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Trevor McNally: Dieser YouTuber knackt fast jedes Schloss

Vorhängeschloss (Symbolbild)
Es gibt Leute, die beschäftigen sich intensiv mit Schliessmechanismen.Bild: imago-images.de

Der YouTuber, der (fast) jedes Schloss knackt – ein Lehrstück zum Streisand-Effekt

Trevor McNally begeistert ein Millionenpublikum, indem er vor laufender Kamera Schlösser knackt. Als er die Werbeversprechen eines Herstellers entlarvt, muss er plötzlich um seine Online-Existenz kämpfen.
02.11.2025, 18:4002.11.2025, 19:38

Shimming bezeichnet eine Methode, bei der ein sehr dünnes und biegbares Stück Blech oder ein vergleichbares Material – ein «Shim» – verwendet wird, um eine verriegelte Tür oder ein Vorhängeschloss zu knacken.

Zunächst wird der Shim, was auch mit Unterlegscheibe übersetzt werden kann, in den Spalt zwischen der Tür und dem Rahmen oder in das Schloss eingeführt. Dann kann dann der Verriegelungs-Mechanismus durch Drücken und Rütteln umgangen werden.

Klingt kompliziert?

Ist aber extrem einfach!

Zumindest sieht es kinderleicht aus, wenn uns Trevor McNally dabei zuschauen lässt. Und das gefällt ziemlich vielen Leuten im Internet.

Der 32-jährige Amerikaner hat aus seiner Leidenschaft fürs Lockpicking, also das Knacken von Schlössern, eine lukrative und vollkommen legale Einnahmequelle gemacht. Bei YouTube und TikTok erreichen seine locker-flockigen Kurzvideos ein Millionenpublikum.

Doch nicht alle Zuschauer sind begeistert. Im Gegenteil. Trevor findet sich plötzlich in einer Abwehrschlacht von ungeahntem Ausmass wieder. Und das Internet ist um ein Social-Media-Drama reicher.

Die Provokation

Im März dieses Jahres liefert ein amerikanischer Schlosshersteller eine Steilvorlage für Trevor McNally. Das in Florida beheimatete Familienunternehmen Proven Industries stellt Schlösser für Anhänger-Kupplungen her und wirbt mit ziemlich marktschreierischen Videos bei Instagram und Co. für die eigenen Produkte.

In einem dieser Social-Media-Werbevideos verkündet ein Mann mit Sonnenbrille und Baseballkappe, er werde es allen «Hatern» zeigen. Dann geht er mit Vorschlaghammer, Bolzenschneider und Brecheisen auf ein 130 Dollar teures Anhängerkupplungsschloss los.

Logisch hält das Schloss stand.

Ein Instagram-User macht Trevor auf das Video mit dem angeblich unknackbaren Schloss aufmerksam. Zudem provoziert ihn jemand von der Herstellerfirma mit dem Kommentar, dass er nur «die billigen Schlösser mag, lol, weil sie einfach und schnell [zu knacken] sind».

Trevor tut, was er am besten kann

Am 3. April veröffentlicht er auf mehreren Social-Media-Plattformen ein 15-Sekunden-Video. Darin sieht er sich die Werbung von Proven Industries an, während er die Beine baumeln lässt und einen Saft trinkt.

Dann springt er hoch, geht zu einem Anhängerkupplungsschloss der besagten Firma und öffnet es blitzschnell – mit nichts anderem als einem Shim, den er aus einer Energydrink-Dose geschnitten hat. Während des gesamten Videos, das allein auf YouTube schon fast 10 Millionen Views erreicht hat, sagt er nichts.

Sein Video (Spoiler: das Teaserbild zeigt nicht Trevor):

Der schlechte Verlierer

Das betroffene Unternehmen reagiert, wie man niemals reagieren sollte, wenn man gerade vor aller Augen blamiert wurde. Ron Lee, der Eigentümer von Proven Industries, schreibt Trevor auf Instagram eine Nachricht. «Ich wollte mich nur bedanken und sei vorbereitet!»

Der YouTuber empfindet dies als Drohung.

Vor allem auch, weil der Firmenchef am nächsten Tag Trevors Frau eine SMS schickt. Versehentlich, wie es später heisst. Und der Inhalt der Kurznachricht sei nicht anstössig gewesen, sondern im Gegenteil der ungeschickte Versuch, die Situation zu entschärfen.

Doch Trevor sieht dies als Versuch, ihn und seine Familie einzuschüchtern. Und dieses Gefühl wird noch verstärkt, als er gemäss eigenen Angaben herausfindet, dass Lee dreifach vorbestraft ist.

