Ich weiss, dass gleich etwas passieren wird. Ich weiss, dass gleich ein Schatten am Fenster vorbeihuschen wird. Ich weiss, dass sich gleich ein Unding auf mich stürzen wird. Ich weiss es, denn ich habe das Ganze bereits schon vor mehr als 20 Jahren erlebt. Mein Körper ist angespannt. Langsam bewege ich die Spielfigur nach vorne. Mit meiner Waffe ziele ich in die Dunkelheit. Irgendwo zerbricht eine Scheibe, etwas stöhnt und das Licht beginnt zu flackern. Gleich passiert es. Doch dann passiert nichts. Aber die Anspannung bleibt. Willkommen beim neuen «Resident Evil 2»!
Das Originalspiel von damals hat einen besonderen Stellenwert in meinem Gamer-Herzen. Selbstverständlich war die Vorfreude auf ein Remake riesig. Doch da war auch stets eine grosse Portion Skepsis mit dabei. Denn die Gefahr von Remakes, Neuinterpretationen oder wie man sie alle nennen mag, ist immer, dass man dem Spiel die Seele wegnimmt, es ausschlachtet. Aber, um es ohne Umschweife direkt mitzuteilen: Ich habe noch nie ein so verdammt gutes Remake gespielt, das nicht nur dem Originalspiel gerecht wird, sondern auch mit neuen Spielelementen begeistern kann und das Original mit dem höchsten Mass an Respekt behandelt.
Die Story ist immer noch dieselbe wie 1998: Zwei Monate nach dem bekannten Vorfall im Herrenhaus aus dem ersten Teil ist in der Stadt Raccoon City das Chaos ausgebrochen. Das von Umbrella kreierte Zombie-Virus hat die meisten Bewohner innerhalb kürzester Zeit in Untote verwandelt. In diesem Chaos treten Leon S. Kennedy und Claire Redfield auf den Plan. Während er seinen Dienst bei der örtlichen Polizei antreten möchte, sucht sie ihren verschollenen Bruder aus dem ersten Teil. Die Wege der beiden kreuzen sich und der Überlebenskampf beginnt in der verseuchten Polizeistation, aus der man einen Fluchtweg finden muss.
Wie beim Original kann man zu Beginn wählen, welchen Charakter man spielen möchte. Das Hauptspiel bleibt zwar dasselbe, aber es gibt einige Abschnitte, die sich unterscheiden. Auch wenn die Story schon bekannt sein mag, gibt es dann doch auch immer wieder einige Überraschungen. Vor allem was das Verhältnis zwischen bestimmten Figuren angeht. Zu viel möchte ich an dieser Stelle aber nicht verraten. Nur so viel: Kenner des Spiels werden regelmässig staunen.
Die Grundstruktur des Videospiels ist immer noch dieselbe: Man versucht in engen, von Zombies und Monstern verseuchten Umgebungen zu überleben. Dabei sammelt man Gegenstände und Waffen ein und löst knackige Rätsel. Doch im Vergleich zum Original hat sich einiges geändert. So gibt es keine Ladezeiten mehr, wenn man von einem Raum in den nächsten wandert, und das Speichern des Spielstandes ist jetzt jederzeit möglich. Sofern man den Standard-Schwierigkeitsgrad auswählt. Wer auf «Veteran» spielt, muss wie im Klassiker Farbbänder suchen, um bei den Schreibmaschinen zu speichern.
Die Gegner bewegen sich zwar immer noch langsam durch die Gänge, aber sie können euch in Räume verfolgen. Somit ist man in fast keinem Zimmer sicher. Immer ist da die Gefahr, dass die Türe aufgebrochen wird und ein Zombie stöhnend hinein schlurft. Ist man unachtsam und hat einen der Beisser am Hals, kann man mit einer Nahkampfwaffe auf den Feind losgehen. Neu lassen sich auch offene Fenster mit eingesammelten Brettern verbarrikadieren, um zu verhindern, dass noch mehr Untote in den Raum gelangen.
