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Deutsche Justiz knöpft sich Social-Media-Plattform X vor

epa12219001 (FILE) - Businessman Elon Musk and his son leave the US Capitol in Washington, DC, USA, 21 May 2025 (re-issued 05 July 2025). Elon Musk on 05 July 2025 in a post on social media platform X ...
Elon Musk legt sich mit deutschen Behörden an. Gegen seine europäischen Manager läuft ein Ermittlungsverfahren.Bild: keystone

Nie dagewesenes Verfahren: Deutsche Justiz knöpft sich Social-Media-Plattform X vor

Elon Musk spricht von «Meinungsfreiheit», will mit X aber nicht nach den in Europa geltenden Regeln spielen und blockt Anfragen von Strafverfolgungsbehörden ab. Nun wird gegen die Manager seiner Social-Media-Plattform ermittelt.
30.08.2025, 10:1930.08.2025, 10:21
Lars Wienand / t-online
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Ein Artikel von
t-online

Elon Musks Social-Media-Plattform X verweigert in Deutschland zunehmend die Zusammenarbeit mit Ermittlungsbehörden. Das Netzwerk gibt in vielen Fällen von Beleidigung, Bedrohung oder Volksverhetzung auf der Plattform keine Nutzerdaten mehr an Staatsanwälte heraus. Das zeigen Recherchen des watson-Medienpartners T-Online. Verdächtige können so nicht identifiziert werden, Straftaten bleiben ungeahndet.

Das führt nun zu einem in Deutschland bisher einzigartigen Verfahren: Die Staatsanwaltschaft Göttingen ermittelt gegen Manager der Social-Media-Plattform wegen des Verdachts der Strafvereitelung.

Der Vorwurf richtet sich gegen drei verantwortliche Manager von X. Unter ihrer Führung verhindere X bewusst, dass Täter strafrechtlich verfolgt werden können. Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft bestätigte, entsprechende Ermittlungen aufgenommen zu haben.

Was steckt dahinter?

Die Blockadehaltung scheint Teil eines Kurswechsels bei X unter Tech-Milliardär Elon Musk zu sein. Der inszeniert sich schon länger als Kämpfer für die «Meinungsfreiheit», hat die Plattform Twitter 2022 aufgekauft, in X umbenannt und seitdem vieles geändert.

So hatte er einen grossen Teil des Personals entlassen, darunter professionelle Faktenchecker und Moderatoren. Nutzer wie Donald Trump, die wegen Gewaltaufrufen und Hassrede verbannt worden waren, liess Musk ebenso zurück ins Netzwerk wie einige europäische Rechtsextremisten. Nun scheint X noch einen Schritt weiterzugehen.

«Antworten wurden immer seltener»

In Fällen von möglichen Straftaten auf Social-Media-Plattformen sind die Behörden auf die Kooperation der Plattformen angewiesen. Denn viele User agieren anonym, zum Beispiel unter einem falschen Namen und mit einem KI-generierten Profilbild.

X, TikTok, Meta und ähnliche Plattformen haben Bestandsdaten zu Accounts wie etwa eine Telefonnummer oder E-Mail-Adresse. Ermittlungsbehörden können dazu Auskunftsersuchen stellen. In der Regel seien das Standardvorgänge, sagt Benjamin Krause, Leitender Oberstaatsanwalt der Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität (ZIT). «Ganz überwiegend akzeptieren international agierende Internetdienstanbieter diese Ersuchen.»

Im Fall von X aber erhalten Ermittlungsbehörden bereits seit Monaten nur noch selten die erwünschte Auskunft. Im Sommer 2024 habe das ohne Vorankündigung begonnen, sagt etwa Oberstaatsanwältin Miriam Margerie, Sprecherin der Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime NRW bei der Staatsanwaltschaft Köln. «Von da an wurden die Antworten immer seltener.»

Die Hatespeech-Spezialisten fragen seitdem unverdrossen weiter an. «Vielleicht wird es ja wieder besser», so Margerie. Manchmal bekomme man auch Auskunft. Oft aber eben nicht.

Urheber von Posting mit Hakenkreuz nicht zu ermitteln

Was das dann bedeutet, hat der Kölner Anwalt Markus Haintz auf X mit Screenshots öffentlich gemacht. Bei dem Thema strafbare Hassrede hat Haintz eine gewisse Prominenz und spielt eine zwiespältige Rolle: Einerseits sammelt er Spenden für seinen Kampf gegen ein Unternehmen, das für Politiker und andere Auftraggeber Verleumdungen, Beleidigungen und Bedrohungen im Netz sucht und verfolgt.

Andererseits erstattet Haintz selbst für seine Mandanten rege Anzeigen wegen Äusserungen im Netz. Und im Juli bekam er in drei Fällen gleichlautende Antworten von der Kölner Staatsanwaltschaft: «Das Ermittlungsverfahren ist eingestellt worden, weil ein Täter nicht ermittelt werden konnte.»

