Gegner braucht Tadej Pogacar keine zu fürchten, wie sein Erfolg beim Critérium du Dauphiné Mitte Juni unterstrich. Zwar verlor er im Kampf gegen die Uhr Zeit auf Remco Evenepoel und Jonas Vingegaard. In den Bergen aber hatten ihm die zwei wenig entgegenzusetzen.
Doch selbst bei Pogacar dürfte der Gedanke an die Königsetappe bei der Tour de France Unbehagen auslösen. Es ist nicht der berüchtigte Mont Ventoux, dieser Gigant der Provence mit seiner charakteristischen Mondlandschaft, sondern der weniger bekannte Col de la Loze, der am viertletzten Tag erst zum dritten Mal Teil der Rundfahrt sein wird.
Erst seit 2019 gibt es einen Radweg auf diesen Alpenpass, für Autos und Töffs ist er gesperrt. «Absolut brutal», urteilt Alberto Contador, zweifacher Tour-de-France-Sieger, einst ein begnadeter Bergfahrer und heute TV-Experte bei Eurosport.
Die Eckdaten: 26,4 Kilometer lang, im Durchschnitt 6,5 Prozent steil. Wobei: Der Anstieg ist extrem unrhythmisch, beinhaltet immer wieder steile, zermürbende Rampen. An diesem Berg hat Tadej Pogacar 2023 eine seiner seltenen und grössten Niederlagen erlitten, als er mehr als fünf Minuten auf Vingegaard verlor, offenbar auch von einer Herpes-Infektion geschwächt.
Zwar wird der Pass diesmal nicht von Westen, sondern erstmals von Osten in Angriff genommen, an der Länge und Charakteristik ändert das wenig.
2023 war eine andere Zeit, und Tadej Pogacar ist seither ein noch besserer Fahrer geworden. Galt er einst bei langen Anstiegen und grosser Hitze als verwundbar, sind beim aktuellen Weltmeister keine Schwächen mehr auszumachen. Auch wenn Remco Evenepoel und auch Vingegaard im Zeitfahren stärker einzustufen sind.
Viel mehr als das spricht im Vorfeld der 112. Tour de France, die am 5. Juli in Lille beginnt, allerdings nicht für die beiden Herausforderer. In den letzten Tagen kundschafteten sie den Schicksalsberg Col de la Loze aus, den Evenepoel noch nie in einem Rennen bezwungen hat.
Nach der Trainingsfahrt bezeichnete der Belgier den Pass als «Monster». Zwar hat der 25-Jährige anderthalb Kilo abgenommen, um in den Bergen besser mithalten zu können, doch gerade bei vielen Rhythmuswechseln offenbarte Evenepoel immer wieder Schwächen.
Nach dem vierten Rang beim Critérium du Dauphiné (satte 4:21 Minuten hinter Pogacar) zeigte sich der 25-Jährige desillusioniert. «Es scheint, als sei das hohe Tempo ihrer Helfer für sie bloss ein Training. Wenn man sieht, wie sie attackieren, während ich schon am Limit bin, nimmt mir das schon etwas die Moral», sagte Evenepoel entmutigt über Pogacar und Vingegaard.
Dazu kommt: Sowohl Pogacar (unter anderem mit Tour-de-Suisse-Sieger Joao Almeida) als auch Vingegaard (Giro-Sieger Simon Yates und Wout van Aert) verfügen über weitaus stärkere Helfer. Beim Dauphiné war Evenepoel praktisch auf sich allein gestellt. Und bei der Tour de France fehlt mit Mikel Landa auch noch sein bester Helfer.
Sorgen, die sich Jonas Vingegaard nicht machen muss. Sowieso wirkt der Däne ausserordentlich entspannt, obschon er mit Pogacar nicht mithalten konnte.
Zwar distanzierte er Pogacar im Zeitfahren, wurde in den Bergen aber zweimal abgehängt und am Ende mit knapp einer Minute Rückstand Zweiter.
Im vergangenen Jahr war seine Vorbereitung auf die Tour de France nach einem schweren Sturz im Frühling alles andere als optimal. Nun spricht Vingegaard dauernd davon, dass er viel besser sei als bei seinem zweiten Tour-de-France-Sieg vor zwei Jahren.
Pogacars Machtdemonstration scheint ihn nicht zu beunruhigen. «Wissen Sie, wir schauen nur auf uns und tun alles, um uns möglichst gut auf die Tour de France vorzubereiten», sagte er. Wie Evenepoel trainiert Vingegaard derzeit im französischen Skiort Tignes.
Auch er fuhr dabei den Schicksalsberg Col de la Loze schon ab. Nur einer tat das bisher noch nicht: Tadej Pogacar.
Vielleicht ist das der Strohhalm, an dem sich die Konkurrenten klammern. Wenn die Tour de France dannzumal nicht schon längst entschieden sein sollte. (aargauerzeitung.ch)