Schweiz
Jugend

Nach der Lehre arbeitslos: Drei junge Menschen teilen ihre Erfahrungen

Achiko, ein Fintech-Unternehmen aus Indonesien, will an die Schweizer Börse. Das Hauptgeschäft sind Zahlungsdienste für Leute ohne Bankkonto oder Kreditkarte. (Symbolbild)
Herausforderung Stellensuche: besonders für junge Arbeitslose.Bild: KEYSTONE

Nach dem Lehrabschluss ausgesteuert – 3 junge Frauen erzählen, warum sie keinen Job finden

Die Jugendarbeitslosigkeit ist im August sprunghaft angestiegen. Drei junge Frauen erzählen, wie sie trotz Lehre, Weiterbildungen und Motivation keine Stelle finden – und was das mit ihnen macht.
13.09.2025, 12:4413.09.2025, 13:58
Mehr «Schweiz»

Jessica Schiesser hat eigentlich alles richtig gemacht. Nach ihrer KV-Lehre bei SRF konnte sie bleiben, arbeitete Teilzeit in der Buchhaltung und holte nebenbei die Berufsmatura nach. Danach wagte sie den Sprung in ein Start-up und schaffte den Quereinstieg ins Marketing.

«Ich durfte Social Media betreuen, Content produzieren und Verantwortung übernehmen. Der Job war genau das, was ich wollte. Ich dachte, jetzt geht es erst los und die Welt steht mir offen», sagt die 24-Jährige zu watson.

Ende 2024 dann der Bruch: Das Start-up kürzte Stellen und Schiesser verlor ihren Job. Seither hat sie in 8 Monaten 170 Bewerbungen verschickt. Und trotzdem keine Anstellung gefunden.

«Manchmal denkt man, man war die Muse für die Ausschreibung.»

«Ich habe mich geschämt»

Sie meldete sich beim regionalen Arbeitsvermittlungszentrum (Rav), absolvierte Kurse, liess ein Bewerbungs­video produzieren und bekam ein Job-Coaching vermittelt. «Ich fühle mich gut unterstützt. Aber letztlich bringt es wenig, wenn man nie eine Chance kriegt.»

Jessica Schiesser
Trotz 170 Bewerbungen keinen Job gefunden: Jessica Schiesser.Bild: zvg

Denn aus den 170 Bewerbungen kam es nur zweimal zu einem Vorstellungsgespräch. «Die Rückmelderate liegt bei etwa 30 Prozent. Die anderen 70 Prozent werde ich einfach geghostet.» Dabei versucht sie alles: Bewerbungsvideos für Marketing-Jobs, jedes Motivationsschreiben neu für KV-Stellen. «Manchmal denkt man, man war die Muse für die Ausschreibung – und dann kommt eine pauschale Absage.»

Als sie kürzlich eine weitere Absage erhielt, drehte sie ein TikTok über ihre Situation. «Ich habe mich geschämt, darüber zu reden. Aber das Video erreichte über 100’000 Menschen und in den Kommentaren schrieben Hunderte, dass es ihnen genauso geht.» watson hat mit zwei weiteren von ihnen gesprochen.

Depression nach Absagen

Anna W.* kennt den Arbeitsmarkt von beiden Seiten: als Bewerberin und als HR-Fachfrau. Nach ihrer KV-Lehre machte sie einen Sprachaufenthalt und stieg dann ins HR ein. Sie blieb vier Jahre im selben Unternehmen, machte den Fachausweis, wurde HR-Business-Partnerin. «Ich habe investiert, Weiterbildungen gemacht, Verantwortung übernommen. Ich liebe diesen Job», sagt die 26-Jährige aus Zug.

«Junge Menschen kriegen keine Chance, Erfahrung zu sammeln.»

Im März kam die Kündigung – nicht wegen ihrer Arbeit, sondern weil die Chefin das ganze Team austauschte. «Wir mussten sofort den Platz räumen, als wären wir Verbrecher. Das hat mich richtig fertiggemacht.» Zwei Monate war sie krankgeschrieben. Heute läuft noch ein Verfahren mit Anwalt gegen den früheren Arbeitgeber.

Seither sucht sie, doch Absagen folgen demselben Muster: «Für Business-Partner-Rollen heisst es, ich habe zu wenig Erfahrung. Für Generalisten-Stellen wiederum bin ich überqualifiziert.» Ein einziges Vorstellungsgespräch hatte sie bisher. Am Ende scheiterte es am Arbeitsweg, weil der Arbeitgeber Bedenken hatte. W. ärgert sich: «Wir reden ständig vom Fachkräftemangel. Aber junge Leute kriegen keine Chance, Erfahrung zu sammeln.»

Unterstützung für jugendliche Stellensuchende
Das Amt für Arbeit des Kantons Zürich erklärt auf Anfrage, dass Jugendliche nach der Lehre spezielle Programme nutzen können: etwa Ausbildungspraktika zum Sammeln erster Erfahrungen, das «JobCoaching Plus» mit wöchentlichen Einzel-Coachings sowie befristete Einsätze in Betrieben mit begleitendem Coaching. Für Jugendliche nach einem Lehrabbruch gibt es zudem Brückenangebote wie das Motivationssemester, den Transit Express oder die Standortbestimmung «Triage».

