Die nationale Plattform «Gesundheitsversorgung für Sans-papiers» kritisiert an ihrer Pressekonferenz vom Dienstag die Tatenlosigkeit der Kantone hinsichtlich der medizinischen Grundversorgung von Sans-papiers: Diese hätten Systeme zu initiieren, die verletzlichen Bevölkerungsgruppen den Zugang zur medizinischen Grundversorgung zur Krankenversicherung und Prämienverbilligung erleichtern, fordert der Zusammenschluss von Hilfs-Institutionen, zu dem auch das Schweizerische Rote Kreuz gehört. Denn das Recht auf Gesundheit ist ein grundlegendes Menschenrecht.
Einer der am besten weiss, in welcher Situation sich kranke Sans-papiers befinden, ist «Sans-papier-Doktor» David Winizki:
Herr Winizki, Sie behandeln seit Jahren Sans-papiers in Ihrer Praxis. Machen Sie sich damit eigentlich strafbar?
David Winizki: Nein. Ich bin kein Jurist aber das Rote Kreuz hat das mal abgeklärt. Die Schweizerische Bundesverfassung spricht jedem Menschen das Recht auf Hilfe in Notlagen zu. Das steht über dem Ausländergesetz. Eine medizinische Behandlung gilt überdies nicht als «Erleichterung» eines rechtswidrigen Aufenthalts in der Schweiz.
Die Polizei könnte sich vor Ihrer Praxis postieren und alle Sans-papiers abfangen und verhaften.
Das haben sie in all den Jahren erfreulicherweise nie gemacht. Die Polizei greift Sans-papiers zufällig bei Personenkontrollen auf oder sie werden von Nachbarn verraten.
Wie kommen Sie dazu, Sans-papiers zu behandeln?
Ein Patient brachte in den 90er-Jahren den ersten unversicherten Sans-papiers zu mir. Ich entschied spontan, eine Pauschale von 50 Franken für die Konsultation zu berechnen. Alle Behandlungsmöglichkeiten, die mir in meiner Praxis zur Verfügung standen, bot ich dafür an. Von da an sprach sich das rum. Es funktionierte wunderbar.
Wer sind die Patienten, die zu Ihnen kommen?
Sie leben möglichst unauffällig und in ständiger Angst. Die meisten haben Familienmitglieder in ihrem Heimatland, die sie unterstützen müssen. Zu arbeiten und arbeitsfähig zu bleiben ist für sie existenziell wichtig. Deshalb ist es auch so zentral, sie gesundheitlich zu versorgen. Der Staat muss dafür sorgen.
Wie viele Patienten behandelten Sie?
In Spitzenzeiten vor ein paar Jahren behandelte ich täglich Patienten ohne Papiere. Heute sind es vielleicht noch zwei bis drei pro Woche. Die Zahl an Anlaufstellen hat sich in den letzten Jahren erhöht.
Gibt es heute genug Anlaufstellen für Sans-papiers?
Nein. Die Situation hat sich zwar verbessert, allerdings sind in der Deutschschweiz alle Anlaufstellen privat initiiert und meistens von Non-Profit-Organisationen getragen. Die Romands haben uns da viel voraus: An der Genfer und Lausanner Poliklinik erhalten Menschen, die sich keine Behandlung leisten können und nicht versichert sind ohne Anmeldung medizinische Versorgung, von der sie 10 bis 15 Prozent der Kosten übernehmen müssen. Der Rest übernimmt der Staat. In der Deutschschweiz zeigt nur Zürich Initiative, die Situation für Sans-papiers zu verbessern. Das ist aber der Gipfel des Uralgebirges, dahinter kommt Sibirien.
Was gibt es für Initiativen in Zürich?
Vor kurzem sprach der Regierungsrat fast eine Million Subventionen für das «Ambulatorium Kanonengasse». Dort werden Menschen in prekären Situationen kostenlos behandelt.
Das reicht aber nicht?
Sans-papiers gibt es in der ganzen Schweiz; gemäss Statistik lebt in jedem 17. Haushalt ein Mensch ohne Papiere. Es kann nicht sein, dass sie um medizinische Versorgung wie um Almosen betteln müssen und sie freundliche Ärzte zum «Gotteslohn» behandeln. Die medizinische Grundversorgung sollte von einer Gesellschaft solidarisch getragen werden, auch die für Sans-papiers. Das ist eine Aufgabe des Staates, die übrigens durch eine Weisung an die Krankenkassen aus dem Jahr 2002 bestätigt wurde: Sans-papiers sind demgemäss verpflichtet sich zu versichern und haben Anrecht auf Prämienverbilligung.
Warum haben viele von ihnen trotzdem keine Krankenkasse?
Viele können sie sich schlichtweg nicht leisten. Auch mit Prämienverbilligung kostet eine Krankenkasse rund 3000 Franken im Jahr. Das Medianeinkommen von Sans-papiers bewegt sich zwischen 1700 und 1800 Franken. Da liegen kaum 250 Franken Prämie pro Monat drin. Hinzu kommt, dass die meisten unangemeldet an ihrem Wohnort leben. Einer Krankenkasse ihre Adresse anzugeben, würde sie verletzlich machen. Davor fürchten sie sich.