Warum sich der blossgestellte Schlosshersteller so über Trevors Video aufregt, ist unklar. Sicher ist: Auf der Firmen-Website findet sich bis heute ein eigenes Video, in dem die Firma Konkurrenzprodukte schlechtmacht und zeigt, wie einfach es ist, sie zu knacken.

Doch nun geht Proven Industries endgültig auf Konfrontationskurs und die Situation eskaliert.

Am 6. April veröffentlicht der Schlosshersteller ein «Antwortvideo» im Internet und lässt in den Kommentaren zahlreiche Social-Media-User wissen, dass die Angelegenheit für Trevor nun sehr persönlich werde.

Angestellte der Firma behaupteten öffentlich, Trevor täusche sein Publikum über die vielen Vorbereitungen, die er für die Herstellung einer «perfekt zugeschnittenen» Unterlegscheibe (Shim) treffe. Ohne umfassende Erfahrung, lange Vorbereitung und präzise Messungen seien die Schlösser kaum in Gefahr, von Dritten geöffnet zu werden, um die Anhänger zu stehlen.

Über seine Anwälte lässt das Unternehmen ausserdem mehrere DMCA-Löschungsanträge gegen Trevors Video einreichen und behauptet, seine Verwendung des Werbevideos sei eine Urheberrechtsverletzung.

Es eskaliert

Trevor beugt sich dem Druck jedoch nicht, sondern veröffentlicht mehrere weitere Videos, in denen er die Schlösser von Proven Industries knackt. In einem davon nimmt er die Behauptungen der Firma über seine Vorbereitungsarbeiten ins Visier, indem er ein neues Schloss auspackt und es in wenigen Sekunden mit einem Shim öffnet, den er vor laufender Kamera ohne jegliche Messungen aus einer Aluminiumdose schneidet.

So schnell kann es gehen:

In diesem Video erklärt Trevor, wie man einen Shim anfertigt:

Auch ein Vorhängeschloss mit verstecktem Bügel knackt er mit einfachsten Mitteln:

In einem weiteren Video knackt er ein Container-Schloss der Firma:

Die Klage

Am 1. Mai reicht Proven Industries in Florida Klage gegen Trevor McNally ein und wirft ihm eine Vielzahl von Vergehen vor, darunter Urheberrechtsverletzung, irreführende Werbung und «implizite Diffamierung».

Der letztere Vorwurf bezieht sich auf den Fakt, dass Trevor im ersten Video kein einziges Wort sagt. Offensichtlich wurden die Firmen-Verantwortlichen allein schon durch das betont lässige Auftreten des Schlossknackers massiv getriggert. In der Klageschrift finden sich dazu mehrere Belege, wie diese hier:

«McNally scheint mit den Beinen zu baumeln und an einem Apfelsaftkarton zu nippen, und vermittelt den Käufern, dass es einfach, trivial und sogar komisch sei, das Schloss des Klägers zu umgehen …

Die Verwendung kindischer Bilder, wie etwa das Nippen an einem Saftkarton beim beiläufigen Anbringen der Unterlegscheibe, verstärkt den irreführenden Eindruck, dass das Schloss grundsätzlich unsicher sei und irreführend vermarktet werde …»

Die Klägerin argumentiert, die gesamte Inszenierung von Trevors Videos sei unfair gegenüber dem Unternehmen und seinem Produkt. Er zeige seine Vorbereitungen nicht, was der Öffentlichkeit – so behauptet Proven Industries – den falschen Eindruck vermittle, die Schlösser seien leicht zu umgehen. Obwohl das Shimming funktioniere, sei es für Ungeübte schwierig durchzuführen.

Das Internet reagiert

Wenn gewinnorientierte Unternehmen kritische Stimmen zum Verstummen bringen wollen, kommt das in der Regel nicht gut an auf den Social-Media-Plattformen.

Proven Industries gerät ins Visier von McNally-Fans. Die Firma gibt an, sie sei «gezwungen gewesen, Kommentare zu Posts und Produktvideos zu deaktivieren», da es eine Flut spöttischer und irreführender Antworten gab. Und der Kundendienst des Unternehmens wird von falschen Kundendienstanfragen überflutet.

Jemand veröffentlicht Lees private Telefonnummer im Kommentarbereich eines Trevor-Videos, was bald zu einem «kontinuierlichen Strom belästigender Telefonanrufe und Textnachrichten von unbekannten Nummern zu jeder Tages- und Nachtzeit» führt, wie es heisst.