Keine Chance erhalten hat auch Sina C. aus Winterthur. Die 25-Jährige schloss 2022 ihre Kochlehre ab und konnte nicht im Lehrbetrieb bleiben. «Wenn man frisch ab der Lehre kommt, ohne Erfahrung, ist es extrem schwierig.»

«Die erfolglose Suche hat mich depressiv gemacht.»

Ihr blieb nichts anderes übrig, als sich nach dem Lehrabschluss beim Rav anzumelden. «Für mich war das damals der Horror», sagt sie. Denn nach jeder Absage ging es ihr schlechter. Obwohl sie auch noch einen Kurs als Pflegehelferin absolvierte, fand sie keinen Job. Bereits nach einem Jahr waren ihre Arbeitslosentagegelder aufgebraucht. Sie wurde ausgesteuert. Zuerst sprang ihr Vater ein, doch mit 25 sagte er, er könne sie nicht länger unterstützen. Ihr blieb nur der Gang zum Sozialamt.

Sina W.
Momentan kocht sie nur in der Freizeit und auf TikTok als @cresue25: Sina C.

Heute lebt sie in einer betreuten Wohneinrichtung, arbeitet gelegentlich über eine Temporärplattform in der Pflege oder Küche. Sie sagt: «Die erfolglose Suche hat mich depressiv gemacht. Ich dachte die ganze Zeit, ich sei selbst schuld.» Sina möchte bald wieder mehrprozentig arbeiten. «Aber zuerst muss ich das alles verarbeiten.»

Höhepunkt der Jugendarbeitslosigkeit

Die drei Frauen sind keine Einzelfälle. Laut dem Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) waren im August 2025 2073 frisch ausgebildete Lernende bei einem Rav als arbeitslos registriert. Das entspricht 1,6 Prozent aller Arbeitslosen. Insgesamt stieg die Zahl der arbeitslosen 15- bis 24-Jährigen im Vergleich zum Juli um fast 20 Prozent. Das Seco erklärt dazu auf Anfrage:

«Charakteristisch für Juli und August ist, dass zahlreiche Lernende ihre Ausbildung beenden. In der Regel erreicht die Jugendarbeitslosigkeit im August ihren Höhepunkt, ehe sie in den Folgemonaten wieder stark abnimmt.»

Die Zunahme sei in fast allen Kantonen und Branchen spürbar. Um den Einstieg zu erleichtern, verweist das Seco auf Instrumente wie Berufspraktika, Übungsfirmen oder Coachings, die speziell auf junge Arbeitslose zugeschnitten sind.

Doch die Geschichten von Jessica, Anna und Sina zeigen: Selbst wer alles unternimmt, findet nicht automatisch einen Job.

*(Name von der Redaktion geändert)

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Warum Diana (26) als Trauerbegleiterin arbeitet
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
Du hast uns was zu sagen?
Hast du einen relevanten Input oder hast du einen Fehler entdeckt? Du kannst uns dein Anliegen gerne via Formular übermitteln.
97 Kommentare
Dein Kommentar
YouTube Link
0 / 600
Hier gehts zu den Kommentarregeln.
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Tubel vom Dienst
13.09.2025 13:26registriert Januar 2021
Das die Köchin von Winterthur keine Stelle findet überrascht mich schon ein bisschen. Aktuell sind beim RAV in der Region Winterthur, Radius 30 Km, 150 Stelle für Köche ausgeschrieben. Dem gegenüber stehen 107 arbeitslose Köche mit EFZ in der gleichen Region. Sie müsste also eine Stelle finden. Es muss noch etwas anderes geben, was leider nicht im Artikel steht.
14414
Melden
Zum Kommentar
avatar
Daniel Lütolf
13.09.2025 13:32registriert Oktober 2022
Das kenne ich nur zu gut. Aber als 53 Jähriger. Über 350 Bewerbungen, 5 Gespräche, 3 Mal bei den Top 2. Entweder meint das HR zu teuer, überqualifiziert oder halt einfach zu alt (das sagen sie aber natürlich nicht). Kurzum: Ich halte von HR Personen nicht allzu viel 👎
10315
Melden
Zum Kommentar
avatar
disentis
13.09.2025 14:44registriert Februar 2015
Das zu lesen tut mir weh. Das sind keine naiven Frauen mit exotischen Jobs oder illusorischen Träumen. Wünsche denen viel Durchhaltewillen und etwas Glück.
815
Melden
Zum Kommentar
97
Autofahrer zeigt Strassenarbeitern Stinkefinger – fast 5000 Franken Strafe
Im Kanton Freiburg ist ein Autofahrer verurteilt worden, weil er Strassenarbeitenden des Kantons den Stinkefinger gezeigt und diese rücksichtslos überholt hatte. Der Mann wurde zu einer bedingten Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu 70 Franken und einer Busse von 600 Franken verknurrt.
Zur Story