«Ausspähen unter Freunden, das geht gar nicht.» Dieses Zitat verfolgt Bundeskanzlerin Angela Merkel, seit sie im Oktober 2013 die NSA öffentlich kritisiert hat. Zuvor war publik geworden, dass die Amerikaner ihr Handy abgehört hatten. Die Spitzenpolitikerin wurde vom prominenten Opfer zur «Chefin der Tatverdächtigen». Wie wir dank Edward Snowdens Enthüllungen wissen, ist Deutschland seit Jahren ein eilfertiger Handlanger des US-Geheimdienstes NSA.
Der österreichische Politiker Peter Pilz ist nach eigenen Angaben im Besitz von brisanten E-Mails. Diese sollen belegen, dass der deutsche Geheimdienst (Bundesnachrichtendienst, BND) zwischen 2004 und 2008 den internationalen Datenverkehr aus Ländern wie Österreich und der Schweiz angezapft hat. Dazu Pilz: «Über diese Leitungen sind gemäss unserer Recherchen Bankdaten und Daten internationaler Organisationen mit Sitz in der Schweiz ausspioniert worden.»
Pilz ist ein erfahrener österreichischer Politiker, der als Grünen-Abgeordneter im nationalen Parlament sitzt, sich öffentlich gegen staatliche Massenüberwachung einsetzt und in den letzten Jahrzehnten medienwirksam bei der Aufklärung nationaler und internationaler Affären und Skandale mithalf.
Dieses Jahr hat der 61-Jährige die NSA-BND-Affäre angestossen. Er versucht, in mehreren europäischen Staaten Parteigenossen zu Strafklagen zu motivieren. Laut Berichten will er Bundeskanzlerin Merkel zu einer Entschuldigung für ihr «heuchlerisches Verhalten» zwingen.
Um 10 Uhr startet in Bern eine mit Spannung erwartete Medienkonferenz, an der Pilz und der Schweizer Nationalrat Balthasar Glättli, Fraktionspräsident der Grünen, die Belege liefern wollen, «dass auch Leitungen von Telekomanbietern in der Schweiz von Spionage betroffen waren». Im Vorfeld wurde namentlich die Swisscom genannt, es könnten aber auch andere Schweizer Telekom-Unternehmen wie UPC Cablecom betroffen sein. watson berichtet live.
Natürlich wollen die Grünen Schweiz politisches Kapital aus der Affäre schlagen. Sie werden an der Medienkonferenz parlamentarische Vorstösse ankündigen, wie aus der Einladung hervorgeht.
In 31 europäischen Staaten haben NSA und BND Telekom-Transitleitungen angegriffen. 24 davon sind Mitglieder der EU. Brüssel schweigt.
— Peter Pilz (@Peter_Pilz) 24. Mai 2015
Die Deutschen sollen den USA «flächendeckend» bei der Ausspähung befreundeter europäischer Regierungen und internationaler Organisationen behilflich gewesen sein. Dies könnte wegen Verletzung des Fernmeldegeheimnisses strafrechtliche Konsequenzen haben.
Österreichs Regierung hat Anfang Mai Strafanzeige gegen Unbekannt erstattet. Pilz hat in Wien drei Mitarbeiter der deutschen Telekom und einen Mitarbeiter des BND angezeigt. Weitere Verfahren sind zu erwarten. Etwa in Luxemburg, wo ebenfalls untersucht wird.
Diesen Sommer beschliesst das Parlament, ob der Schweizer Nachrichtendienst (NDB) mehr Kompetenzen zur Überwachung der Bevölkerung erhalten soll. Die staatlichen Schnüffler wollen Telefone abhören, in Computer eindringen und den Datenverkehr im Internet scannen. Der Nationalrat hat dem neuen Nachrichtendienstgesetz bereits zugestimmt, nun ist der Ständerat dran.
Im Zentrum der Kritik steht das systematische Abhören des kabelgebundenen Datenverkehrs: Die Gegner aus dem links-grünen Lager befürchten, der Nachrichtendienst werde zu einer «Mini-NSA» und dürfe im Internet die Daten aller erfassen und auf Schlagworte absuchen. Derweil sprechen sich die Bürgerlichen für die Vorlage aus, weil das Risiko terroristischer Anschläge zugenommen habe.
