Ein bei YouTube veröffentlichtes Video dreht sich um «mysteriöse Fäden», die in der Schweiz entdeckt wurden und angeblich gefährlich sein könnten.
In dem Video, das wir hier nicht verlinken, sind Handy-Aufnahmen von spinnwebenartigen Fäden zu sehen. Diese sind mehrere Meter lang und relativ breit. Begleitet werden die Aufnahmen von pseudowissenschaftlichen Erklärungen und wilden Spekulationen.
Das Video wird auch beim Messenger-Dienst Telegram verbreitet und sorgt für Aufregung. Der Verein Fairmedia, der das Treiben in verschwörungsideologischen und extremistischen Telegram-Kanälen beobachtet, sieht sich zu einer Warnung veranlasst:
Durch vermeintlich wissenschaftliche Methoden, die für Laien nur schwer nachvollziehbar seien, werde eine Drohkulisse aufgebaut. Und es würden weitreichende, jedoch unbegründete Schlüsse gezogen.
Die beiden Fairmedia-Rechercheure Tobias König und Steve Last haben sich mit dem Thema beschäftigt und dazu eine Analyse verfasst, die watson schon vor der Veröffentlichung einsehen konnte.
Sie schreiben: «Es besteht ein Risiko, dass diese Inhalte unhinterfragt geteilt werden und sich Personen daran erschrecken.» Zudem könnten die Behörden mit Anfragen zur vermeintlichen Bedrohung eingedeckt werden.
Tatsächlich scheint das Thema auf relativ grosses Interesse zu stossen. Das Telegram-Posting mit dem Video, das watson bewusst nicht verlinkt, wurde bereits an die 110’000-mal angesehen. Es ist gemäss dem Telegram-Monitoring von Fairmedia einer der meistgesehenen in der Kalenderwoche 3 des laufenden Jahres.
In dem Video wird spekuliert, dass es sich bei den Fäden um Trägersysteme für Chemikalien handeln könnte, mit denen die Landbevölkerung vergiftet und in sogenannte «15-Minuten-Städte» getrieben werden soll.
Im Frühjahr 2023 berichtete watson über eine neue Verschwörungserzählung im Internet. Diese dreht sich um das sinnvolle und absolut seriöse städtebauliche Konzept der 15-Minuten-Städte. Es sieht vor, dass alles, was man zum Leben braucht, in einer Viertelstunde und hauptsächlich zu Fuss erreicht werden kann.
Verschwörungsideologische Kreise haben daraus allerdings ein Bedrohungsszenario konstruiert, das auf das berüchtigte antisemitische Narrativ vom «Great Reset», also dem grossen Umbruch, zurückgeht.
Gemäss der während der Corona-Pandemie aufgekommenen Verschwörungserzählung plant eine globale Finanzelite eine neue Weltwirtschaftsordnung. Die Bevölkerung soll in spezielle «Gefängnisse» gedrängt werden, um dort vollständig kontrolliert zu werden.
Wie bei anderen Narrativen werden hier einzelne Fakten herausgepickt und quasi uminterpretiert, um beim Publikum Ängste zu schüren. Tatsächlich hatte sich das Weltwirtschaftsforum (WEF) in Davos in einem Aufsatz mit dem Titel «The Great Reset» mit der Frage beschäftigt, wie die Welt nach der Covid-19-Pandemie nachhaltiger und gerechter gestaltet werden kann.
In dem Video wird die Vermutung abgetan, dass es Spinnenfäden sein könnten. Die Fäden hätten sich anders bewegt, als es eigentliche Spinnenfäden tun.
Dieser anekdotische Schluss sei unmöglich zu beweisen oder zu widerlegen, hält Fairmedia fest. Eine plausible Bedrohung für die Schweizer Bevölkerung lasse sich aus dem Video nicht nachvollziehen.
In dem Video ist von einer chemischen Untersuchung die Rede. Ein Labor im Kanton Bern habe eine eingereichte Probe untersucht und als Nylon identifiziert. Es handle sich mutmasslich um ein Abfallprodukt der Landwirtschaft bei der Verpackung von Siloballen.
Offenbar wollten die im Video auftretenden Personen diese naheliegende, auf einer wissenschaftlichen Untersuchung basierende Erklärung nicht akzeptieren. Und sie erzählen im Video von «einer eigenen chemischen Untersuchung der Probe», die das Labor als Nylon identifiziert hatte. Gegenüber Fairmedia hielten sie an der unbestätigten Vermutung fest, es könnte sich bei den Fäden um ein potenzielles Trägersystem für Gifte handeln.
Wenig verwunderlich: Man plane, weitere Inhalte zum Thema zu veröffentlichen, solange niemand zweifelsfrei nachweise, was es mit den Fäden auf sich habe.
Das letzte Wort soll Fairmedia haben. Die unabhängigen Faktenchecker haben die in dem Video geäusserten Bedenken mit einem Experten vom Departement für Chemie der Universität Basel im Detail angeschaut.
Fazit: Die im Video erwähnten, angeblich bedrohlichen Stoffe seien herbeigeredet und in «keinster Weise» sicher nachgewiesen. Und selbst wenn sie in den Proben vorkämen, könne man ohne Mengen- und Konzentrationsangaben keine Bedrohung daraus konstruieren.
Professor Daniel Häussinger, Titularprofessor für analytische Chemie in Basel, erklärte, die «für Laien nicht nachvollziehbare chemische Untersuchung der Fäden» halte bei genauerer Betrachtung nicht stand.
Fairmedia hält abschliessend fest:
Manche Menschen wollen einfach in permanenter Angst leben.