Ähnlich ergeht es nach Recherchen von t-online der Staatsanwaltschaft Göttingen, wo Niedersachsens Zentralstelle zur Bekämpfung von Hasskriminalität im Internet angesiedelt ist. Dort konnte beispielsweise ein Posting mit einem Hakenkreuz und möglicher übler Nachrede nicht weiter verfolgt werden. Das Zeigen des Hakenkreuzes ist in Deutschland in den meisten Fällen als Verwenden des Kennzeichens einer verfassungswidrigen Organisation verboten.

Pikant: X selbst hat das Posting als problematisch eingestuft. Es wird Nutzerinnen und Nutzern in Deutschland nicht mehr angezeigt – mit der Begründung, es handele sich um «illegale oder schädliche Äusserungen». X will aber keine Daten zum mutmasslichen Straftäter herausgeben. Die Göttinger Staatsanwälte mussten das Verfahren also vorläufig einstellen.

Wegen dieses Falls hat ein als «@bastelbro1» auftretender X-Nutzer Anzeige gegen X wegen Strafvereitelung erstattet. Die Göttinger Behörde bestätigt, dass sie nun ein Ermittlungsverfahren gegen die drei Verantwortlichen der in Irland angesiedelten X International Unlimited Company (XIUC) führt.

Ein Manager hatte in Brasilien bereits Sorge vor der Justiz

Die Manager – bei denen die Unschuldsvermutung gilt – sind in der deutschen Öffentlichkeit wenig bekannt. Unter ihnen ist allerdings einer, der bei einer Machtprobe von X mit einem Staat schon einmal im Fokus stand: Diego de Lima Gualda. Er war 2024 Leiter von X in Brasilien.

In dem südamerikanischen Land waren Gerichtsbeschlüsse gegen X ergangen, weil das Netzwerk Hassrede und Desinformation nicht entfernt hatte. Als Elon Musk ankündigte, sie zu missachten, legte sein Brasilienchef eilig seinen Posten nieder.

Da Musk daraufhin keinen Nachfolger als Verantwortlichen benannte, wie das Gericht es gefordert hatte, wurde X in Brasilien sogar zeitweise gesperrt. Musk lenkte schliesslich ein. Der federführende Bundesrichter in Brasilien war deshalb kurzzeitig weltweit in den Medien.

Staatsanwälte sind in den USA bekannt

Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft Göttingen, die in den USA bereits einen gewissen Bekanntschaftsgrad erlangt hat. Die populäre Sendung «60 Minutes» des US-Senders CBS hatte sie international in die Schlagzeilen gebracht. In der Sendung wurden die Staatsanwälte zu Ermittlungen wegen strafbarer Hassrede befragt und Ermittler bei morgendlichen Razzien begleitet.

Die Sendung löste grossen Wirbel aus und führte zu einem Aufschrei in der konservativen bis rechten Szene. In den USA ist es für viele unvorstellbar, dass Beleidigungen oder das Posten von Nazi-Symbolik Straftaten sein können. US-Vizepräsident JD Vance nutzte den Beitrag von «60 Minutes», um fehlende «Meinungsfreiheit» in Europa zu beklagen. Meinungsäusserungen zu kriminalisieren, belaste die Beziehungen mit Europa schwer, schrieb Vance.

Welche juristische Strategie verfolgt Elon Musk?

X bekommt Ersuchen und zieht selbst vor Gerichte

Nicht nur die Göttinger Staatsanwälte aber befinden sich mit X in einem Konflikt. Weitgehend hinter den Kulissen versucht X hierzulande offenbar schon seit etlichen Monaten, seine Blockade mit einer internationalen Kanzlei in zahllosen Prozessen zu rechtfertigen. Kommt ein Auskunftsersuchen, verweigert sich X und zieht vor das zuständige Amtsgericht.

So bestätigt Oberstaatsanwalt Krause von der hessischen ZIT, dass «eine US-Social-Media-Plattform» in mehreren Ermittlungsverfahren nach den Auskunftsersuchen bei hessischen Amtsgerichten Anträge gestellt hat. Dort bekommt dann ein Ermittlungsrichter, der manchmal Dutzende Fälle am Tag entscheiden muss, von der internationalen Grosskanzlei White & Case einen umfangreichen Schriftsatz. X stützt sich dabei nach t-online-Informationen auf einen Passus aus dem Paragraf 98 der Strafprozessordnung, der für Beschlagnahmen gedacht ist und eigentlich nicht für solche Fälle.

Das Netzwerk fordert in seinen Anträgen vereinfacht: Das Gericht solle erklären, dass die Ermittler keine Befugnis haben, Daten seiner Nutzer zu fordern, weil für X nach eigener Ansicht keine Auskunftspflicht bestehe. Nach dem Motto: Behörden dürfen das nicht fordern, weil wir meinen, dass wir das nicht müssen.