Die Gegner drohen bereits mit dem Referendum, das letzte Worte dürfte demnach das Stimmvolk haben.
Auslöser der Affäre ist eine E-Mail vom Februar 2005, die Pilz zugespielt wurde und die er kürzlich veröffentlicht hat. Absender: ein Mitarbeiter der Deutschen Telekom. Empfänger: der deutsche Geheimdienst (BND). Das Schreiben soll belegen, dass die Deutschen im Auftrag der NSA sogenannte Transitleitungen angezapft haben, die europäische Länder miteinander verbinden. Die NSA hat offenbar eine Prioritäten-Liste angefertigt, um ihre bevorzugten Ziele ausspionieren zu können.
«Zehn Leitungen der Swisscom stehen auf der NSA-Liste, die mir vorliegt», sagte Pilz. Ob und in welchem Ausmass andere Schweizer Firmen betroffen sind, ist (noch) nicht bekannt.
Das ist nicht bekannt.
In Frankfurt. Beim grössten Internet-Knoten der Welt, der von der deutschen Telekom betrieben wird. Dort kreuzen sich ultraschnelle Glasfaserleitungen aus diversen Ländern. Der BND hat direkten Zugriff, wie Verträge zeigen.
Man könne davon ausgehen, dass BND und NSA beim gesamten Datenverkehr mithören, erklärte Pilz an einer Medienkonferenz Mitte Mai in Wien. «Das betrifft E-Mails, Telefongespräche, Internet, das betrifft praktisch alles.»
NSA/CIA: Auf Wunsch der US-Botschaft verpixeln wir das Foto der Chefin. pic.twitter.com/WCJ87hrZx9
— Peter Pilz (@Peter_Pilz) 26. Mai 2015
Die in Frankfurt erfassten Datenströme werden (heimlich) in die Zentrale des BND überspielt und gehen von dort weiter nach Bad Aibling, wo eine grosse Abhörbasis des US-amerikanischen Geheimdienstes steht. Dazu Pilz: «Die NSA hat über Bad Aibling automatischen Zugriff auf die dorthin übermittelten Daten und kann sich über sogenannte Selektoren alles automatisiert rausholen, was sie interessiert.» Bis zum Jahr 2013 sei die Zahl der Selektoren auf 8,7 Millionen angestiegen.»
Das ist fraglich.
Die Swisscom hat laut eigenen Angaben keine Hinweise darauf, dass internationale Geheimdienste auf ihre Infrastruktur zugegriffen hätten. «Swisscom kann die Kommunikationskanäle so weit schützen, wie sie ihr Netz nicht verlassen», erklärte eine Sprecherin gegenüber der Zeitung Nordwestschweiz. Bei Daten, die das Swisscom-Netz verlassen, könne man hingegen keine Garantien abgeben. Und genau dies dürfte beim Internet-Knoten in Frankfurt der Fall sein.
.@crls__ @Swisscom_de Da bring ich dann der SWISSCOM was mit. Ab Mittwoch hat sie mehr als Hinweise...
— Peter Pilz (@Peter_Pilz) 21. Mai 2015
Der NDB hat «Abklärungen» angekündigt. Man stehe in Kontakt mit den betroffenen Institutionen und Firmen.
Die Deutsche Telekom hat die Kooperation mit dem BND verteidigt und behauptet, der Zugriff auf den ausländischen Datenverkehr sei im Rahmen des Gesetzes erfolgt.
Nicht wirklich. Im Juni 2014 titelte die «Sonntagszeitung»: «Deutschland hat Horchposten wie die NSA – und belauscht die Schweiz». Laut dem Bericht fängt der deutsche Bundesnachrichtendienst (BND) beim grössten Internet-Knoten der Welt in Frankfurt seit Jahren systematisch E-Mails und anderen elektronischen Datenverkehr ab.
Quellen: Süddeutsche Zeitung, Futurezone.at, heise.de