Es ist eine Premiere in der Geschichte Frankreichs: Mit Nicolas Sarkozy wurde erstmals ein ehemaliger Staatschef von der Polizei festgenommen und offiziell unter Verdacht (garde à vue) gestellt. Nach stundenlangem Verhör konnte Sarkozy das Gericht am Mittwoch kurz vor 2 Uhr wieder verlassen. Gegen ihn wurde ein Ermittlungsverfahren wegen Korruption und Einflussnahme auf die Justiz eröffnet.
Die Ermittlungen kommen zu einem Zeitpunkt, da heftig über ein Comeback des konservativen Politikers spekuliert wurde. Sogar eine erneute Präsidentschaftskandidatur 2017 schien möglich. Die Rückkehr des 59-Jährigen in die Politik dürfte nun erschwert sein. Denn Sarkozy steckt tief im Sumpf mehrerer neuer und alter Skandale:
Nicolas Sarkozy wird verdächtigt, für seinen Präsidentschaftswahlkampf 2007 Geld von Libyens damaligem Machthaber Muammar Gaddafi erhalten zu haben. Die Rede ist von mindestens 50 Millionen Euro. Noch als Präsident nannte Sarkozy den Verdacht «grotesk». Beim Nato-Einsatz gegen Gaddafi 2011 wirkte er als treibende Kraft. Weshalb ein böser Verdacht aufkam: Wollte Sarkozy mit dem Sturz Gaddafis den Skandal vertuschen?
Die mit dem Fall befassten französischen Untersuchungsrichter liessen Sarkozys Telefone anzapfen – und stiessen zufällig auf den möglichen Bestechungsskandal um einen Staatsanwalt am höchsten Gericht Frankreichs, der zur Verhaftung des Ex-Präsidenten am Dienstag führte.
Laut den abgehörten Telefongesprächen sollen Sarkozy und sein Anwalt und enger Vertrauter Thierry Herzog (Bild links) versucht haben, von Gilbert Azibert (rechts), einem Staatsanwalt am Kassationsgerichtshof in Paris, illegal Informationen zu einem laufenden Verfahren zu bekommen.
Im Gegenzug soll Sarkozy Azibert einen hohen Posten im Fürstentum Monaco in Aussicht gestellt haben. Ende Februar wurden Ermittlungen wegen Bestechung und Verletzung des Ermittlungsgeheimnisses eingeleitet.
Die Informationen, die Sarkozy laut den Ermittlern von Azibert bekommen wollte, betrafen offenbar die Beschlagnahmung seiner Terminkalender in der Bettencourt-Affäre. Der Ex-Präsident soll die Schwäche der heute 91-jährigen und demenzkranken Milliardärin Liliane Bettencourt, Erbin des Kosmetikkonzerns L'Oréal, ausgenutzt zu haben, um an Geld für seinen Wahlkampf 2007 zu kommen. Und zwar mehr als das Gesetz zur Parteienfinanzierung erlaubt.
Das Verfahren gegen Sarkozy wurde im vergangenen Oktober wegen Mangels an Beweisen eingestellt. Sarkozy will seine Terminkalender zurück und zog deswegen vor den Kassationsgerichtshof, der sich im März jedoch für nicht zuständig erklärte.
Die Terminkalender könnten dem Ex-Staatschef in der Affäre um umstrittene staatliche Schadensersatz-Zahlungen an den Unternehmer Bernard Tapie noch gefährlich werden. Tapie hatte im Juli 2008 unter dubiosen Umständen 403 Millionen Euro aus der Staatskasse zugesprochen bekommen.
Die Justiz prüft die Rolle des Elysée-Palastes in dem Fall, in den auch die damalige Finanzministerin Christine Lagarde, heute Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), verwickelt ist. Sarkozy soll Tapie vor und nach seiner Wahl 2007 immer wieder getroffen haben.
Über die sogenannte Bygmalion-Affäre stürzte bereits Sarkozys Nachfolger als Chef der konservativen Partei UMP, Jean-François Copé. Er musste Ende Mai zurücktreten. Sarkozy soll sein per Gesetz vorgegebenes Wahlkampfbudget für die angestrebte und schliesslich misslungene Wiederwahl 2012 um mindestens elf Millionen Euro überzogen haben.
Verschleiert wurde dies offenbar, indem die UMP Rechnungen der von Copé-Vertrauten gegründeten PR-Firma Bygmalion beglich, die eigentlich aus Sarkozys Wahlkampfkasse hätten bestritten werden müssen. Ob Sarkozy davon wusste, ist unklar. In der vergangenen Woche wurde eine richterliche Voruntersuchung eingeleitet.
Die Justiz in Paris ermittelt zu dem Vorwurf, der Elysée-Palast habe unter Sarkozy in den Jahren 2007 bis 2012 eine Reihe von Umfragen in Auftrag gegeben, ohne diese ordnungsgemäss öffentlich auszuschreiben. Profitiert haben soll insbesondere sein einstiger Berater Patrick Buisson über sein Beratungsunternehmen Publifact.
Der dem äussersten rechten Lager zugerechnete Buisson war es auch, der heimlich auf einem Diktiergerät hunderte Stunden Gespräche Sarkozys im Elysée-Palast und andernorts aufnahm. Die Enthüllung der Mitschnitte löste Anfang März ein politisches Erdbeben aus. Die Konservativen reagierten auf den «Verrat» mit Wut und Fassungslosigkeit.
Der Skandal reicht fast 20 Jahre zurück. Es geht um mutmassliches Bestechungsgeld, das für ein U-Boot-Geschäft nach Pakistan und dann teilweise wieder zurück nach Frankreich geflossen sein soll. Das Geld soll geholfen haben, den Präsidentschaftswahlkampf 1995 des damaligen Premierministers Edouard Balladur mitzufinanzieren.
Sarkozy wird in dieser Affäre bisher nicht direkt beschuldigt. Er war damals Budgetminister und Wahlkampfsprecher von Balladur. Zeugen behaupten aber, er habe die Gründung einer Firma in Luxemburg gebilligt, über die die Gelder geflossen sein sollen. Die Affäre hat einen hässlichen Nebenaspekt: 2002 wurden in Karachi elf französische Ingenieure bei einem Bombenanschlag getötet – vermutlich ein Racheakt des pakistanischen Geheimdienstes für nicht gezahlte Bestechungsgelder. (pbl/sda/afp)