Trevor versichert, er habe nichts mit der Veröffentlichung der Kontaktdaten zu tun. Diese seien über ein Online-Verzeichnis frei einsehbar gewesen.

Streisand lässt grüssen

Am 13. Juni wird der Fall vor der ehrenwerten Mary Scriven verhandelt, einer äusserst kämpferischen Bundesrichterin in Tampa, hält Ars Technica fest.

Proven Industries habe noch versucht, mit einer einstweiligen Verfügung zu verhindern, dass Trevor seine Videos weiter teilte, während das Verfahren lief.

Doch der Fall steht aus Klägersicht von Beginn an unter keinem guten Stern. Aus dem Gerichtssaal im südlichen Bundesstaat ist der folgende Dialog der Anwälte von Proven Industries mit der Richterin überliefert:

Trevor McNally von Schlosshersteller verklagt.
Screenshot: Ars Technica

Später fragt die Richterin: «Hat die Klägerin ein Schloss und eine Bierdose mitgebracht?» Sie schien gemäss der Berichterstattung von Ars Technica ziemlich enttäuscht zu sein, als klar wurde, dass es im Gerichtssaal keine Live-Vorführung des Shimmings geben würde.

Was den Anspruch auf Urheberrechtsverletzung angeht, gelangt die Richterin zu einem ziemlich eindeutigen Urteil: Es sei erlaubt, Ausschnitte aus urheberrechtlich geschützten Videos zu zitieren, um sie zu kritisieren.

Anfang Juli wird die Klage des Schlossherstellers gegen Trevor McNally abgewiesen.

Es gäbe noch einige knackige Details aus dem Gerichtssaal und zum Verhalten der Klägerseite zu berichten, doch sollten wir langsam zum Schluss kommen.

Das Merkwürdige an der ganzen Geschichte sei, dass Proven Industries eigentlich wusste, wie man konstruktiv auf das erste Video hätte reagieren sollen. Zu diesem Fazit kommt Ars Technica und bezieht sich dabei auf ein erstes Antwort-Video des Unternehmens. Dieses habe mit einer Prise Humor begonnen (der Moderator trinkt einen Energydrink aus der Dose), dann habe man das Problem eingeräumt und sich kritikfähig gezeigt.

In jenem Video wird auch die Funktionsweise der Schlösser erklärt und die Firma liefert Hintergrundinformationen zu Shimming-Angriffen und deren Wahrscheinlichkeit in der Praxis. Abschliessend wird gezeigt, dass besorgte Kunden teurere, aber sicherere Schlosskerne wählen können, die dieser Technik standhalten.

«Schnell, professionell, nicht defensiv» – dies sei eine grossartige Möglichkeit, mit Kontroversen umzugehen, hält Ars Technica fest. Doch all das sei durch die wütenden und unprofessionellen Stellungnahmen des Unternehmens bei Social Media und den Rechtsstreit, der «sowohl rechtlich als auch politisch spektakulär schlecht durchdacht war», kaputt gemacht worden.

«Letztlich wurde der Fall zu einem klassischen Beispiel für den Streisand-Effekt, bei dem der Versuch, Informationen zu zensieren, stattdessen die Aufmerksamkeit auf sie lenken kann.»

PS: Im folgenden Video zeigt Trevor, wie das Shimming funktioniert:

Quellen

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20 Kommentare
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MainAccount
02.11.2025 21:11registriert Oktober 2020
Für mich tönt es so, als hätte das Social Media Team alles richtig gemacht und dann hat sich der Big Boss eingemischt, alles persönlich genommen und weder auf sein Social Media Team noch auf seine Anwälte gehört. Schlussendlich ist die Firma damit ordentlich auf die Nase gefallen.
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montuno
02.11.2025 19:47registriert Februar 2020
Ich mag Lockpicking Videos. Was wäre die Welt ohne Youtube wo irgendwelche Nerds ihre Fähigkeiten erklären
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The Destiny // Team Telegram
02.11.2025 19:24registriert Mai 2014
«Es gäbe noch einige knackige Details aus dem Gerichtssaal und zum Verhalten der Klägerseite zu berichten, doch sollten wir langsam zum Schluss kommen. »

Bitte sehr, das ist ja schon fast wie Big Ben Sex beschreibt.
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Der YouTuber, der (fast) jedes Schloss knackt – ein Lehrstück zum Streisand-Effekt
Trevor McNally begeistert ein Millionenpublikum, indem er vor laufender Kamera Schlösser knackt. Als er die Werbeversprechen eines Herstellers entlarvt, muss er plötzlich um seine Online-Existenz kämpfen.
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