Herr Farkas, als am Pfingstsonntag der Notruf beim Roten Kreuz einging, wurden Sie als einer der Ersten per Helikopter auf den Untersberg geflogen, um dem verletzten Karlsruher Forscher Johann Westhauser zu helfen. Haben Sie gezögert, den Abstieg in die grösste Höhle Deutschlands zu wagen?
Wolfgang Farkas: Keine Sekunde. Ich arbeite seit mehr als zehn Jahren als Höhlenrettungsnotarzt. Gemeinsam mit einem Höhlenkenner und zwei weiteren Höhlenrettern stieg ich ohne Vorbereitungszeit hinab in die Tiefe. Als Notfallmediziner will man immer so schnell wie möglich beim Patienten sein. Jede Sekunde zählt.
Wann haben Sie gemerkt, dass eine rasche Rettung in diesem Fall kaum möglich sein wird?
Es war schon dunkel, als wir am Sonntag begannen, in die Höhle hinunterzusteigen. Es war mir schnell klar, dass das die extremste Schachthöhle ist, die ich je betreten habe. Die Steilhänge sind zwischen 60 und 180 Meter lang. Auf die eine senkrecht abfallende Felswand folgt gleich die nächste. Zwischendurch jede Menge nicht gesicherte, kraftraubende Kletterpassagen.
Gab es Erholungspausen oder eine kurze Nachtruhe?
Weit nach Mitternacht, nach stundenlangem Abseilen und Entlanghangeln, erreicht man einen Wasserfall. Wenn man hier weitergeht, muss man mindestens bis Biwak drei vordringen, sonst kühlt man wegen Nässe aus. Ich war zu diesem Zeitpunkt 26 Stunden auf den Beinen, weil ich eine Schicht auf dem Rettungshubschrauber hinter mir hatte, und ich war am Ende meiner Kräfte. Zu diesem Zeitpunkt merkte ich: «Jetzt muss ich umdrehen.»
Waren Sie da zumindest schon in der Nähe des Verletzten?
Leider nein. Nach dem Wasserfall hätten wir noch mindestens drei Stunden mit klatschnasser Kleidung durch enge Canyons klettern und spreizen müssen, um das dritte von insgesamt sechs Biwaks zu erreichen. Dort hätte ich mich dann das erste Mal ausruhen können. Ich kam mir vor wie ein Wanderer, der auf den Mount Everest gebeamt wird. Die Dimensionen der Riesending-Höhle erschlagen einen förmlich. Man ist den Gewalten der Natur hilflos ausgeliefert. Mit dieser Grenzerfahrung hatte ich nicht gerechnet.
Sie mussten ihren Rettungseinsatz aufgeben?
Auch für einen Notfallmediziner gilt: Selbstschutz vor Fremdschutz. Als ich merkte, dass ich selber in Lebensgefahr schwebe, war ich mental blockiert.
Was ging Ihnen durch den Kopf?
Ich musste an meine Familie denken, die ich gar nicht genau über meinen Einsatz informiert hatte. Wenn ich mich gründlicher auf diese tagelange Expedition im Untergrund hätte vorbereiten können, hätte ich es wahrscheinlich geschafft. Immerhin konnte ich die Arztausrüstung im ersten Biwak für den nächsten Rettungstrupp deponieren. Dort fand ich auch wenige Stunden Schlaf. Dann hangelte ich mich an einem Seil hängend Klimmzug für Klimmzug zurück an die Oberfläche.
Wie lange waren Sie für diese relativ kurze Wegstrecke unterwegs?
Circa 28 Stunden. Am Dienstag um zwei Uhr nachts war ich wieder oben.
Derzeit befinden sich mehr als 200 Helfer im Einsatz, 30 Ehrenamtliche setzen oder erneuern im Riesending Metallstifte, Haken und Seile.
Diese Männer riskieren ihr eigenes Leben für ein anderes. Sie haben meinen grössten Respekt. Johann Westhauser ist ein absoluter Vollprofi. Sein Unfall war Pech und nicht die Folge von Leichtsinn. Ein Steinschlag kann bei diesen Expeditionen immer vorkommen. Ich ärgere mich sehr über die menschenverachtenden Kommentare im Internet von Leuten, die Rettungsaktionen wie diese für überzogen oder überteuert halten. Jedes einzelne Menschenleben auf dieser Welt zählt.
Wie häufig im Jahr werden Sie zu Unfällen in Höhlen gerufen?
Nur sehr selten. Meistens sind es keine Höhlenforscher, sondern abenteuerlustige Höhlentouristen, die Hilfe benötigen. Hoffentlich steigt diese Zahl in den nächsten Monaten nicht an. Höhlenforschung ist ein imposantes, spezielles Hobby, kein Breitensport.