Wie Europas Autoindustrie wegen China in die Chip-Falle tappte
Bis vor Kurzem kannte kaum jemand diesen Namen. Doch ohne Nexperia läuft in Europas Fabriken wenig: Das Unternehmen beliefert fast alle grossen Autozulieferer mit Halbleitern und steht nun im Zentrum eines internationalen Konflikts.
Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Warum gibt es Probleme?
Auslöser war das Vorgehen der niederländischen Regierung beim Chiphersteller Nexperia. Die Regierung in Den Haag hatte dem chinesischen Eigentümer von Nexperia Ende September die Kontrolle entziehen lassen – Gerichtsakten zufolge auf Druck der USA.
Die niederländische Regierung berief sich dabei auf das sogenannte Warenverfügbarkeitsgesetz. Nexperia durfte seither zwar seine reguläre Produktion fortsetzen, unternehmerische Entscheidungen können aber von der niederländischen Regierung blockiert oder rückgängig gemacht werden.
China stoppte daraufhin die Ausfuhr von Nexperia-Produkten für die Autoindustrie.
Grund für den Konflikt ist nach Aussagen des niederländischen Ministerpräsidenten Dick Schoof Missmanagement der chinesischen Unternehmensführung.
Es gebe «akute Anzeichen für gravierende Mängel und Handlungen im Bereich der Unternehmensführung» bei Nexperia, hiess es. Dies sei «eine Gefahr für die Kontinuität und den Schutz wichtiger technologischer Kenntnisse und Fähigkeiten auf niederländischem und europäischem Boden».
Der Eingriff des niederländischen Wirtschaftsministers Vincent Karremans bei Nexperia sei «keine Massnahme gegen China», versicherte der geschäftsführende Regierungschef beim EU-Gipfel in Brüssel.
Chinas Handelsminister Wang Wentao hatte das Eingreifen der niederländischen Regierung laut Angaben aus Peking im Telefonat mit Karremans kritisiert. Dies habe die Stabilität der globalen Lieferketten ernsthaft beeinträchtigt, sagte er. China fordere von den Niederlanden, das Land müsse die Angelegenheit schnellstmöglich lösen, hiess es.
Nexperia gehörte einst zum Philips-Konzern und dessen Chip-Tochterunternehmen NXP. Es stellt Halbleiter für Alltagsgüter wie Autos und Kühlschränke her. 2018 übernahm Wingtech das Unternehmen. Der chinesische Mutterkonzern steht seit 2024 auf einer Schwarzen Liste der US-Regierung, da das Unternehmen angeblich ein Risiko für die nationale Sicherheit darstellt.
Wofür sind die Teile wichtig?
Nexperia mit Sitz im niederländischen Nimwegen ist ein wichtiger Anbieter sogenannter diskreter Halbleiter. Das sind eher einfache Bauteile, die aber für die Wirtschaft unverzichtbar sind. Internen VW-Angaben zufolge entfallen rund 40 Prozent des weltweiten Angebots an Standardchips für die Automobilindustrie auf Nexperia.
Die Halbleiter von Nexperia kommen häufig in elektronischen Steuergeräten von Fahrzeugelektroniksystemen zum Einsatz. In einem modernen Auto stecken Dutzende dieser Geräte. Diese fertigen die Hersteller oft nicht selbst – sondern kaufen die Komponenten von Zulieferern.
Nach Angaben des Verbands ZVEI übernehmen diskrete Bauteile viele Funktionen: Sie verarbeiten unter anderem Signale in Steuergeräten, regeln und stabilisieren die Spannung und binden Sensoren an. Wie viele diskrete Halbleiter in einem Auto verbaut werden, hängt laut ZVEI vom Einzelfall ab.
Bei einzelnen Bauteilen ist Nexperia nach eigenen Angaben Weltmarktführer. Zu den Kunden zählten – Stand August – Automobilhersteller wie Tesla und Zulieferer wie Bosch. Die meisten Autokonzerne werden nicht direkt beliefert. Nexperia-Chips befinden sich aber in Bauteilen, die von Zulieferern wie Bosch oder ZF kommen.
Nexperia betreibt auch ein Werk in Hamburg. Das Unternehmen stand ursprünglich auf einer Liste von Firmen im Chip-Bereich, denen milliardenschwere Staatshilfen zuteil werden sollten. Das deutsche Bundeswirtschaftsministerium setzte sich 2023 noch unter dem Minister Robert Habeck (Grüne) unter Verweis auf die China-Verbindung dafür ein, Nexperia von dieser Liste zu streichen und von der Förderung auszuschliessen.
Wie schnell lässt sich der Ausfall ersetzen?
Auf den ersten Blick handle es sich bei den Chips um Massenware, sagt Peter Fintl, Automobilexperte des IT-Dienstleisters Capgemini. Allerdings seien sie oft sehr speziell angepasst und daher nicht so leicht zu ersetzen. «Für bestimmte Bauteile kann man nicht ohne weiteres auf andere Hersteller umswitchen.»
