Am 17. November 1997 überfielen islamistische Terroristen eine überwiegend schweizerische Touristengruppe im ägyptischen Luxor und richteten ein Blutbad an. Nicht blutig genug für den «Blick»: Die Boulevardzeitung veröffentlichte ein Bild vom Tatort, auf dem eine Wasserlache nachträglich blutrot eingefärbt worden war.
Die Bildmanipulation flog rasch auf. Heute tauchen das retuschierte Bild und sein Original in fast jeder Zusammenstellung von manipulierten Bildern auf. Die Liste solcher Fälschungen ist lang, und sie beginnt bereits in den Kindertagen der Fotografie. Glasplatten und Negative wurden mehrfach belichtet oder nachträglich bearbeitet, Fotos montiert, Szenen nachgestellt.
Besonders eifrig liessen Diktatoren Bilder fälschen. Stalin liess in Ungnade gefallene Mitstreiter aus Fotos herauskratzen: Auf die physische Vernichtung des Gegners folgte der Versuch, auch die Erinnerung an ihn auszulöschen – ein Verfahren, das schon die alten Römer als Damnatio memoriae («Verdammung des Andenkens») praktizierten.
Obwohl die Möglichkeiten der Bildmanipulation also lange vor Photoshop bestanden und auch eingesetzt wurden, gelang es der Fotografie – besonders der Pressefotografie – im 20. Jahrhundert, zum Medium der Wahrheit schlechthin zu werden. Ein Bild sagt mehr als tausend Worte, heisst es, und wir sind uns gewohnt, das zu glauben, was wir sehen.
Möglicherweise verdankte die Fotografie ihre Glaubwürdigkeit dem Umstand, dass es sich bei ihr um ein chemisch-physikalisches Verfahren handelt – Technik suggeriert Objektivität. Ironisch genug ist es nun der technische Fortschritt, der diese Glaubwürdigkeit wieder unterminiert: Im Zeitalter der digitalen Bildbearbeitung ist die Fotografie entkörperlicht; an die Stelle der Negative, die man als Beweis der Wahrheit heranziehen konnte, sind digitale Rohdaten getreten.
Seit Photoshop & Co. zum gängigen Arbeitsmittel der Fotografen und Redaktoren geworden sind, haben sich die Möglichkeiten der Bildmanipulation vervielfältigt. Früher war es eine aufwändige Angelegenheit, Bilder zu fälschen. Heute kann auch der Laie die Realität mit einigen Mausklicks schönen. Auf die Inflation der manipulativen Eingriffe folgt zwangsläufig die Erosion der Glaubwürdigkeit.
Dabei hat sich grundsätzlich gar nicht viel verändert. Fotos waren, wie erwähnt, von Anfang an Objekt der Manipulation. Und Manipulation war schon immer auch möglich, ohne die Bilder überhaupt anzurühren: durch irreführende Bildlegenden zum Beispiel, oder durch die Wahl von Motiv, Perspektive oder Ausschnitt.
So merkt der Betrachter in der Regel auch nicht, wie die Präsenz des Fotografen die abgelichtete Situation beeinflussen kann – analog zur Heisenberg'schen Unschärferelation in der Quantenphysik, die den Einfluss des Messvorgangs auf das Gemessene aufzeigt. Das untenstehende Video zeigt diesen Einfluss – aus israelischer Warte – anhand des Nahostkonflikts:
Neben der technischen Machbarkeit der Manipulation verschärft ein weiterer Faktor das Problem der Glaubwürdigkeit von Bildern: Immer mehr Fotos stammen nicht von Fotojournalisten sondern von Amateuren und Leserreportern. Diese Bilder werden auf sozialen Medien verbreitet oder direkt an Redaktionen geschickt. Gerade bei Fotos aus Konfliktgebieten ist stets damit zu rechnen, dass sie eine ganz bestimmte Sicht der Dinge transportieren sollen.
Für die professionellen Bildproduzenten und die Bildverwerter in den Redaktionsstuben ist diese Entwicklung nicht nur deshalb unangenehm, weil sie das Problem der Glaubwürdigkeit verschärft. Sie bedroht letztlich auch ihre berufliche Stellung; die Mauer zwischen Journalist und Leser bröckelt.
All dies führt dazu, dass Fotos den Nimbus des objektiven Beweismittels verlieren, den sie ohnehin nie verdient hatten. Das können auch ausgefeilte Softwareprogramme nicht verhindern, die Bilder verifizieren sollen. Fotos, die sich beinahe so leicht verändern lassen wie Wörter und Sätze, nähern sich immer mehr Texten an – ihre Glaubwürdigkeit ist letzten Endes wie bei diesen an die Autorenschaft geknüpft.