Als Steve Jobs im Januar 2010 das iPad vorstellte, war es nicht das erste Tablet, an dem sich IT-Unternehmen versucht hatten. Aber es wurde das erste erfolgreiche – und begründete eine neue Gerätekategorie.
Bis heute führt Apple mit seinen iPads den Tabletmarkt an und legte die Messlatte mit jeder neuen Gerätegeneration ein wenig höher. Für dieses Jahr versprach Apple allerdings keinen weiteren Leistungsschritt, sondern einen gewaltigen Sprung – sowohl was das Display als auch was die Leistung angeht. Wir konnten das Gerät vorab ausführlich testen.
Dass man tatsächlich ein neues iPad in Händen hält, ist auf den ersten Blick nicht zu erkennen. Das Gehäuse des von uns getesteten 12.9-Zoll-Modells des iPad Pro ist mit dem des Vorjahresgeräts nahezu identisch. Erst wenn man sie direkt nebeneinanderlegt, kann man fühlen, dass das neue iPad Pro mit 6.4 mm Dicke einen halben Millimeter zugelegt hat – ein Zugeständnis an das neue XDR-Display, erklärte uns Apple. Praktisch ist der Unterschied aber im Alltag völlig unerheblich.
Unnötig war offenbar auch die Aufregung um das tolle, aber kostspielige Magic Keyboard. So war von einigen Medien berichtet worden, dass die neue Tastatur für das 12.9-Zoll-Modell zwar rückwärtskompatibel zum alten iPad Pro sei, aber nicht andersherum – sodass Besitzer eines alten Magic Keyboards ein neues hätten kaufen müssen, hätten sie es mit einem neuen iPad Pro nutzen wollen.
Tatsächlich gelang es uns nicht, nennenswerte Unterschiede zwischen Alt und Neu mit blossem Auge zu erkennen. Die Ähnlichkeit ist so gross, dass wir zur Waage greifen mussten, um die beiden sicher auseinanderzuhalten. Der neue Tastaturständer ist mit rund 680 Gramm gut 20 Gramm leichter als das ältere Modell. Beide passen an beide Modelle, so viel ist sicher.
Während der Präsentation beim Apple Event geriet diese Funktion neben den anderen Hardware-Highlights fast schon in Vergessenheit – aber «Center Stage» dürfte in diesen videokonferenzlastigen Tagen schon für sich genommen ein Kaufargument für das neue iPad Pro sein. Die Funktionsweise ist schnell erklärt: Apple hat seinem neuen iPad als Selfiekamera eine Ultraweitwinkelkamera mit 12 Megapixel (MP) Auflösung spendiert statt der bisher verbauten Weitwinkelkamera mit 7 MP.
Die neue Kamera behält nun ein viel weiteres Sichtfeld vor dem iPad im Blick und kann auf Wunsch automatisch auf das Gesicht des Nutzers zoomen, wenn dieser im Videocall ist.
In der Theorie mag das wie eine unsinnige Spielerei klingen – doch im Homeoffice-Alltag war «Im Blick behalten», wie die Funktion auf Deutsch heisst, ein echter Volltreffer: Denn egal, wie viel man sich auf seinem Schreibtischstuhl bewegt – stets zoomt die Kamera dezent mit. Wenn das iPad etwa am Rand neben einem Bildschirmarbeitsplatz steht, muss das Gerät nicht mehr verrückt und gedreht werden: Selbst wenn man bei einer Konferenz lieber auf- und abläuft, bleibt man im Bild.
Natürlich kann das iPad keine Wunder vollbringen – wer sich zu weit aus dem Blickfeld bewegt, verschwindet; wer sich zu weit entfernt, sieht dann doch irgendwann recht klein aus. Aber in den meisten Fällen kann man die Kamera komplett vergessen, was die Funktion zu einem grossen Mehrwert im Alltag macht.
Die Kameraschwenks selbst wirken dabei nicht hektisch, sondern eher filmisch: Leicht verzögert und mit weichen Bewegungen fallen sie stets dezent aus und nerven nicht. Beim Facetime-Familiengespräch funktioniert das Ganze fast noch besser, da die Kinder so auch im Bild bleiben, wenn sie nicht still sitzen – zumindest solange sie ihr Gesicht dem iPad zuwenden.
Im Test klappte «Im Blick behalten» mit allen Programmen, die wir ausprobiert haben: Zoom, WebEx, Teams und Facetime. Da Apple die Software-Schnittstelle für Entwickler freigegeben hat, kann sie in jede beliebige App integriert werden. Wer die Funktion nicht mag, kann sie übrigens ausschalten – und zwar gesondert für jede App einzeln.
