Digital
Schweiz

Wie Österreich mit seiner «Stopp Corona»-App kolossal scheiterte

ABD0076_20210315 - BREGENZ - ÖSTERREICH: ++ THEMENBILD ++ Die Vorarlberger Gastronomie darf ab heute, Montag, 15. März 2021, ihre Gäste wieder bewirten. Die Öffnung gilt sowohl für den Innen- als auch ...
Österreicherinnen mit dem «Grünen Pass», der Zugang zu Gastrobetrieben ermöglicht und laut Gesundheitsministerium ein Erfolg ist – im Gegensatz zur Corona-Warn-App. Bild: APA
Analyse

Wie Österreich mit seiner «Stopp Corona»-App kolossal scheiterte

Die österreichische Corona-Warn-App war ihrer Zeit voraus. Doch sie erreichte nie die Akzeptanz, die es für eine durchschlagende Wirkung gebraucht hätte. Nun soll bald Schluss sein.
20.01.2022, 05:5021.01.2022, 06:55
Mehr «Digital»

Österreich war dank der Initiative der Hilfsorganisation Rotes Kreuz und mit Schweizer Technologie ein Pionierland beim «digitalen Contact Tracing». Als erstes Land in Westeuropa lancierte man schon Ende März 2020 eine App.

Das war drei Monate vor dem SwissCovid-Start.

Die «Stopp Corona»-App basierte zunächst auf der proprietären Software-Plattform p2pkit der Zürcher Firma Uepaa. Später wurde die von Apple und Google entwickelte Smartphone-Schnittstelle («Exposure Notifications») implementiert.

Diesen Montag nun wurde publik, dass das österreichische Gesundheitsministerium die Finanzierung einstelle. «Stopp für Corona-Stopp-App», titelte «Die Presse» in Wien.

Ende Februar wird laut Bericht der Geldhahn zugedreht. Eine Weiterführung sei «aus aktueller Sicht» nicht vorgesehen, hiess es aus dem Gesundheitsministerium. Und dies ausgerechnet zum Zeitpunkt, an dem auch das östliche Nachbarland der Schweiz Covid-Rekordzahlen registrieren muss, das traditionelle Contact Tracing wegen Omikron kapituliert und Fälle nicht mehr zurückverfolgt werden.

Update: Wie am Mittwochabend publik wurde, gab es einen massiven Hackerangriff auf das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) in Genf. Ob und in welchem Umfang das Österreichische Rote Kreuz – also die Landesorganisation – von dem Datendiebstahl betroffen ist, ist offen.

Warum ist «Stopp Corona» gefloppt?

Seitens des Roten Kreuzes, das die App mit der Software-Firma Accenture entwickelt hatte und auch für den Betrieb verantwortlich zeichnet, bedauere man die Einstellung «sehr». Immerhin hätten über 17'000 Personen ihre Kontakte über die App gewarnt, hiess es in einer Stellungnahme.

Zum Vergleich: In der Schweiz hatten bis Dezember 2021 fast 100'000 Personen einen Covidcode in der SwissCovid-App eingegeben, um Dritte schnell und anonym zu warnen.

So richtig auf Touren kam die Stopp-Corona-App nie. Es gelang den Verantwortlichen nicht, das nötige Vertrauen in die neuartige Technologie zu schaffen. Im Gegenteil.

  • Die Funktionalität der App war in der Startphase ungenügend. Betroffene mussten Kontakte von Hand registrieren, das Alarmieren funktionierte nicht zuverlässig.
  • Dann wurde die Bevölkerung durch politische Diskussionen über einen App-Zwang verunsichert. Österreichs Nationalratspräsident musste mit seiner öffentlichen Forderung nach einer «Zwangsinstallation» zurückrudern.
  • Im März 2021 stellte sich heraus, dass die österreichische Bundesregierung einen vom damaligen Kanzler Sebastian Kurz im April 2020 angekündigten Bluetooth-Schlüsselanhänger gar nie in Auftrag gegeben hatte. Damit hätten sich Leute ohne Smartphone warnen lassen sollen.
  • Im Gegensatz zur Schweiz und zu Deutschland sollte die österreichische Tracing-App keine Check-in-Funktion erhalten, um sich beim Besuch von Anlässen anonym zu registrieren und später vor Superspreadern gewarnt zu werden.
  • Da die App immer seltener genutzt wurde, gab es eine Art negativen Domino-Effekt: Sie wurde für die verbliebenen User immer weniger hilfreich, ja praktisch nutzlos.
  • Da half es auch nicht, dass die österreichische App mehr Interoperabilität bietet als SwissCovid und nebst der deutschen «Corona-Warn-App» zum Beispiel auch mit der italienischen «Immuni»-App Daten tauschen kann.

