Morgan Samuelsson war ein mittelässiger ausländischer Stürmer. Aber er erzielte in der Verlängerung jenen Treffer, der den ZSC Lions den Meistertitel 2001 brachte. Paul Henderson machte eine respektable NHL- Karriere und wäre dann vergessen gegangen. Aber er erzielte das Tor, das Kanada 1972 den Sieg in der ersten Serie der NHL-Profi gegen die Sowjets brachte. Er ist ein Nationalheld geworden.
Stefanie Marty (26) erzielte hier in Sotschi einen Treffer, der sich eigentlich im Schweizer Hockey auf Augenhöhe mit Morgan Samuelsson bringen müsste. Das 1:0 gegen Russland, das uns den ersten Hockey-Halbfinal der olympischen Geschichte beschert. Die Schweizerinnen siegten gegen Russland 2:0, dürfen heute gegen Kanada (18.00 Uhr Schweizer Zeit) um den Finaleinzug spielen und bekommen in jedem Fall am Donnerstag voraussichtlich gegen Schweden die Chance um Bronze zu spielen. Kanada hat bis heute nie gegen ein europäisches Team verloren.
Im Männereishockey würde dieses Tor dem Schützen nebst Ehre und Medienpräsenz auch viel Geld bringen. Und wenn er nicht schon in der NHL wäre, so würde der Treffer den Weg zu den Dollarmillionen ebnen. Für Stefanie Marty aber ändert dieses Tor rein gar nichts. Sie kann weiterhin mit dem Eishockey kein Geld verdienen. Ja, historische Tore sichern manchmal nicht einmal den Platz im Team.
Claudia Riechsteiner erzielte im November 2004 das vielleicht bis heute wichtigste Tor für die Schweiz: Sie traf in Peking sechs Sekunden vor Schluss gegen China zum 3:2 – mit diesem Sieg qualifizierten sich die Schweizerinnen erstmals fürs Olympische Turnier (2006 in Turin). Noch wichtiger: Das Frauenhockey wurde erstmals öffentlich wahrgenommen und wurde von da an auch ein bisschen gefördert. Aber Claudia Riechsteiner bekam im Olympiateam 2006 in Turin keinen Platz.
Für Frauen gibt es auch in den USA und Kanada keine Möglichkeit, nach der Studienzeit mit Hockey den Lebensunterhalt zu bestreiten. Höchstens ein paar herausragende Spielerinnen, die im Markt auftreten wie Einzelsportlerinnen, gibt es Werbeeinahmen. Es gibt auch in Nordamerika keine Profiliga für Frauen.
Stefanie Marty ist nach dem Studium aus Nordamerika zurückgekehrt und spielt zusammen mit ihrer Zwillingsschwester Julia in Schweden. Weil dort das Training und die Spiele intensiver sind. Julia Marty ist die weibliche Antwort auf Mark Streit oder Roman Josi. Mit 22:26 Minuten pro Partie hat sie auch am meisten Eiszeit aller Schweizerinnen.
Stefanie Marty sagt: «Aber wir verdienen in Schweden so wenig, dass wir damit nicht einmal die Wohnungsmiete zahlen können. Wir können uns die Eishockeykarriere nur leisten, weil wir von meinen Eltern grosszügig unterstützt werden und dank den Spenden aus einer Internet-Aktion.»
Im August hat Stefanie Marty ihr Wirtschaftsstudium abgeschlossen. Immerhin konnte sie in Nordamerika dank dem Eishockey studieren. Mit ihrem Hockeytalent finanzierte sie sozusagen einen Teil ihres Studiums. Etwas überspitzt formuliert: Sport kann an den Universitäten in Nordamerika eine ähnliche Bedeutung haben wie Bildung.
Stefanie Marty weiss nicht, wo und wie und ob sie ihre Karriere nach dieser Saison fortsetzen wird. Sie glaubt zwar, dass es möglich sein kann, das internationale Niveau in der Schweiz zu halten. Die ZSC Lions und Lugano sind die beiden grossen Teams im Frauenhockey. Im Grunde die einzigen Hockeyunternehmen im Land, die Geld ins Frauenhockey investieren. Andere Klubs wie etwa der EV Zug – dort spielte Stefanie Marty als Juniorin – haben die Frauen-Sektion längst wieder geschlossen.
Der Verband investiert ins Frauen-Hockey etwa 400'000 Franken – viermal weniger als ins Männerhockey. Nationaltrainer René Kammerer ist hundert Prozent berufstätig und macht den Job seit 2004 sozusagen als Hobby. Er dürfte der meistunterschätzte Trainer im Schweizer Sport sein. Eigentlich hat er angekündigt, nach Sotschi aufzuhören. Doch nun wird Nationalmannschaftsdirektor Peter Lüthi versuchen, den Erfolgscoach zum Weitermachen zu überreden. Geld wird eine Rolle spielen.
Stefanie Marty könnte bei den ZSC Lions oder in Lugano ein bisschen Spesen verdienen. Aber sie möchte lieber nicht zu diesen beiden Grossen wechseln. «Es macht wenig Sinn, wenn ich in Zürich oder Lugano spielen. Dann gibt es bloss gute Spiele in den Direktbegegnungen. Es ist besser, wenn ich beispielsweise in Reinach spielen würde. Wenn sich die Nationalspielerinnen auf mehrere Klub verteilen, hilft das allen.»
Sie schliesst nicht aus, dass sie nächste Saison für Reinach stürmen wird. So käme der «Provinzclub» sozusagen zu einem Hockey-Weltstar und der Kreis schliesst sich. Für Reinach spielte Stefanie Marty einst bevor sie die Hockeywelt eroberte.