Eines der wichtigsten Bauteile eines Tablets ist sein Display. Und genau hier steckt eine der beiden grössten Neuerungen des iPad Pro 2021. Mit Vorschusslorbeeren hatte Apple nicht gespart: Das «absolut beste Display, das wir in ein 12.9-Zoll-iPad einbauen können», sagte Hardware-Entwicklungschef John Ternus im Gespräch mit t-online über das neue Liquid Retina XDR Display. Tatsächlich ist es nur im grösseren iPad Pro verbaut, das kleinere Pro-Modell wird mit dem gleichen Display wie das Vorjahresgerät verkauft. Das ist nach wie vor ein hervorragendes Tabletdisplay. Doch im Vergleich zum neuen XDR-Schirm sieht die Vorjahrestechnik buchstäblich blass aus – zumindest bei passenden Inhalten.
Was genau hinter der neuen Display-Technologie samt den 2596 Dimming-Zonen und den über 10'000 Mini-LEDs steckt, hat Chefentwickler Ternus hier in diesem Interview sehr gut erklärt. Jetzt soll es darum gehen, was die Technologie im Alltag kann.
Schon auf den ersten Blick sieht der Bildschirm des neuen iPads toll aus, aber das tut der des Vorjahresgeräts auch. Wer einfach nur den Browser öffnet und watson.ch aufruft, wird schon sehr genau hinschauen müssen, um im direkten Vergleich zwischen beiden Geräten einen nennenswerten Unterschied festzustellen.
Das ändert sich, sobald die beiden Geräte ein HDR-Foto oder -Video anzeigen. Mit einem Mal sieht das ausgezeichnete Display des iPad Pro 12.9 aus dem Vorjahr nur noch drittklassig neben dem aktuellen Gerät mit XDR-Bildschirm aus – denn erst bei solchen Inhalten kann die neue Technologie ihre Fähigkeiten ausspielen.
Eher dezent sind die Unterschiede in vielen Filmproduktionen, die man bei den bekannten Streamingdiensten anschauen kann. Insgesamt wirkt das Bild aber knackiger, die Farben im Vergleich oft etwas leuchtender. Bei vielen Filmen – und im Übrigen auch bei Nicht-HDR-Material – kann man auch das tiefe Schwarz bewundern, das die Mini-LED-Technik im neuen iPad möglich macht. Das Schwarz auf dem klassischen LED-Bildschirm des 2020er-Modells sieht dagegen klar dunkelgrau aus.
Unbarmherzig brutal wird der Vergleich bei geeigneten HDR-Fotos. Ein klassisches Beispielmotiv, das den Unterschied verdeutlicht, sind bei Nacht fotografierte Neonreklamen. Auf typischen Fotos gelingt es meist nicht, das Glühen der Leuchtstoffröhren einzufangen und anschliessend wiederzugeben. Das XDR-Display des iPad Pro vollbringt das eindrucksvoll – während dasselbe Foto auf dem alten Gerät flau und flach aussieht.
Wer ein iPhone 12 besitzt, kann diesen Effekt auch bei vielen Schnappschüssen und vor allem auch bei Videos beobachten. Immer wenn Sonne, Gegenlicht oder hohe Kontraste ins Spiel kommen, sieht das Ergebnis auf dem neuen Display um Klassen besser aus als auf anderen Displays. Ein Blatt mit Tautropfen, in denen sich die Sonne reflektiert, zeigt auf dem neuen iPad in den Tropfen tatsächlich hell leuchtend weisse Lichtpunkte – auf dem Vorjahresmodell sind sie nicht zu sehen.
Selbst wer kein Video-Profi ist, wird dieses Display lieben – nie sahen iPhone-Fotos besser aus als auf diesem Tablet. Hier hat Apple mit seinen vollmundigen Ankündigen nicht zu viel versprochen. Aufnahmen hingegen, die nicht als HDR-Bilder aufgenommen wurden, ändern sich auf dem neuen Bildschirm kaum.
Wenig überraschend ist dagegen die im Test gezeigte Rechen- und Grafikpower des neuen Tablets: Dass der M1 ein ausserordentlich leistungsfähiger und effizienter Chip ist, hat Apple mit MacBook Pro und Mac Mini – oder im jetzt erscheinenden iMac – bereits hinlänglich bewiesen.
Und genau diese Leistung steckt jetzt auch in Apples Flaggschiff-Tablets, wie wir auch mit eigenen Benchmarks nachgemessen haben. Jetzt muss also nicht mehr gemunkelt werden, dass das iPad Pro die gleiche Rechenpower bietet wie leistungsfähige Notebooks. Das neue iPad Pro würde die allermeisten Notebooks zum Frühstück fressen, wenn man sie gegeneinander antreten liesse. Etwa bei Photoshop oder Lightroom. Denn beides gibt es – mit ziemlich ähnlichem Funktionsumfang – auch fürs iPad.
