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kürzlich habe ich eine Story mit der Überschrift «Wenn es ums Klima geht, sind wir schizophren» geschrieben. Damit wollte ich zum Ausdruck bringen, dass wir derzeit zwei Dinge tun, die sich widersprechen. Auf der politischen Ebene werden Massnahmen gegen die Klimaerwärmung mehrheitlich blockiert. Gleichzeitig hat die Wirtschaft das Potenzial der erneuerbaren Energien entdeckt und gibt Gas.
Nicht einmal im Traum hätte ich daran gedacht, Menschen damit zu beleidigen, die tatsächlich an der Krankheit Schizophrenie leiden. Etwas anderes wäre es gewesen, hätte ich «Neger» geschrieben, ein Begriff, bei dem jedes Kind weiss, dass er bewusst rassistisch und beleidigend gemeint ist.
Die Reaktion erfolgte umgehend. In der Kommentarspalte schickte mir ein Teilnehmer mit dem Pseudonym «geht doch» einen Wikipedia-Link zum Stichwort «Schizophrenie» zu.
Und Twitterin @Jasmin_La Pirata liess mich wissen:
@philipploepfe @watson_news Ausser im klinischen Zusammenhabg finde ich die Verwendung des Wortes schizophren nicht akzeptabel
— Jasmin (@Jasmin_LaPirata) 30. November 2015
An sich wäre der Vorfall eine Bagatelle. Meine Befindlichkeit ist in diesem Zusammenhang irrelevant, und in rund zehn Jahren Online-Journalismus habe ich gelernt, mit Kritik auch der gröberen Art zu leben.
Es geht um mehr, nämlich um die Tatsache, dass in den Online-Kommentaren immer öfters weder Kritik geäussert noch eine andere Meinung vertreten wird.
Im Trend liegen vielmehr wehleidige Klagen mit Appellen an die politische Korrektheit.
Die «political correctness» ist wieder auf dem Vormarsch, vor allem in ihrem Ursprungsland, den Vereinigten Staaten. An Elite-Universitäten weigern sich Jus-Studenten, Vorlesungen über die strafrechtlichen Folgen einer Vergewaltigung zu besuchen, weil sie das emotional nicht verkraften können.
Aus den Literaturvorlesungen werden Werke von Klassikern wie William Shakespeares «Der Kaufmann von Venedig» (wegen Antisemitismus») oder Scott Fitzgeralds «Der Grosse Gatsby» (wegen Frauenhass) verbannt.
Edward Luce, US-Korrespondent der «Financial Times», beschreibt die Lage wie folgt:
Das mögen Auswüchse sein – schliesslich ist Amerika das Land der Extreme – aber auch bei uns werden Aussagen von Politikern und Wirtschaftsvertretern inzwischen solange von Kommunikationsfachleuten durchforstet und durchgeknetet, bis sie todsicher niemanden mehr beleidigen können. Dumm bloss, dass sie dabei auch völlig nichts sagend werden.
Ein aktuelles Beispiel schildert Urs Paul Engeler in der Handelszeitung. Auf eine Anfrage zu seiner beruflichen Tätigkeit antwortet Thomas Aeschi, einer der drei SVP-Bundesratskandidaten:
Die Angst, etwas Falsches zu sagen, ist nicht nur grotesk, sie zeigt auch kontraproduktive Wirkung. Die Sprache der Elite verkommt zu blutleeren Formeln und lässt ihre Vertreter abgehoben erscheinen. Die Meinungsfreiheit geht vor die Hunde, denn nicht nur die Natur, sondern auch die Politik verträgt kein Vakuum.
Im Sinne von «Als freier Eidgenosse wird man wohl noch sagen dürfen, was wahr ist», stossen dafür Populisten aller Art in die Lücke, welche die politische Korrektheit hinterlässt. Sollten sie auf Widerstand treffen, heulen sie auf und schreien «Zensur!».
Eine überdrehte politische Korrektheit wird so zum besten Nährboden für wirklich gefährliche Politiker. Sie erscheinen in diesem Umfeld «authentisch», wie etwa Donald Trump, der kein Fettnäpfchen auslässt und gerade deswegen nach wie vor in den Meinungsumfragen der republikanischen Präsidentschaftskandidaten oben aus schwingt. Das sollte uns zu denken geben.
Hochachtungsvoll,
Philipp Löpfe