Für den Streit vor den Amtsgerichten ist die Grundlage für die Verpflichtung von Netzwerken zur Mitwirkung das Telekommunikation-Digitale-Dienste-Datenschutz-Gesetz (TDDDG). Paragraf 22 regelt dort die Ausnahmen zum Schutz für Daten, bei denen die Anbieter Auskunftspflichten haben.

Ein Amtsgericht in Hessen hat laut Krause bereits einen entsprechenden Antrag zurückgewiesen – eine Niederlage für das Netzwerk. Der Antrag sei unbegründet. Alle Voraussetzungen seien gegeben, die Auskunft zu erteilen. Denn das TDDDG sei gültig, auch wenn X es für rechtswidrig hält. Aus Sicht des Gerichts spielte es deshalb keine Rolle, ob das Netzwerk überhaupt den prozessualen Weg über den Beschlagnahme-Paragrafen beschreiten kann. Krause sagte t-online, sein Haus habe nach der Entscheidung das Ersuchen erneut an das amerikanische Netzwerk gerichtet.

X-Klage als unbegründet zurückgewiesen

X hat sein Vorgehen lang im Voraus vorbereitet und versucht auch, gegen die Regelung auf anderem juristischen Weg vorzugehen. Bereits im Februar 2024 starteten die X-Anwälte ihren ersten Angriff: Beim Verwaltungsgericht Wiesbaden wurde eine Klage eingereicht, um klären zu lassen, ob der Paragraf 22 TDDDG anwendbar, verfassungsgemäss und konform mit EU-Recht ist.

Falls nicht, würde der Fall dem Europäischen Gerichtshof oder dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt. Wird die Klage dagegen abgewiesen, kommt X an der Herausgabe von Daten kaum noch vorbei. Wann in Wiesbaden verhandelt wird, ist noch offen, heisst es vonseiten des Verwaltungsgerichts. Sowohl X als auch das Bundeskriminalamt können noch Schriftsätze abgeben. Die für X arbeitende Anwaltskanzlei, X Deutschland und die Pressestelle in den USA haben auf Fragen von t-online hierzu bisher nicht reagiert.

Die Verweigerung ist aber mittelfristig nicht nur ein deutsches Thema. Nach dem europäischen Digital Services Act (DSA) der EU, dem Gesetz für Digitale Dienste, haben die Netzwerke Mitwirkungspflichten. Deutsche Ermittlungsbehörden können dem nationalen Koordinator, der Bundesnetzagentur, melden, wenn sie Verstösse bemerken. Die EU-Kommission hat bereits im Juli 2024 X mitgeteilt, dass die Plattform nach ihrer Auffassung in anderen Punkten gegen den DSA verstösst. Sie könnte auch tätig werden, wenn X systematisch Auskünfte verweigert.

Telegram-Chef festgenommen

Welche Konsequenzen mangelnde Kooperation mit europäischen Behörden für Netzwerkbetreiber haben können, musste im vergangenen Jahr der Gründer und Chef von Telegram, Pawel Durow, erfahren. Die Behörden in Frankreich nahmen Durow wegen des Vorwurfs fest, Nutzerdaten nicht herauszugeben und so etwa Drogendealer zu schützen. Elon Musk reagierte damals empört auf die Festnahme, sprang Durow bei und schrieb auf X: «Stell Dir vor: Es ist 2030 in Europa und Du wirst hingerichtet, weil Du ein Meme likest.»

Durow verteidigte sich, französische Behörden hätten den von Telegram geschaffenen Meldeweg nicht genutzt. Er kam inzwischen gegen eine Kaution von 5 Millionen Euro frei, das Verfahren läuft noch. Tatsächlich ist seither die Zahl erfolgreich beantworteter Auskunftsersuchen an Telegram in Frankreich, Deutschland und anderen Ländern jedoch in die Höhe geschnellt.

Wie reagiert die deutsche Politik?

Die Weigerung von X, mit deutschen Ermittlungsbehörden zusammenzuarbeiten, sorgt in Berlin für erheblichen Unmut. Die Grünen-Politikerin Anna Lührmann fordert die Bundesregierung auf, die Plattform X zu verlassen. Dass das Netzwerk von Tech-Milliardär Elon Musk die Kooperation verweigere, sei ein «Skandal», so die stellvertretende Vorsitzende im Ausschuss für Digitales und Staatsmodernisierung zu t-online.

Auch der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Armand Zorn, kritisiert X scharf. «Wer in Deutschland und Europa Geschäfte machen will, hat sich an unsere Regeln zu halten – ohne Ausnahme. Dazu gehört die uneingeschränkte Kooperation mit den Strafverfolgungsbehörden», sagte Zorn. Dass X dies verweigere, passe ins Bild: Gegen das Unternehmen liefen bereits mehrere Verfahren der EU-Kommission wegen massiver Verstösse gegen den Digital Services Act.

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