Jetzt erreichen auch Wanderer diese SAC-Hütte – das sind die Folgen
Wir staunen nicht schlecht, als wir die Bordierhütte erreichen. Da steht ein Steinbock keine drei Meter von den Holztischen auf der Terrasse und ist völlig unbeeindruckt von all den Berggängern, die sich nebenan verpflegen und das Wetter geniessen.
In den Felsen rund um die Hütte entdecken wir auf rund 2900 Metern noch weitere Exemplare. Was für ein Schauspiel! Die Steinböcke sind aber nicht der Grund, warum die Leute hier hochkommen.
Früher stand der Nadelgrat vor dem Dom alleine im Fokus. Es gibt nicht viele Möglichkeiten, um so viele Gipfel über 4000 Metern auf einem alpinen Grat zu kombinieren. Vom Dirruhorn (4035 m) geht es über das Hobärghorn (4218 m) und das Stecknadelhorn (4241 m) zum Nadelhorn (4327 m). Weitere Gipfel können angehängt werden. Ausgangsort für die Tour ist die Bordierhütte, wo man um 2 Uhr nach dem Frühstück aufbricht.
Gross Bigerhorn wird zum höchsten Wandergipfel
Seit diesem Sommer kam aber eine zweite Attraktion dazu – eine, die auch Wanderer anzieht: Der Aufstieg zum Gross Bigerhorn (3626 m) wurde ausgebaut und neu markiert. Jetzt führt ein weiss-rot-weisser Weg auf den Gipfel, was diesen zum höchsten Wandergipfel Europas macht (siehe auch Infobox ganz unten).
Zudem zog sich die Gletscherzunge des Riedgletschers so weit zurück, dass 2023 unterhalb des Gletschers auf rund 2200 Metern eine Brücke über den Gletscherfluss errichtet wurde.
Der neue Wanderweg wurde in Zusammenarbeit mit Hans-Rudolf Keusen angelegt – einem erfahrenen Geologen, Naturgefahren-Experten und langjährigen Mitglied der SAC-Hüttenkommission. Der alte Weg führte auf der anderen Seite des Gletschers auch durch ein Gebiet, in welchem sich Steinschläge häuften. Die Hütte selbst übrigens steht auf einem festen Fels oberhalb der immer noch imposanten Eismassen.
Neue Möglichkeiten durch einfacheren Zustieg
Der neue Zugang eröffnete ganz neue Möglichkeiten: Davor erreichte man die Bordierhütte nur über den Gletscher – mit entsprechender Ausrüstung und den nötigen Kenntnissen. Die Hütte war für einen Grossteil «unerreichbar». Jetzt handelt es sich um einen T3-Weg ohne Schwierigkeiten – ausser dass die rund 1200 Höhenmeter ab Gasenried konditionell fordernd sind. Wer das Gross Bigerhorn erwandern will, übernachtet im Normalfall in der Bordierhütte.
Die Einheimischen kannten das Gross Bigerhorn schon lange. Es gab zwar keinen markierten Pfad, aber bei trockenen Verhältnissen konnte man den Berg gut besteigen. «In den nächsten Jahren wird der Weg bis oben wohl weiter ausgebaut», erklärt Herbert Werlen, der Mann von Hüttenwartin Nathalie, die gerade im Tal weilt. Man wolle aber auch keine «Autobahn» bauen.
Fakt ist: Mit dem neuen Weg mischt sich das Publikum auf der Hütte. Nicht mehr nur die Bergsteiger wollen eines der 44 Betten ergattern, sondern auch Wanderer. «Aktuell haben wir ungefähr einen Drittel Wanderer als Gäste», sagt Herbert.
Tagesgäste haben zugenommen
Es ist davon auszugehen, dass das Gross Bigerhorn weitere Wanderer zur Bordierhütte locken wird. Diese wurde 2009 letztmals erweitert. Während der (kurzen) Bergsteigersaison ist die Hütte – zumindest an den Wochenenden – gut besucht. Nicht immer finden alle ein Bett (keine Übernachtung ohne Reservation!). Aber unterscheiden zwischen Bergsteigern und Wanderern will (und kann) man bei der Reservation nicht.
Durch die Erweiterung der Zielgruppe kommen auch Leute auf die Hütte, die das Leben und die Regeln auf einer SAC-Hütte nicht so gut kennen. Grössere Probleme gab es auf der Bordierhütte damit bisher nicht. Aber man merke schon, wie die Ansprüche unterschiedlich seien. Frühstück gibt es aktuell beispielsweise um 2, 4 und 7 Uhr. Wanderer sind meist beim letzten Termin am Tisch.
Für einen Zmittag in die Hütte
Und sonst? «Die Tagesgäste haben auf jeden Fall zugenommen», berichtet Herbert. Mit dem Wanderweg ist auch ein Tagesausflug zur Bordierhütte – dort in der faszinierenden Bergwelt den Zmittag geniessen und wieder zurück ins Tal – eine Option geworden.
Natürlich kann man auch auf der Hütte übernachten, ohne das Klein Bigerhorn oder einen der anderen Gipfel zu besteigen. Die Hütte selbst wird zum Star.
Einige geniessen einfach die Auszeit in der Ruhe, erleben das Hütten-Feeling, machen den kleinen «Kneippweg» durch das Bächli beim Gebäude und freuen sich, wenn die Steinböcke aufkreuzen. Diese sind – teilweise durch das verstreute Salz angelockt – häufige Gäste bei der Bordierhütte. Am Morgen vor unserer Ankunft seien elf Tiere da gewesen. Deine Chancen stehen gut, die mächtigen Alpenbewohner da aus nächster Nähe zu beobachten.
Der Berg streitet sich mit dem Monte Vioz (3645 m, Italien) oder dem Grande Sassière (3751 m, Frankreich) um den Titel des höchsten Wanderwegs. Alles auch ein bisschen eine Frage der Signalisation. Durch den Klimawandel wird der höchste Wandergipfel Europas in den nächsten Jahren noch einige Male ändern. Sicher ist das Gross Bigerhorn aktuell der höchste Wandergipfel der Schweiz. Vorher hatte diesen Titel das Äussere Barrhorn (3610 m) inne.
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