen, sondern auch die Verdikte der Spieler. Und da sind die Stimmen kritischer. Wenn es nach den Spielern (über 4000 Stimmabgaben) geht, kriegt RDR2 auf der PS4 7,7 von 10 Punkten. Das kommt etwa hin.  

Sport am Computer statt in der Turnhalle

Video: srf
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202 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Tilia
13.11.2018 20:15registriert Oktober 2014
Also gut auf die Gefahr hin als Frau hier gnadenlos niedergemacht zu werden....genau deine Rezession hat mich gerade entscheiden lassen, das Spiel zu zocken. Ich mag diese hochkomplexen Kampfmoves einfach nicht. Ich mag die Geschichten, das Rätseln und das Wandern in fremden Welten und ich mag Schlachten (ich bin flammende Diablozockerin) aber ich gebe ganz ehrlich zu ich mags einfach und entspannt. Ich fand ja Spiderman irre geil...aber mir wars schon bald zu kompliziert am Controller. Nicht weil ich nicht kann. Weil ich nicht mag ✌🏼🎮
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Konrad von Würzburg
13.11.2018 19:34registriert Mai 2015
Das Spiel als eine Enttäuschung zu betiteln ist einfach nur falsch. Jedes Spiel hat seine schwachstellen und Kritikpunkte und auch über das Spiel auf dem ersten Platz kann man eine Liste davon erstellen. Den achten Platz kriegt es halt weil es vielen Leuten richtig Spass macht und mit viel Liebe zum Detail und zur Story gemacht wurde. Simon Dick wüsste das sicher zu schätzen.
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Hackphresse
13.11.2018 21:27registriert Juli 2014
'No Offense' um mal Dutch oder Arthur zu zitieren ABER!
Am liebsten lieber Togg(i) würde ich dir gerne mal 2 Stunden beim spielen von RDR 2 zuschauen und dir erklären wie du dein Gaul am leben erhältst und Säuberst ohne ihn striegeln zu müssen.
Und wann hast du verlernt selbst Speicherstände anzulegen?

Wildweststimmung kommt übrigens im tatsächlichen Westen der Map gegen Ende der Story auf, wenn du es auf die Umwelt abgesehen hast.
Rockstar hat doch von Anfang an klar gemacht dass die Geschichte in der Zeit der Veränderung von 'Wild West' zu Zivilisation spielt im OSTEN des Landes, oder?
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