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Die Frau hinter der Kasse der Spielzeugabteilung von Bloomingdale's in New York ist 27. Drei Dinge liebt sie exzessiv: Zigaretten, Frauen, Alkohol. Jetzt, zur Weihnachtszeit 1948, jobbt sie, um sich eine Psychoanalyse zu finanzieren. Gerade hat sie ihren ersten Roman geschrieben, erschienen ist er noch nicht. Sein Titel: «Strangers on a Train». Drei Jahre später wird der Roman verfilmt sein. Von Alfred Hitchcock.
Die Frau bei Bloomingdale's ist Patricia Highsmith. Bald wird sie ein Superstar sein und bleiben. Bis zu ihrem Krebstod mit 74 Jahren in Locarno. Sie wird als Antisemitin sterben und als Rassistin. Als wunderliche Frau, die Schnecken züchtet und sie in ihrer Handtasche mit zu Partys nimmt. Doch jetzt, mit 27, denkt sie nur an eines: an die nächste Frau.
Die kühle, reiche Blonde, die an diesem Tag bei ihr eine Puppe kauft, wird zur Heldin von Patricia Highsmiths zweitem Roman. Es ist die New Yorker Society-Lady Kathleen Wiggins Senn, sie ist Alkoholikerin und regelmässig zu Gast in psychiatrischen Kliniken, sie wird sich drei Jahre später das Leben nehmen.
Doch jetzt, im Dezember 1948 ist sie eine leuchtende Erscheinung im Nerzmantel, die Patricia Highsmith fast in Ohnmacht fallen lässt. Patricia merkt sich ihre Adresse, stalkt sie ein bisschen und schreibt in Windeseile und unter dem Pseudonym Claire Morgan die lesbische Liebesgeschichte «The Price of Salt». Die Geschichte der 19-jährigen Spielzeug-Verkäuferin Therese Belivet, die Bühnenbilder fürs Theater entwirft und Fotografin werden will, und der reiferen, reichen und wunderschönen Kettenraucherin Carol Aird, die sich praktischerweise gerade scheiden lässt.
Im Gegensatz zu Patricia Highsmiths Kriminalromanen stirbt in «The Price of Salt» niemand. Denn «Claire Morgan» weigert sich, die Prüderiegesetze des Buchmarktes zu befolgen: Sie tötet ihre Lesben nicht. Sie gibt ihnen sogar ein Happy End. Der Roman erscheint 1952 und wird sofort zum Bestseller, die Taschenbuchausgabe verkauft sich innerhalb von kurzer Zeit eine Million Mal. Ab 1989 heisst der Roman «Carol» und aus Claire Morgan wird endlich Patricia Highsmith.
«Vor diesem Buch», schreibt sie 1989 selbstbewusst wie immer, «mussten Homosexuelle in amerikanischen Romanen für ihre Abweichung bezahlen, indem sie sich die Pulsadern aufschlitzten, sich im Swimming Pool ertränkten oder heterosexuell wurden.»
Im Jahr 2000 macht sich die von Patricia Highsmith geförderte und unter gehörige Mengen Alkohol gesetzte – aber nie verführte – britische Dramatikerin Phyllis Nagy an eine Drehbuchbearbeitung von «Carol». Die Regisseure, die es verfilmen wollen, stehen Schlange, Stephen Frears und Kenneth Branagh zählen dazu, doch Phyllis Nagy ziert sich. Die Zeit scheint ihr falsch. Sie will nicht, dass «Carol» als «Bewegungsfilm» instrumentalisiert wird. Sie wartet auf einen mit einem feineren Gespür.
Und dann kommt er: Todd Haynes, der schwule amerikanische Regiegott, dem restlos alle Frauen vertrauen. Der Mann für exquisit kostümierte Damen-Melodramen wie «Far from Heaven» mit Julianne Moore oder dem HBO-Mehrteiler «Mildred Pierce» mit Kate Winslet. Wie «Carol» spielen auch sie in den 50er-Jahren. Es ist die Zeit von Todd Haynes' Vorbildern. Und die Zeit der Frauen, mit denen er sich als Schwuler quasi unterdrückungs-historisch gesehen identifiziert.
