Der Twitter-Account sieht echt aus, die «Weltwoche»-Titelseite sieht echt aus. Nur die Autoren der Titelgeschichten machen stutzig. Die Namen Köhler, Strüber und Mück stehen da. Auch die Titelgeschichte «Energiekonzerne planen heimisches Kohlekraftwerk» ist offensichtlich erfunden. Der Account hat nur 16 Follower und sieht nur deshalb aus wie der echte Account, weil das «L» in «Weltwoche» durch ein grosses «i» ausgetauscht wurde.
Hinter dem Markendiebstahl steht Pro Solar, der Lobbying-Arm des Schweizer Verbandes der Solar-Industrie Swissolar. Swissolar hat heute morgen zusammen mit den Umweltorganisationen WWF und Greenpeace auf dem Bundesplatz eine Petition eingereicht, die eine konsequente Umstellung der Stromversorgung auf erneuerbare Energien verlangt.
Die Befürchtung des Branchenverbandes: Im Zug der Strommarktliberalisierung könnten die Schweizer Energieanbieter auf die Idee kommen, deutsche Steinkohle einzukaufen und diese zu Strom machen, was günstiger ist als Ökostrom. Das träfe die Solar-Industrie empfindlich, da Ökostrom teurer und deshalb bei den normalen Haushaltskunden nicht sehr beliebt ist. Bereits jetzt können Schweizer Stromkunden mit einem Verbrauch von über 100'000 Kilowattstunden pro Jahr, denjenigen Strom einkaufen, den sie wollen und bei wem sie wollen.
Roger Nordmann, SP-Nationalrat (VD) und Präsident Swissolar geht davon aus, dass die zwischenzeitlich sistierte komplette Öffnung des Strommarktes für alle Kunden eher früher als später kommen dürfte. «Der Bundesrat plant offenbar, in den nächsten Wochen den Botschaftsentwurf für die komplette Liberalisierung des Strommarktes in die Vernehmlassung zu geben», sagt Nordmann.
Wenig erfreut ist der Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE). «Dass Schweizer Energieunternehmen Kohlekraftwerke planen, ist völlig falsch», sagt Dorothea Tiefenauer, Kommunikationsleiterin des VSE. Es sei schade, dass Swissolar in der «schon hinreichend komplexen Materie» der Energiestrategie und Strommarkt-Liberalisierung zusätzlich Verwirrung stifte. Und: «Der Transport solcher Botschaften über gefälschte Titelseiten arrivierter Medien ist nicht die gepflegte Art der politischen Kommunikation».
Roger Köppel, Chefredaktor der für die Polit-PR der Solarindustrie missbrauchten «Weltwoche», hat für gewöhnlich ebenfalls wenig übrig für den Missbrauch seines Deckblatts. Als die Romands 2012 nach einer Titelgeschichte «Die Romands sind die Griechen der Schweiz» Facebook mit Covers der «Welschwoche» fluteten, liess er seinen Anwalt Martin Wagner einschreiten, der erfolgreich bei Facebook intervenierte und die Bilder löschen liess. Zur Aktion von Swissolar äusserte sich Köppel bisher nicht.
Der Waadtländer Nordmann sieht allfälligen rechtlichen Schritten gelassen entgegen: «Herr Köppel darf ob eines solchen Hoax Seitens eines Griechen der Schweiz nicht überrascht sein.» (thi)