Die Neuinterpretation ist auch definitiv viel blutiger geworden. Innereien, abfallende Körperteile und intensive Splatter-Einlagen erfreuen den Horror-Fan. Und denkt man, dass man in Sachen Bluteffekte alles gesehen hat, wird man im Verlauf des Spiels immer wieder aufs Neue überrascht. Da haben sich die Macher richtig schön ausgetobt.
Die grösste Veränderung ist der Wechsel der Perspektive. Eine starre Kamera ist Teil der Vergangenheit. Leon oder Claire können bequem aus der Verfolgerperspektive gesteuert werden. Und natürlich wurde das Ganze audiovisuell richtig schön aufgemotzt. Optisch werden feinste Animationen und Zwischensequenzen serviert und der Soundtrack serviert immer wieder kleine Referenzen an den Original-Score.
Dass man als Kenner des Originals ständig überrascht wird, ist einer der Hauptpunkte, warum dieses Videospiel so intensiv ist. In vielen Szenen hat man das Gefühl, dass jetzt etwas Bestimmtes passieren wird, weil man es so in seiner Erinnerung abgespeichert hat. Doch die Designer haben sich viel einfallen lassen, um nicht eine simple Kopie zu entwerfen. Immer wenn man nicht mit einem schrecklichen Moment rechnet, tritt er dann doch ein und umgekehrt.
«Resident Evil 2» ist ein Atmosphäre-Monster. Die stets düstere Umgebung, gepaart mit gruseligen Sound- und Lichteffekten und die ständige Unsicherheit, nie in aller Ruhe verschnaufen zu können, kreiert eine perfekte Survival-Horror-Stimmung. Immer wieder zuckt man durch auftretende Geräusche aus dem Nichts zusammen oder hat wegen fies platzierten Jump-Scares Schweissausbrüche.
Capcom hat sich mit sehr viel Liebe zum Detail an das Remake herangetraut. Das spürt man in fast jeder einzelnen Situation. So sind viele Anspielungen, Seitenhiebe auf das gesamte «Resident Evil»-Universum und Eastereggs im Spiel versteckt. Wenn man sich Zeit nimmt, jeden Raum auf sich wirken lässt und nicht einfach nur durchrennt, entdeckt man so einiges.
Die Neuinterpretation des Kultspiels hat einen sehr hohen Wiederspielwert. Hat man die Geschichte eines ausgewählten Charakters durchgespielt, wartet nicht nur die andere Spielfigur auf einen erneuten Durchgang, sondern es gibt auch nochmals einen etwas anderen Story-Strang mit neuen Wendungen. Zudem warten viele Kostüme zum freispielen, es gibt einiges zum sammeln, und dann wäre da noch der freispielbare Tofu-Modus wo ihr als Tofu mit Messer (!) in die Zombiewelt geschickt werdet.
Fazit: Das Gamejahr 2019 ist noch blutjung, aber ich habe mein persönliches Videospiel-Highlight schon gefunden. Die Neuinterpretation von «Resident Evil 2» macht einfach alles richtig. Alles fühlt sich vertraut und dann doch auch neu an.
Die beklemmende Atmosphäre ist eine Wucht und fesselt mich auch beim zweiten Durchgang immer noch nächtelang an den Bildschirm. Die Neuerungen sind schlau und nie aufdringlich. Audiovisuell erstrahlt der Horror-Klassiker in neuem Glanz, an dem ich mich kaum satt sehen kann. Und wie sich das Ganze butterweich spielt, diese perfekte Mischung aus Action und Rätsel und wie alle Spielelemente wunderschön miteinander verschmelzen, es ist eine wahre Freude.
Den Kennern des Originals und auch Neulingen kann ich dieses neue, alte Meisterwerk wirklich nur ans Herz legen. Und bitte nehmt euch Zeit. Rennt nicht einfach durch die Areale. Geniesst den Trip und gebt euch dem Horror hin. Es lohnt sich.
«Resident Evil 2» ist erhältlich für Playstation 4, Xbox One und PC. Freigegeben ab 18 Jahren.
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