«Die Geschichten meiner Frauen haben tatsächlich wenig Eskapistisches», sagt er am Rand des Zurich Film Festival. «Bei ihnen geht es um all die Grenzen, die ihnen von der Gesellschaft und auch einfach durch ihr Geschlecht aufgezwungen werden», sagt er, «aber für mich als Filmemacher sind diese Grenzen gut. Sie machen eine Geschichte konzentrierter, präziser. Die Geschichten von Frauen sind weit weniger optimistisch als die von Männern. Und viel, viel wahrer.»
Weiss Todd Haynes, dass Patricia Highsmith ihren letzten Roman über das homosexuelle, von Aids verschattete Zürich nach der Platzspitz-Räumung geschrieben hat? Er heisst «Small g: a Summer Idyll» und erschien 1995, einen Monat vor Highsmiths Tod. Leider Zürich im Roman so seltsam spiessig, als wäre es in den 50ern stecken geblieben. Trotzdem: «Small g» ist der einzige andere Nicht-Krimi und der einzige andere richtig queere Roman, den Highsmith neben «Carol» geschrieben hat. «Wooow! Nein! Ich muss das sofort lesen! Ich war ja total falsch informiert! Ich hab immer erzählt, ‹Carol› sei ihr einziges queeres Buch!»
Todd Haynes und Phyllis Nagy sind voneinander begeistert, zum ersten Mal in seinem Leben schreibt Haynes ein Drehbuch nicht selbst. Und weil er für den Bob-Dylan-Film «I'm Not There» schon einmal mit Cate Blanchett gearbeitet hat, kann er sie sofort als Carol gewinnen. Nagy ist sich sicher, dass Highsmith Blanchett überaus heiss gefunden hätte.
Rooney Mara – die Lisbeth Salander aus David Finchers «Girl with the Dragon Tattoo» – wird Therese Belivet. Schon im Roman beschrieb Highsmith ihre Therese oft als «mechanisch» oder «automatisch». Als die exakte, distanzierte, fast roboterhafte Analytikerin, die sie als Fotografin auf der Suche nach dem richtigen Bild eben sein muss. Therese ist Jugend, Fortschritt, Zukunft. Rooney Mara ist perfekt.
Cate Blanchett als ihr Gegenteil natürlich auch. Als die unselbständige reiche Diva, die sich vor lauter performativer Grandezza fast in ihren eigenen Rauchschwaden auflöst. So wie auch ihr Name, Carol Aird, nach etwas Schwebendem, sich Verflüchtigendem klingt. Carol Aird ist Poesie, ist Prachtentfaltung. Therese Belivet, die mittellose Migrantentochter, ist die Pragmatik des Überlebens in der Grossstadt.
In der Liebe wird aus Carol und Therese etwas Neues. Eine Kraft, eine Selbstverständlichkeit. Etwas ganz Alltägliches. Etwas ganz Grosses. Doch die Hindernisse sind hartnäckig: Der allzu bodenständige Lover von Therese, der beleidigte Gatte von Carol, ein Sorgerechts-Prozess um Carols Tochter (den Highsmith wiederum dem Leben von einer ihrer Ex-Geliebten, natürlich einer schweren Alkoholikerin, abgeschrieben hatte), ein Privatdetektiv, der die Frauen auf ihrem Road-Trip verfolgt. Auf einer Reise quer durch die Sehnsuchtsgebiete der Herzen und Körper.
Selbst im schäbigsten Hotel passen Carols korallenrote Fingernägel zufälligerweise zur Wolldecke. Ihr Auto ist ein elegantes Wunder. In ihrem Koffer liegt ein Revolver. Und über allem ist Winter, Weihnachten, Neujahr. Und die Musik! Getrieben von Frühlingsgefühlen bei Schneefall. Geschrieben hat sie Carter Burwell, seit «Fargo» Hauskomponist der Coen Brothers. Es könnte ein grausamer Kitsch sein. Aber es ist einfach nur atemberaubend schön. Eine Leinwand voller Retroglück. Und voller Glück.
«Carol» läuft ab Donnerstag, 3. Dezember, in Zürich, Bern und Basel im Lunchkino, ab 10. Dezember im Kino.