Das mache die Suche nach Ersatzlieferanten kompliziert und langwierig. «Darin liegen nun die Herausforderungen.» Änderungen der Lieferketten seien zwar grundsätzlich möglich. «Allerdings spricht man hier nicht von Tagen oder Wochen, sondern von Monaten oder Quartalen», sagt Fintl.
Wie reagieren die Autohersteller?
Der deutsche Verband der Automobilindustrie (VDA) warnte bereits vor möglichen Ausfällen wegen fehlender Chips – bis hin zu Produktionsstopps. Bisher laufe die Produktion in den Autowerken aber noch normal, hiess es bei den deutschen Herstellern.
Der VW-Konzern zeigte sich zuversichtlich, Produktionsstopps noch abwenden zu können. Derzeit werde mit einem alternativen Lieferanten verhandelt, der den Lieferausfall der Nexperia-Halbleiter ausgleichen könnte, sagte Markenproduktionsvorstand Christian Vollmer dem «Handelsblatt».
Noch am Mittwoch hatte VW vor möglichen Produktionsausfällen gewarnt, die auch kurzfristig möglich seien. Der Autokonzern stoppte vorerst die Fertigung der Modelle Golf und Tiguan am Firmensitz in Wolfsburg.
Mercedes-Benz teilte mit, man sei «im Kurzfristzeitraum abgesichert». Der Konzern arbeite «intensiv mit unseren Partnern daran, eventuell auftretende Lücken zu schliessen». Ähnlich hatte sich zuvor BMW geäussert.
Was unternehmen die Zulieferer?
Erste Zulieferer wie ZF richteten bereits Taskforces ein, um die Lage zu bewältigen. Gemeinsam mit Kunden und Lieferanten arbeite man daran, die von Nexperia-Produkten abhängigen Lieferketten weiterhin stabil zu halten und Alternativen zu prüfen.
Bosch teilte auf Anfrage mit: «Wie andere Kunden von Nexperia stellt auch uns die aktuelle Situation vor grosse Herausforderungen.» Expertenteams stünden im engen Austausch mit dem Hersteller sowie anderen Lieferanten und Kunden, um mögliche Einschränkungen bei der Produktion zu vermeiden oder so gering wie möglich zu halten.
Der Vorsitzende der ZVEI-Geschäftsführung, Wolfgang Weber, sagte der Deutschen Presse-Agentur, die Mitgliedsfirmen des Verbands arbeiteten an Ersatzlösungen. Es gebe Signale, die Anlass zur Hoffnung gäben. «Ein Problem liegt jedoch in der notwendigen Qualifizierung der Ersatzbauteile – wir können also keine Entwarnung geben.» Die Krise müsse schnell politisch gelöst werden.
Was macht die Politik?
Auch die deutsche Regierung sucht nach Lösungen. Ein Sprecher des Wirtschaftsministeriums sagte am Mittwoch, man sei besorgt und mit den verschiedenen Beteiligten in engem Austausch – auch mit der chinesischen Regierung. Am Mittwochabend gab es dazu eine Schalte des deutschen Wirtschaftsministeriums mit Verbänden und Unternehmen aus der Automobil- und Elektronik-Industrie, wie dpa von Beteiligten erfuhr. Ergebnisse wurden zunächst nicht bekannt.
Nexperia dürfte in der kommenden Woche auch beim Treffen zwischen EU-Handelskommissar Maros Sefcovic und dem chinesischen Handelsminister Wang Wentao in Brüssel auf der Tagesordnung stehen. Sefcovic will zudem auf «dringende Lösungen» im Streit um Pekings Exportkontrollen für Seltene Erden drängen.
Diess war zuletzt der bestbezahlte Manager des Konzerns: Einschliesslich Altersvorsorge und variabler Vergütung für mehrere Jahre erhielt er im vergangenen Jahr knapp 11,2 Millionen Euro, wie aus dem Geschäftsbericht des Konzerns hervorgeht. Damit verdiente er mehr als sein Nachfolger Oliver Blume, der auf gut 10,3 Millionen Euro kam.
Eigentlich, so hatte es bei Diess' Absetzung geheissen, sollte der Ex-Chef weiter als Berater für den Konzern tätig sein. Aufgefallen ist davon wenig. Stattdessen ging Diess 2023 beim Chiphersteller Infineon in den Aufsichtsrat und übernahm dort den Vorsitz. Er engagiert sich bei mehreren Start-ups – und ist oft in Spanien, wo er ein kleines Hotel betreibt, samt Rinderzucht und Birnenplantage, wie er Ende vergangenen Jahres im Video-Podcast «Jung & Naiv» erzählte.
Quellen
- Nachrichtenagenturen sda/awp/dpa
- t-online.de: Langjähriger Manager verlässt VW
(dsc)