Die «Stopp Corona»-App habe die Pandemie bald hinter sich, schreibt nun der Österreichische Rundfunk ORF online. Obwohl auch prominente Datenschützer wie der Jurist und Facebook-Schreck Max Schrems die App unterstützten, hatte sie in der Öffentlichkeit von Anfang an ein Imageproblem.

Das Problem der App sei gewesen, «dass sie vielleicht etwas zu schnell dran war», wurde Österreichs bekanntester Datenschützer im Juli 2020 zitiert. Wenn man eine solch «negative Aura» habe, werde man diese schwer wieder los.

«Sie ist eine der datenschutzfreundlichsten Apps, die man auf einem durchschnittlichen österreichischen Handy findet, denn die Daten bleiben in der Hosentasche. Das Problem ist: Die Leute hören ‹Tracking-App› und glauben, sie werden zentral überwacht. In Apps wie Instagram steckt zehnmal mehr Tracking, aber es wird eben nicht laut gesagt. Die Aufregung war grotesk.»
Max Schrems, Jurist und Datenschutz-Aktivistquelle: falter.at

Die «Stopp Corona»-App sei zu Beginn der Pandemie sinnvoll gewesen, «jedoch sukzessive weniger genutzt worden», heisst es nun aus Österreichs Gesundheitsministerium. Und man streicht lieber die Popularität der unfreiwilligen Covid-Zertifikate-App hervor, die «Grüner Pass» genannt wird.

Bleibt noch die Frage nach dem Geld: Vier Millionen Euro waren laut Bericht für «Stopp Corona» vorgesehen – diese setzten sich aus der Spende einer Privatstiftung sowie Förderungen der EU und des Staates Österreich zusammen.

Wie gehts weiter?

Per 1. Februar kommt die Impfpflicht ab 18 Jahren. Das dürfte mit ein Grund sein, warum die Regierung die freiwillige Corona-Warn-App in naher Zukunft für verzichtbar hält.

Die Zeichen stehen auf Durchseuchung.

Ob die «Stopp Corona»-App per 1. März einfach nicht mehr funktionieren wird oder wie man das endgültige Aus einläutet, ist laut Rotem Kreuz offen. Da die App als Open-Source-Software verfügbar sei, wäre eine Weiternutzung durch andere Betreiber theoretisch möglich.

Der Kommandant des Roten Kreuzes brachte am Montag noch den Vorschlag ins Spiel, dass man in Österreich eine andere europäische Corona-Warn-App verwenden könnte, zum Beispiel die deutsche. Doch selbst das ist laut Gesundheitsministerium «aus aktueller Sicht nicht angedacht».

Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) – als Herausgeberin der Schweizer Corona-Warn-App – kann also nicht auf überraschenden Zuwachs bei den Nutzerzahlen hoffen.

Zur Erinnerung: Das offizielle Ende von SwissCovid ist gesetzlich geregelt. In der vom Parlament genehmigten Verordnung steht der 30. Juni 2022 und es heisst: «Beim Ausserkrafttreten dieser Verordnung deaktiviert das BAG die SwissCovid-App und fordert die teilnehmenden Personen auf, die SwissCovid-App auf dem Mobiltelefon zu deinstallieren.»

Quellen

Was man über Corona-Warn-Apps wissen muss
Contact Tracing meint die persönliche Rückverfolgung von Infektionsketten. Ziel ist es, die (unbemerkte) Verbreitung von gefährlichen Infektionskrankheiten einzudämmen oder im besten Fall zu stoppen. Konkret sollen alle Leute gewarnt werden, die über eine gewisse Zeit in relativ engem körperlichen Kontakt standen mit einer infizierten Person und sich angesteckt haben könnten, ohne es zu wissen.

Zu Beginn der Corona-Krise in der Schweiz wurde Contact Tracing übers Telefon gemacht, das heisst, Infizierte (in Quarantäne) wurden zu ihrem Umfeld befragt, das sie vielleicht angesteckt hatten. Wegen der exponentiellen Zunahme der Covid-19-Infektionen war dieses System allerdings bald einmal überlastet, es wird aber in der Phase nach der Lockerung der staatlichen Zwangsmassnahmen («Lockdown»), wenn es wenige Covid-19-Fälle gibt, flächendeckend betrieben von den kantonsärztlichen Diensten.

