Zürcher Parlament ist für Überwachung mittels Gesichts-Scans – Experten warnen
Die Zürcher Regierung soll neu in eigener Kompetenz entscheiden können, ob die Bevölkerung mit moderner Technologie überwacht werden darf. Dies hat das Kantonsparlament nach intensiver Debatte und gegen den Widerstand der Linken entschieden.
Die Digitale Gesellschaft Schweiz, ein gemeinnütziger Verein, der sich für die Einhaltung der Grundrechte in einer digital vernetzten Welt einsetzt, kritisiert den Entscheid und spricht von Vertrauensbruch.
Was ist passiert?
Am Montag hat sich eine Mehrheit des Zürcher Kantonsparlaments dafür ausgesprochen, automatische Gesichtserkennung zu ermöglichen.
Die linken Parteien forderten vergeblich ein Verbot von automatischer Identifizierung im öffentlichen Raum über biometrische Daten. Sie warnten vor einer flächendeckenden Überwachung mit Kameras.
Die bürgerliche Ratsmehrheit hat sich nun nicht nur gegen ein Verbot automatischer Gesichtserkennung ausgesprochen, sondern im Gegenteil sollen Pilotversuche für biometrische Massenüberwachung ohne weitere Gesetzesgrundlage erlaubt werden.
Von den Bürgerlichen mussten sich die Linken anhören, «technologiefeindlich» zu sein. Innovationen sollten laut SVP und FDP nicht ausgebremst werden.
Die Kantonsregierung selbst hatte sich noch dafür eingesetzt, keine Pilotversuche mit biometrischen Daten zu erlauben. Justizdirektorin Jacqueline Fehr (SP) sprach von «verantwortungsbewusster Digitalisierung». Doch die bürgerlichen Parlamentarier wollten mehr.
Das Ja zu biometrischer Überwachung erfolgt zu einem speziellen Zeitpunkt: Am Sonntag befindet das Stimmvolk über die kantonale Initiative für digitale Integrität. Die Vorlage will unter anderem ein Überwachungs-Verbot in der Kantonsverfassung festschreiben.
Wo ist das Problem?
Der Kanton Zürich schlage mit dem Entscheid «ein neues Kapitel der Massenüberwachung» auf, warnt die Digitale Gesellschaft Schweiz in einer Mitteilung.
Wer digitale Technologien gegen die Integrität der Menschen einsetze, untergrabe ihr Vertrauen in das Gemeinwesen und die Demokratie. Und konkret:
- Wenn Menschen im öffentlichen Raum (über Kameras) jederzeit identifiziert oder beobachtet werden können, sei dies ein schwerwiegender Eingriff in ihre informationelle Selbstbestimmung.
- Die Möglichkeit permanenter Erkennung habe ausserdem eine abschreckende Wirkung, was auf Englisch als «Chilling Effect» bezeichnet wird.
- Betroffen seien die Versammlungsfreiheit, die freie Meinungsäusserung und die Bewegungsfreiheit: Die Ausübung dieser zentralen Grundrechte werde durch die Überwachung erheblich beschädigt.
In der Digitalen Gesellschaft Schweiz engagieren sich Juristen und andere Fachleute ehrenamtlich. Die Organisation berät Individuen und Institutionen zu Konsumenten- und Rechtsfragen im digitalen Raum und bringt sich bei wichtigen politischen Vorlagen ein.
Gegenüber dem «Tages-Anzeiger» wies der Rechtsanwalt Martin Steiger, Sprecher der Digitalen Gesellschaft, auf eine weitere negative Folge des Entscheids hin. Dieser könnte dem Kanton Zürich und der Schweiz «als vertrauenswürdigem Standort für Daten» schaden.
Ein zivilgesellschaftliches Bündnis von AlgorithmWatch, Amnesty International und Digitaler Gesellschaft Schweiz setzt sich seit Jahren gegen die Überwachung mithilfe digitaler Gesichtserkennung ein.
Im März 2024 lehnte das Zürcher Parlament nur knapp einen Vorstoss der Grünen-Politikerin Wilma Willi ab, die ein grundsätzliches Verbot von automatischer Gesichtserkennung im öffentlichen Raum forderte.
Wie geht es weiter?
Hintergrund der aktuellen Diskussionen im Zürcher Parlament ist die Totalrevision des kantonalen Gesetzes über die Information und den Datenschutz (IDG).
Das überarbeitete Gesetz geht nun in die Redaktionskommission des Parlaments. Die Schlussabstimmung findet zu einem späteren Zeitpunkt statt.
Quellen
- Mit Material von Keystone-SDA
- tages-anzeiger.ch: Kantonsrat streitet über Datenschutz: «Es geht niemanden etwas an, in welches Puff Sie gehen» (24. Nov.)
- gesichtserkennung-stoppen.ch: Grundrechte schützen – Gesichtserkennung stoppen
