Ein Motorrad darf in der Schweiz 80 Dezibel laut sein. Das ist etwa so laut wie ein vorbeibrausender Lastwagen. Viele Motorräder sind aber deutlich lauter. Und das ganz legal, weil die Schweiz seit 1999 die Lärmvorschriften der EU übernimmt. Und diese erlauben es den Herstellern, auf Schleichwegen die Lärmvorschriften zu umgehen und die Töffs weit lauter dröhnen zu lassen, als erlaubt.
Damit soll nun Schluss sein, denn Karl Vogler, Nationalrat der CSP Obwalden, stört sich seit geraumer Zeit an Lärmexzessen von Auspuff-getunten Töffs auf seinem Heimpass, dem Brünig. Deshalb will er die neuen, strengeren EU-Lärm-Vorschriften (Euro4), die 2016 in Kraft treten, rückwirkend auf sämtliche Motorräder anwenden lassen, die sich bereits jetzt im Schweizer Strassenverkehr befinden. Die zuständige Kommission des Nationalrates für Umwelt, Raumplanung und Energie (Urek-N) hat er bereits dazu gebracht, seinem Vorstoss zuzustimmen, wenn auch nur knapp. Und heute Nachmittag befindet der Nationalrat darüber.
Konkret unterbindet das neue Vorschriftspaket Euro4 die effizientesten Tricks, welche der Motorrad- und Zubehörbranche derzeit zur Verfügung stehen, um die Lärmvorschriften auf legalem Weg auszuhebeln. Dazu gehört etwa Motoren-Elektronik, die die Bedingungen erkennt, unter denen die Töffs nach EU- und damit auch Schweizer Standards auf Lärmemissionen geprüft werden. Sobald der Töff mit der entsprechend normierten Geschwindigkeit und Beschleunigung in den Prüfstand gestellt wird, schliesst das Motorrad eine Klappe im Auspuff und hält die Lärmgrenzwerte somit ein. Bewegt sich das Motorrad dann wieder im Strassenverkehr zu normalen Bedingungen, dann öffnet sich die Dämpfklappe und der Grenzwert wird massiv überschritten.
Laut eines Berichtes des Bundesamtes für Strassen (Astra) sind insbesondere diese Klappenauspuffe mittlerweile bei einem Grossteil der Motorräder mit einem Hubraum von über 500 Kubikzentimeter eingebaut. Ein weiteres Mittel sind sogenannte Dezibel-Killer in den Auspüffen. Diese sind standardmässig eingebaut, was den Auspuff nach EU-Norm legal macht, lassen sich jedoch jederzeit einfach entfernen und wieder einsetzen. Jeweils vor der Vorführung setzen die Motorradfahrer die Dezibelkiller ein, fahren ansonsten aber ohne.
Weil die Messwerte stark von Reifen und Strassenbelag abhängen, können die Lärmwerte der Töffs nur im Prüfstand abgenommen werden, Kontrollen mit validen Ergebnissen auf der Strasse sind nicht möglich. Die Zürcher Kantonspolizei hat 2012 in einem eigenen Test fünf legal ausgerüstete Motorräder auf Dezibel-Werte im Vorbeifahren geprüft. Die Motorräder waren teils doppelt so laut wie erlaubt. Bei einem Modell stellten die Kantonspolizisten sogar einen Dezibelwert fest, der so hoch war, wie wenn 24 Motorräder in der erlaubten Lautstärke gleichzeitig vorbeigefahren wären.
Für Roland Müntener, Präsident des Motorrad-Importeur-Verbandes Motosuisse, geht es nicht an, die neuen Vorschriften rückwirkend auf alle Motorräder anzuwenden. «Da geht die Rechtsstaatlichkeit verloren, wenn Tausende ihre früher in rechtlich einwandfreiem Zustand gekauften Töffs für viel Geld umbauen müssen, sofern dies überhaupt möglich ist», sagt Müntener. Die von Vogler angestrengte Kommissionsmotion gehöre deshalb abgelehnt. «Wenn auf Motorräder von heute die EU-Normen von 2016 angewandt werden müssen, dann können wir zwei Drittel der Motorräder in der Schweiz verschrotten, und das ist noch vorsichtig geschätzt», sagt Müntener.
Vogler lässt diese Argumente Münteners nicht gelten. «Die Rechtsstaatlichkeit wird ja schon von den Importeuren geritzt, die genau wissen, dass ihre Motorräder ausserhalb des Prüfstandes viel lauter sind, als es das Gesetz zulässt», sagt Vogler. Ausserdem gehe es nicht darum, flächendeckend alle Töffbesitzer zu Umrüstungen oder der Verschrottung ihres Motorrades zu zwingen, sondern der Polizei eine Handhabe zu geben, besonders ruchlose Auspuff-Tuner aus dem Verkehr zu ziehen. «Es geht darum, Exzesse zu verhindern, nicht um eine Kollektivstrafe an der Motorradgemeinde zu vollziehen», sagt Vogler. Diese Behauptungen Münteners seien schlichte Stimmungsmache und unnötige Angstmacherei, denn die Kommission Urek-N verfolge ganz sicher nicht das Ziel, zwei Drittel der Schweizer Motorräder zu verschrotten.