Doch der M1 ist kein reiner Prozessor, er ist ein System-on-a-Chip (SoC) und mit ihm bekommt das iPad Pro ausserdem acht leistungsfähige Grafikkerne, dezidierte Recheneinheiten für AI-Anwendungen und Dinge wie Thunderbolt und USB 4 sowie auf Wunsch auch ein 5G-Modem. Damit können auch extrem schnelle Datenträger ans iPad angeschlossen werden. Die theoretische Datenrate von 40 GBit/s dürfte man wohl kaum ausreizen können – und mit 5G-Anbindung können auch datenintensive Aufgaben mühelos von unterwegs erledigt werden, wenn man denn ein schnelles 5G-Netz findet.
Damit ist das iPad Pro hardwareseitig ohne Frage das mit Abstand mächtigste Tablet, das man derzeit am Markt kaufen kann – mit Leistungsreserven, die für Jahre ausreichen sollten. Allerdings sollten vor allem Nutzer, die das Gerät professionell einsetzen wollen, vorher prüfen, ob sie auch die passenden Apps finden.
Apples iPad Pro hatte es bislang nicht ganz einfach: Auf dem Papier war das Gerät gerade für Designer, Fotografen, Videoproduzenten und ähnliche Zielgruppen perfekt. Doch im Detail hakte es vielfach: So war der schnelle Datentransfer von und zum iPad lange nicht möglich, anderen Anwendern fehlte die Mausunterstützung, wieder andere brauchten noch mehr Leistung.
All das kann das iPad Pro jetzt bieten: Hardwareseitig steckt es alle Geräte seiner Gewichtsklasse – ganz gleich ob Tablet oder Notebook – in die Tasche. Was jetzt mitunter noch fehlt, ist die entsprechende Software: Zwar ist das App-Angebot riesig, doch oft rangieren die verfügbaren Apps eher im semiprofessionellen Bereich, viele grosse Software-Namen sind im App-Store noch nicht vertreten.
Deshalb ist es bislang eine vergleichsweise spitze Zielgruppe, die diese brutale Leistung wirklich braucht und auch zum Einsatz bringen kann: Immerhin, dass etwa die Video-App Luma Fusion auf dem neuen Gerät in der Lage ist, sechs 4K-HDR-Videostreams gleichzeitig zu bearbeiten, ist beeindruckend und zeigt, welche Spielräume für mobiles Arbeiten hier für einige Kreative bereits geschaffen wurden.
Ausserdem bietet Adobe mit Lightroom und Photoshop zumindest zwei wichtige Tools für Fotografen. Für sie könnte das neue iPad – vor allem auch wegen des 5G-Modems – ein interessantes Werkzeug für unterwegs sein. Zumal dank der enorm leistungsfähigen Stapelverarbeitung auf dem neuen Gerät auch eine grosse Zahl an RAW-Bildern mühelos bearbeitet werden kann.
Andere warten aber noch auf passende Software – vor allem auch von Apple. Ob etwa die App-Entwicklungsumgebung Xcode, die Aufnahmesuite Logic Pro oder auch das Videoschnittprogramm Final Cut nun bald auch aufs iPad Pro kommen, liess Apple bislang unbeantwortet. Allerdings gäbe es keinen besseren Zeitpunkt – und keine fähigere Hardware – als jetzt.
Die Zeichen für eine wachsende Zahl professioneller Anwendungen standen tatsächlich nie besser. Denn dadurch, dass Apple nun sowohl bei seinen Macs als auch beim iPad Pro mit dem M1-SoC auf die gleiche Hardware setzt, ist der Entwicklungsaufwand der Softwarehersteller für eine zusätzliche iPadOS-Version so gering wie nie zuvor.
Wer das derzeit technisch beste Tablet haben möchte, kommt am iPad Pro (ab 879 Franken für das 11-Zoll-Modell) nicht vorbei, wer auch noch das beste Tablet-Display will, muss zum grossen Modell (ab 1199 Franken) greifen. Das ist etwas teurer als bisher – aber noch nie hat man derart viel Leistung beim iPad Pro für sein Geld erhalten.
Wer die Rechenpower nicht braucht, kann sich zumindest sicher sein, dass die Leistungsreserven noch über Jahre ausreichen werden – allein Center Stage ist schon heute ein echter Gewinn fürs Homeoffice und Kinofilme sehen auf keinem Mobilgerät besser aus.
Wer weder Thunderbolt noch grosse Leistungsreserven benötigt und auch auf ein XDR-Display oder 120 Hz Bildwiederholungsrate verzichten kann, sollte das aktuelle iPad Air (ab 629 Franken) ins Auge fassen. Es kommt im gleichen kantigen Design, bietet Unterstützung für den Apple Pencil der zweiten Generation, hat dank A14 Prozessor noch ordentliche Leistungsreserven, kostet aber nur etwa die Hälfte vom grossen iPad Pro.