Digitales Contact Tracing funktioniert per Smartphone-App. Die Mobilgeräte registrieren über ihre Bluetooth-Verbindung automatisch und anonym, wenn sie sich über eine gewisse Zeit in unmittelbarer Nähe zueinander befunden haben. Dieses Verfahren wird auch als Proximity Tracing bezeichnet. Erst später, bzw. nur wenn eine Infektion durch einen medizinischen Test bestätigt worden ist, kann die erkrankte Person andere App-User, die sie vielleicht angesteckt hat, schnell und diskret warnen.

Singapur hat im März 2020 als einer der ersten Staaten eine auf der Messung von Bluetooth-Low-Energy-Signalen basierende App namens TraceTogether lanciert, wobei die Funktionalität eingeschränkt ist, weil der Datenaustausch zwischen iPhones und Android-Geräten nicht gut funktionierte. In Europa und weltweit werden nun Proximity-Tracing-Apps lanciert, die dieses Problem nicht haben, weil Apple und Google bei iOS und Android auf Betriebssystem-Ebene eine Schnittstelle zur Verfügung stellen.

Beim dezentralen Ansatz gilt der Grundsatz Privacy by Design: Die Datenverarbeitung (zur Berechnung des Infektionsrisikos) erfolgt auf den Mobilgeräten. Nur bei einer offiziell bestätigten Infektion und der Einwilligung des Users werden dessen anonymisierte Proximity-Daten (Schlüssel) an einen Server überragen, die es ermöglichen, Dritte zu warnen, und den Datenschutz zu gewährleisten.

Beim zentralen Ansatz werden die Proximity-Daten an einen staatlich kontrollierten Server übermittelt, wo das Infektionsrisiko berechnet wird. Diese System-Architektur ist von über 500 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern rund um den Globus als problematisch bezeichnet worden, weil der System-Betreiber nachträglich und heimlich Funktionen ändern («Function Creep») oder zusätzliche Funktionen einführen könnte («Mission Creep»).

Apple und Google unterstützen dezentrale Proximity-Tracing-Apps durch eine technische Kooperation. Sie stellen autorisierten App-Entwicklern eine Programmierschnittstelle (API) zur Verfügung, die Corona-Warn-Apps zuverlässige Bluetooth-Distanzschätzungen und Datenaustausch zwischen Android- und iOS-Geräten ermöglicht. Zudem haben die US-Techkonzerne das Proximity Tracing direkt in die weltweit dominierenden mobilen Betriebssysteme integriert.

Freiwillige Nutzung ist laut Apple und Google Bedingung und wird auch von der Schweizer Corona-Warn-App «SwissCovid» umgesetzt. Das heisst, digitales Contact Tracing kann nicht vom Staat erzwungen werden, sondern erfolgt nur mit Zustimmung der User (Opt-in).
DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Österreicher mit Supernamen
1 / 16
Österreicher mit Supernamen
Jörg Siebenhandl, Sturm Graz. Klar, dass einer mit sieben Handl Torhüter wird!
quelle: epa/epa / sascha steinbach
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Stressen dich die Maskenverweigerer in den ÖV? Hier kommt Hilfe!
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
50 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
max_bruppbacher
20.01.2022 07:24registriert Juni 2017
Wie siehts denn in der Schweiz mit der Covid-App aus? Ist die nicht auch kolossal gescheitert?
927
Melden
Zum Kommentar
avatar
Roboter
20.01.2022 06:02registriert Januar 2014
"In der Schweiz hatten bis Dezember 2021 fast 100'000 Personen einen Covidcode in der SwissCovid-App eingegeben"

Bei weit über 1 Million Fällen ist das nun wirklich keine Zahl auf die man besonders Stolz sein kann.
9111
Melden
Zum Kommentar
avatar
Muntaniala
20.01.2022 06:52registriert Dezember 2016
Hatte vor Weihnachten Covid, auf den Code für die SwissCovid-App warte ich jedoch immer noch.
596
Melden
Zum Kommentar
50
Über diese zwei heiklen Themen will Amherd mit dem Papst sprechen

Bundespräsidentin Viola Amherd wird bei ihrem Präsidialbesuch in Italien am Samstag gegenüber Papst Franziskus die Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche zur Sprache bringen. Am Freitag traf sie den italienischen Staatspräsidenten Sergio Mattarella und Ministerpräsidentin Giorgia Meloni.

Zur Story