Was ist der Sinn einer neuen Partei, wenn sich diese weitgehend im Untergrund bewegt? Einerseits erhoffen sich die Parteigründer dadurch Anonymität, weil sie sich vor dem Verlust ihrer Arbeitsplätze fürchten. Andererseits versprechen sie sich vom Status einer politischen Partei Schutz vor Bespitzelung durch den Nachrichtendienst und die Polizei.
In den letzten Jahren hat sich im politischen Spektrum rechts der SVP vor allem die identitäre Junge Tat hervorgetan. Wie der Name sagt, kümmert sich diese Splittergruppe aber ausschliesslich um junge Menschen, vor allem Männer. Nach dem Untergang der Partei National Orientierter Schweizer (Pnos) 2022 wurden viele ältere Semester der rechtsextremen Szene politisch heimatlos.
So gesehen erstaunt es nicht, dass es nach dem Ende der Pnos schnell Bestrebungen gab, eine neue Partei zu gründen. Geldmangel, unterschiedliche ideologische Ansichten und die geringe Bereitschaft vieler Rechtsextremer, sich in einer politischen Bewegung zu engagieren und zu exponieren, erschwerten dieses Unterfangen.
Herausgekommen ist am Ende die Nationalpartei. Neben einem Postfach im thurgauischen Weinfelden besitzt sie eine E-Mail-Adresse und eine einfache Website. Sonst tritt sie in der Öffentlichkeit nicht in Erscheinung.
Nur dank eines umfangreichen Datenlecks, das dieser Zeitung zugespielt wurde, erfahren wir nun, wer die Gründung der Nationalpartei vorangetrieben hat und was die Überlegungen dabei waren. Dabei tauchen auch einige altbekannte Nationalsozialisten auf, die früher in der Pnos oder in anderen rechtsextremen Organisationen – schweizerischen und internationalen – aktiv waren. Doch dazu später.
Die ersten Schritte, die 2022 zur Gründung der Nationalpartei führten, unternahmen einige unzufriedene Pnos-Mitglieder schon, als sich der Untergang der einzigen rechtsextremen Partei der Schweiz abzeichnete. Intensiv wurde intern diskutiert, ob man die nationalsozialistische Schlagseite schon im Parteinamen erkennbar machen solle.
Vorschläge in dieser Richtung unterbreitete der heutige Parteipräsident in einem Thesenpapier: Völkische Front, Nationale Sozialbewegung oder Volksbund wurden aufgezählt. Otto R. liebäugelte aber auch mit dem Namen der 1961 gegründeten Nationalen Aktion, die sich später in Schweizer Demokraten (SD) umbenannte.
Otto R., der zuvor als Mitglied der Pnos und des internationalen Neonazinetzwerks Blood & Honour aufgefallen war, propagierte in seinem Papier die Abkehr vom nationalkonservativen Kurs einer SVP oder SD und das Bekenntnis zur authentischen Linie des Nationalsozialismus. Allerdings wollte der 60-jährige Kranführer das Wesen des Nationalsozialismus im Parteiprogramm nur «in verpackter Form wiedergeben». So kam am Ende auch der wenig originelle Name Nationalpartei heraus.
Auch beim Logo wagte die neue Partei wenig: Eine rote Flamme mit einem Schweizerkreuz in der Mitte erinnert an das Signet des Movimento Sociale Italiano (MSI) und an jenes des französischen Front National. Das neofaschistische MSI gründeten Vertreter von Mussolinis Rumpfstaat in Norditalien nach dem Zweiten Weltkrieg.
Auf dem Gründungsfoto der Nationalpartei zu sehen sind neben dem Präsidenten Otto R. ein Politiker der Eidgenössisch-Demokratischen Union (EDU) und Hansjörg F., genannt Hase, ein Mitglied des internationalen Neonazinetzwerks Hammerskins.
Treibende Kraft war von Anfang an Otto R., der sich in letzter Zeit vor allem als eifriger Leserbriefschreiber in Zentralschweizer Medien betätigt. In seinen veröffentlichten Texten lässt sich allerdings kaum erkennen, dass es sich beim Schreiber um einen Rechtsradikalen handelt. Das war nicht immer so. In den Neunzigerjahren war der Bauarbeiter Teil der Patriotischen Front, die für Anschläge auf Asylheime verantwortlich gemacht wurde. In diesem Zusammenhang kassierte Otto R. eine bedingte Gefängnisstrafe.
Besuch bei Otto R. in der Innerschweiz: Der Mann wohnt in einem ockerfarbenen Einfamilienhaus mit einer weinroten Garagentür. Der Eingang befindet sich im Garten, auf der Rückseite. Durch ein geöffnetes Glasfenster in der Tür fragt R., was man wolle. Zuerst leugnet er, der Präsident der Nationalpartei zu sein.
Doch als er vom Datenleck erfährt und zum Beispiel der Name seines Webdesigners erwähnt wird, entspannt sich R. etwas und gibt am Ende zu, Präsident der neuen politischen Gruppierung zu sein. Es kommt zu einem längeren Gespräch – durch das kleine Fenster hindurch. R. möchte vor allem verhindern, dass seine Adresse bekannt wird, denn er wohnt zusammen mit seiner weit über 80-jährigen Mutter, um die er sich kümmern muss.
Den Begriff «Neonazi» mag R. nicht. Viele völkisch Rechtsextreme ziehen es vor, als Nationalsozialisten betitelt zu werden. Aus internen Papieren der Nationalpartei, aber auch aus der Vergangenheit von Otto R. geht hervor, dass er sich eine Abgrenzung der Deutschschweiz von der lateinischen Schweiz wünscht. Zu diesem Zweck hatte R. vor langer Zeit die Heimatbewegung gegründet, in deren Zentralorgan «Volksruf» er seinem Schreibtalent frönen konnte.
Wie viele Neonazis scheinen auch die Mitglieder der Nationalpartei, die Parteiendemokratie abzulehnen. Sie wissen, dass ihre Ideen in der Öffentlichkeit und an den Wahlurnen keine Chance haben. Darum entscheiden sie sich für ein Schattendasein mit gelegentlichen Treffen im Kreis Gleichgesinnter.
Noch mehr als ihre Vorgängerin verharrt die Pnos 2.0 in der politischen Irrelevanz. Rechts von der SVP ist das politische Überleben in der Schweiz schwierig – auch wenn manche Medien nicht müde werden, das Wiederaufleben des «Faschismus» an die Wand zu malen. Die einzige einigermassen erfolgreiche rechtsextreme Bewegung ist die Junge Tat, deren Mitglieder die alten Neonazis vom Stil eines Otto R. schon lange nicht mehr ernst nehmen. Aber auch die Junge Tat hat keinerlei politischen Einfluss und wird ihn wahrscheinlich auch nie bekommen.
(aargauerzeitung.ch)