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Ü55 und gekündigt

Kündigung vor Pension: Drei Menschen über 55 erzählen vom Stellenverlust

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Sind vom Arbeitsmarkt enttäuscht: Drei ältere Arbeitnehmende und Arbeitslose erzählen anonym von ihren Erfahrungen.Bild: keystone/watson
Ü55 und gekündigt

«Chef will alten Knochen kündigen» – 3 ältere Arbeitnehmer packen aus

Es traf sie alle unerwartet: Drei Menschen über 55 erzählen, wie sie kurz vor der Pensionierung ihre Stelle verloren hatten – und was das mit ihnen gemacht hat.
19.07.2025, 10:0019.07.2025, 13:56
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Viele Politiker träumen davon, das Rentenalter auf 70 zu erhöhen. Doch was passiert mit jenen, die schon mit 60 niemand mehr will?

Der Bundesrat plant die nächste AHV-Reform ohne Erhöhung des Rentenalters. Er will aber darauf hinwirken, dass die Menschen freiwillig länger erwerbstätig bleiben. Dies, indem Frühpensionierungen finanziell weniger attraktiv werden.

watson hat auf einen Aufruf an Frühpensionierte mehrere Dutzend Antworten erhalten. Drei Menschen, die lieber anonym bleiben möchten, erzählen, wie sie kurz vor der Pensionierung ihren Job verloren haben.

«Ü55 und gekündigt»
Sie wollten weiterarbeiten – doch kurz vor der Pensionierung verloren sie ihre Stelle. In der watson-Serie «Ü55 und gekündigt» erzählen Menschen, wie sie trotz Erfahrung, Loyalität und dem Willen zu arbeiten keinen Job mehr fanden. Während die Politik mit einem höheren Rentenalter rechnet, sieht die Realität oft anders aus. So erzählen Werner Boller und Claudio Leu von ihren persönlichen Schicksalen. Aber es werden auch strukturelle Probleme beleuchtet und die Frage aufgeworfen, was sich ändern muss. Teil 1: Werner Boller. Teil 2: Claudio Leu. Teil 3: Situation in der Schweiz.
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Brigitte*, 60 Jahre: «Chef will ‹alten Knochen› kündigen»

Ich bin 60, Personalfachfrau, und seit 30 Jahren in diesem Beruf. Ich habe unzählige Bewerbungen geprüft, Gespräche geführt, Stellen besetzt. Ich weiss, wie der Arbeitsmarkt funktioniert und kenne beide Seiten der Altersdiskriminierung. Und trotzdem hat mich die Realität wie ein Schlag getroffen: Mit 54 Jahren wurde ich von der eigenen Lehrtochter ersetzt, die ich zuvor selbst ausgebildet hatte.

«Jetzt droht mir die nächste Kündigung: Der neue Chef will ‹alte Knochen› loswerden.»

Ich hatte nichts falsch gemacht. Aber offenbar reichte das nicht. Ich war zu alt. Punkt. Ich wollte nur eines nicht: arbeitslos werden. Also bewarb ich mich auf fast alles. Ich fühlte mich für nichts zu schade. Doch es kam meistens nicht mal zu Gesprächen. Wer sagt, es liege an überhöhten Lohnforderungen, versteht nicht, wie es wirklich läuft – so weit kommt es gar nie.

Nach rund 80 Bewerbungen fand ich wieder Arbeit. Aber zu welchem Preis? Nur noch 70 Prozent Pensum, tieferer Lohn, kein Kaderstatus mehr. Und jetzt, kurz vor der Pensionierung, droht mir die nächste Kündigung: Der neue Chef, Sohn des Inhabers, sagt ganz offen, dass er alle «alten Knochen» loswerden will. Ich weiss nicht, ob ich noch einmal die Kraft habe, dann diesen Weg zu gehen.

Hans*, 62 Jahre «Ältere attraktiver machen»

Ich bin 62 Jahre alt und wurde vor eineinhalb Jahren entlassen. Seither habe ich fast 300 Bewerbungen geschrieben. Manchmal denke ich: Warum mache ich das überhaupt noch? Man dreht sich im Kreis. Die Absagen sind quasi garantiert – wenn überhaupt eine Antwort kommt.

«Mit 60 wird man einfach aussortiert.»

Dabei will ich arbeiten. Ich brauche einen Job, nicht nur finanziell. Ich bin noch da. Und will etwas tun. Aber es scheint, als ob man mit 60 einfach aussortiert wird.

Ich glaube, es liegt am System. Die Sozialversicherungen machen ältere Mitarbeitende teuer – der BVG-Anteil ist viel höher. Und in den Köpfen vieler Arbeitgeber ist längst fest verankert, dass jemand über 60 nicht mehr lernfähig oder belastbar ist. Doch das ist Schwachsinn.

Wenn man das Rentenalter erhöhen will, dann muss man dafür sorgen, dass es auch attraktiv ist, ältere Leute weiterzubeschäftigen. Nicht nur auf dem Papier, sondern in der Realität.

Peter*, 63: «Wer einstellt, will keine Ü60-Kandidaten»

Ich habe jahrelang bei einer Tochterfirma der Post gearbeitet. Mit 62 kam das Aus: Die Zustell-Sparte wurde aufgelöst. Zum Glück gab es noch einen Sozialplan. Ich konnte wählen: Rente ab 62 – oder nichts. Ich wählte die Rente, aber die war zu tief.

«Politik und Realität liegen meilenweit auseinander.»
Post
«Musste in Frühpension»: Peter wurde mit 62 bei einer Post-Tochterfirma gekündigt.Bild: keystone/watson

Also habe ich mit meinem eigenen Geld alles kompensiert: die Beiträge, die fehlenden Jahre, alles. Und trotzdem wurde mir der Umwandlungssatz gesenkt. Einfach so. Weil ich «frühpensioniert» wurde.

Politik und Realität liegen meilenweit auseinander. Es geht nicht darum, ob jemand noch arbeiten will – viele wollen. Aber wer einstellt, will keine Ü60-Kandidaten mehr sehen. Das ist die Wahrheit, die niemand hören will.

*(Namen von der Redaktion geändert.)

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329 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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HARPHYIE
19.07.2025 10:31registriert Mai 2020
Wir verschlafen gerade die wichtigsten gesellschaftlichen und ökonomischen Verwerfungen der letzten Jahre.....

Es braucht Reformen und zwar dringend und ZWINGEND zugunsten ALLER Arbeitnehmer. Ansonsten droht eine soziale Katastrophe für einen erheblichen Teil der Gesellschaft....

Von den strukturellen Krisen im Wohnungsmarkt und im Gesundheitssysten fange ich jetzt nicht auch noch an!
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Nummy33
19.07.2025 10:09registriert April 2022
Vorschlag 12,5 % BVG für alle von 25-65. Aber wie machen wir es mit den aktuell berufstätigen? Da würden unsere Politiker (links, rechts, Lobbysten) niemals eine Lösung finden welche für alle passt
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Kerzenständer
19.07.2025 10:25registriert Juni 2021
Ich komme immer wieder auf ein Grundeinkommen. Wir müssen die Spiesse für alle gleichlang machen. Es kann nicht sein, dass jeder aussortiert und systematisch in die Randständigkeit gequält wird, nur weil er nicht einer engen Norm entspricht.
In der Schweiz hat es noch das Volk in der Hand zu entscheiden. Jeder Wähler kann sich für einen Schritt ins unbekannte und ungewisse entscheiden oder weiter am alten festhalten.
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